Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts

Verdrillte spiralförmige photonische Kristallfaser

Autoren
Russell, Philip St.J.; Beravat, Ramin; Frosz, Michael H.; Wong, Gordon K. L.
Abteilungen
„Photonische Kristallfasern“ & TDSU „Faserherstellung und Glasstudio“
Zusammenfassung
Die photonische Kristallfaser (PCF) ist ein Strang aus Glas, nicht viel dicker als ein menschliches Haar, mit einem Gitter aus hohlen Kanälen, welche entlang der Faser verlaufen. Wird sie in ihrer Herstellung kontinuierlich verdrillt, ähnelt sie einer Multihelix. Verdrillte PCF zeigen einige erstaunliche Eigenschaften, von der zirkularen Doppelbrechung bis hin zur Erhaltung des Drehimpulses. Die größte Überraschung ist jedoch die robuste Lichtleitung selbst ohne erkennbaren Faserkern. Die Grundlage dafür bilden Kräfte die ähnlich wie die Gravitation auf der Krümmung des Raumes beruhen.

Einleitung

Chirale Materialien bestehen aus vielen identischen Einheiten (Molekülen oder nanostrukturierten Elementen), die entweder in einer Lösung eine zufällige Orientierung aufweisen, oder in einer regelmäßigen Struktur angeordnet sind. Sie kommen in der Natur überall vor – beispielsweise treten die meisten biologischen Moleküle in rechts- und linkshändigen Varianten auf – und finden eine wachsende Zahl an Anwendungen in der Wissenschaft und Technologie. Eine verdrillte photonische Kristallfaser (t-PCF) besteht dagegen aus einer einzelnen, einachsigen chiralen Einheit, die sich in der dritten Dimension – der Verdrillrichtung – ins Unendliche erstreckt. Eine PCF selbst besteht typischerweise aus einer hexagonalen Matrix hohler Mikrokanäle, die in einer etwa 100 µm dicken Glasfaser verlaufen, sodass sie im verdrillten Zustand einer „Vielfach-Helix“ spiralförmiger Mikrokanäle um eine Mittelachse ähnelt (Abb. 1(a)).

Im Laufe der letzten Jahre haben wir das Lichtverhalten in einer Reihe verschiedenartiger t-PCF-Ausführungen untersucht, dabei einige überraschende Phänomene entdeckt und mögliche Anwendungen untersucht.

Herstellung der t-PCF

Wir benutzen zwei Methoden zur Herstellung der t-PCF. In der ersten wird eine nicht verdrillte PCF unter Erwärmung mittels eines CO2-Lasers nachbearbeitet, wobei die Faser zwischen einem motorisierten Drehtisch und einer starren Halterung eingespannt ist (Abb. 2(a)). Während der Motor sich dreht, fährt der fokussierte 10 µm-Laserstrahl die Faser in Längsrichtung mithilfe eines an einem motorisierten Präzisionslinearversteller befestigten Steuerspiegels ab. Nachdem die gewünschte Verdrillungsperiode und Probenlänge eingestellt sind, werden die Laserleistung und die Abtastgeschwindigkeit so gewählt, dass die Faser auf die Glasschmelztemperatur erhitzt wird. Der Scanprozess ist computergesteuert und in der Lage, bis zu 300 μm kurze Verdrillungsperioden zu erzielen. Bei der zweiten Methode benutzt man während des Ziehens der Faser einen Motor mit einer Drehzahl von einigen tausend Umdrehungen pro Minute, um die Glasvorform zu drehen, und ein sich drehendes Verbindungsstück mit vielen Einlässen, um den Druck im Inneren der hohlen Kanäle zu steuern (Abb. 2(b)). Das hat den Vorteil, dass in einfacher Weise lange Segmente (mehrere hundert Meter) einer spiralförmigen PCF mit Verdrillungsperioden von ein paar Millimetern hergestellt werden können.

Topologische Effekte

Eine intensive Nutzung der elektromagnetischen Wellenausbreitung in spiralförmigen Strukturen begann in den 1940er Jahren mit der Erfindung der Wanderwellenröhrenverstärker [1]. In dieser Apparatur wird ein Mikrowellensignal entlang eines spiralförmigen Drahtes geleitet, der sich spiralförmig um einen axial verlaufenden Elektronenstrahl wickelt. Da die physische Wegstrecke, die das sich spiralförmig bewegende Mikrowellensignal zurücklegt, länger ist als die direkte Entfernung entlang der Achse, sind die Gruppen- und Phasengeschwindigkeit des Signals effektiv reduziert. Durch ein entsprechendes Design kann der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Licht und Elektronenstrahl angepasst werden, was die Verstärkung des Mikrowellensignals durch Energie aus dem Elektronenstrahl ermöglicht. In ähnlicher Weise verursacht die geometrische Streckung der Mantelstruktur in einer t-PCF eine topologische Verlängerung der effektiven optischen Weglänge entlang der Achse und damit eine Erhöhung des effektiven Brechungsindex in Abhängigkeit vom Radius ρ gemäß der Gleichung neff(ρ) = n0(1 + α2ρ2)1/2, wobei n0 der Brechungsindex im nicht verdrillten Fall und α die Verdrillungsrate in rad/m sind (Abb. 1(b)).

Spektrale Einbrüche in t-PCF mit Einzelkern

Dieser topologische Effekt ermöglicht beispielsweise die Phasenanpassung des Lichts – das in einem zentralen massiven Glaskern (Modalindex nc) geleitet wird – an die fundamentale raumfüllende Mode im Mantel (Phasenindex nSM in der nicht verdrillten Faser) mit dem Ergebnis, dass bei bestimmten Wellenlängen Licht in die Mantelmoden hinein austreten kann. Das Ergebnis ist eine Serie von Einbrüchen im Transmissionsspektrum, die durch Antikreuzungen zwischen der Kernmode und den auslaufenden ringförmigen Mantelmoden verursacht werden (Abb. 1(c)), die einen Bahndrehimpuls besitzen, wobei jeder Einbruch einer anderen Ordnung des Bahndrehimpulses entspricht [2]. Da die hohlen Kanäle das Mantellicht in eine Spiralbahn ablenken, muss die azimutale Komponente ihres Wellenvektors Zahlenwerte annehmen, die einem ganzzahligen Vielfachen ℓ von 2π entsprechende Phasenausbreitung für eine Umrundung ergeben, wobei ℓ die Bahndrehimpuls-Ordnung ist. Das führt zur Bedingung in Gleichung (1):

(ℓ λ) / (2π) = naz ρ = nSM ρ sinΨnSM α ρ2          (1)

Dabei ist λdie Einbruch-Wellenlänge der ℓ-ten Bahndrehimpuls-Ordnung, naz die Azimutkomponente des Brechungsindexes und Ψα ρ der Ortswinkel zwischen den hohlen Kanälen und der Faserachse. Gleichung (1) erzielt eine bemerkenswert gute Übereinstimmung mit experimentellen Messungen [2], die insbesondere zeigen, dass die Einbruch-Wellenlängen linear mit der Verdrillrate skalieren. Wir haben die Verdrill- und Dehnempfindlichkeit dieser Einbrüche ausgenutzt, um einen rein optischen Verdrill-Dehn-Messwandler zu bauen [3].

Spiralförmige Bloch-Wellen

Das Verständnis der Physik der Lichtausbreitung in t-PCF stellt eine ziemliche Herausforderung dar, weil das natürliche, spiralförmige Koordinatensystem nicht rechtwinklig ist. Daraufhin haben wir ein neues Konzept eingeführt: spiralförmige Bloch-Wellen. Die optischen Bloch-Wellen jeder nicht verdrillten periodischen Struktur werden durch das Produkt einer periodischen Funktion P(r) (mit der Struktur entsprechenden Periodizitäten) und einem Glied beschrieben, das dem Phasenfortschritt der Bloch-Welle entspricht: P(r) exp(ikBr) [4]. Ein nützliches physikalisches Bild der Moden, die in einer t-PCF geleitet werden, kann durch eine Generalisierung des Bloch-Theorems konstruiert werden, sodass die azimutale periodische Funktion der Verdrillung folgt und die Form P(ρ,ϕαz) hat, wobei ρ die radiale Koordinate und ϕ der Azimutwinkel sind. Für jeden vorgegebenen Wert von z wird P sich bei den Winkelintervallen δϕ = 2π/N wiederholen, wo N die Anzahl der Wiederholungen der Struktur bei einer Drehung um 2π ist. Die Bloch-Wellen können dann über eine Reihenentwicklung nach den azimutalen Oberschwingungen der Bahndrehimpuls-Ordnung ℓ(m) = ℓ(0) + Nm analytisch berechnet werden. Das Einfügen dieses Feldansatzes in die Maxwell’schen Gleichungen erlaubt die Ableitung der Dispersionsrelation [5].

Sechs-Kern-t-PCF

Um die Eigenschaften spiralförmiger Bloch-Wellen zu erforschen, wurde eine t-PCF mit sechs Satellitenkernen aus massivem Glas, verteilt in einem Ring um ihre Achse herum, hergestellt (Abb. 3(a)). Die hohlen Kanäle besaßen Durchmesser von 2 µm, hatten einen Abstand von 3 µm und die Verdrillungsrate war 2,9 rad/mm. Diese Struktur unterstützt sechs nichtentartete spiralförmige Bloch-Moden mit unterschiedlichen Werten des Bahndrehimpulses sowohl in links- wie auch in rechtszirkular polarisierten Zuständen [6, 7]. Um die Bahndrehimpuls-Ordnung der durch die t-PCF geleiteten Moden zu bestimmen, wurde das Ausgangssignal auf einen divergierenden Gauß-Strahl überlagert und das sich ergebende Interferenzmuster mittels einer CCD-Kamera abgebildet. Die einzel- und doppelspiralförmigen Interferenzmuster in Abbildung 3(b), die bei einer Wellenlänge von 632,8 nm aufgezeichnet wurden, bestätigen, dass die Faser optische Spiralen erzeugt und den Wert und das Vorzeichen des Bahndrehimpulses für alle vier Moden erhält. Ähnliche Experimente, die für mehrere Wellenlängen und für Fasern mit einer Länge von bis zu 50 m durchgeführt wurden, bestätigten, dass die t-PCF den Wert und das Vorzeichen des Bahndrehimpulses erhalten.

Lichtleitung im verdrillten Raum

Wir haben einen neuen Mechanismus der Lichtleitung entdeckt, der auf einer t-PCF ohne Kern beruht [8]. Das Auftrennen der Faser und die Untersuchung ihres Querschnitts zeigt die vollständige Abwesenheit irgendwelcher Strukturen, bei denen Licht eingeschlossen werden könnte (Abb. 4(a)). Trotzdem unterstützt sie eine Leitungsmode: Die spiralförmige Verdrillung erzeugt einen topologischen Kanal, in dem Licht stabil eingeschlossen wird. Dies ist auf das quadratische Anwachsen der optischen Weglänge mit dem Radius zurückzuführen (wie oben erwähnt), das einen radialen Gradienten im axialen Brechungsindex erzeugt, der wiederum einen Potenzialtopf erzeugt, in dem Licht durch photonische Bandlückeneffekte eingeschlossen wird. Mithilfe mathematischer Werkzeuge aus der Allgemeinen Relativitätstheorie [9] haben wir gezeigt, dass die Geodäsie des Lichts geschlossenen Spiralwegen innerhalb des topologischen Kanals folgt, die Moden formen, die einen Bahndrehimpuls besitzen. Die effektive Fläche dieser Moden verringert sich mit der Verdrillungsrate α, sodass es mithilfe einer Variation der Verdrillungsrate längs der Faser möglich wäre, Fasern zu erzeugen, deren Modenfeld-Durchmesser sich mit der Position ändert. Anders als bei konventionellen, auf unterschiedlichen Brechungsindizes basierenden Lichtleitern, bei denen sich die geleitete Mode zur Außenseite der Krümmung verschiebt („normaler Kurvenweg“), verschiebt sich diese höchst ungewöhnliche Mode zur Innenseite der Krümmung hin („anomaler Kurvenweg“). Die Hamilton’sche Optik zeigt, dass die Mode als eine Mode mit negativer Effektivmasse angesehen werden kann (verursacht durch das entgegengesetzte Vorzeichen der brechenden Oberflächenkrümmung), sodass sie sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt, wenn sie Biegungskräften unterworfen wird [8].

Schlussfolgerungen

Die Fähigkeit der t-PCF, Bahndrehimpuls-Moden zu erzeugen und zu leiten, wie auch eine optische Aktivität und Zirkulardichroismus zu liefern [10], legt nahe, dass sie in vielen Anwendungen nützlich werden könnte. Aus der Serie der Übertragungs-Einbrüche in PCF mit massivem Kern bei durch Verdrillung durchstimmbaren Wellenlängen ergeben sich Anwendungen in der Sensorik und bei der Filterung [3]. Die Übertragung und Erhaltung der Zirkularpolarisationszustände macht die t-PCF für die Strommessung auf Basis der Faraday-Drehung sehr interessant. Ihre Fähigkeit, reine Bahndrehimpuls-Zustände über große Entfernungen zuverlässig zu übertragen, könnte zu Anwendungen in der Teilchen-Manipulation und Telekommunikation führen. Es scheint wahrscheinlich, dass sich viele dieser Effekte und Phänomene in der nahen Zukunft in Anwendungen in der realen Welt wiederfinden werden. Bis jetzt ist die Benutzung der t-PCF in der nichtlinearen Optik und Faserlasern noch unerforscht, wobei die Kombination der Bahndrehimpuls- und zirkularer Doppelbrechung mit Steuerung der Dispersion der Gruppengeschwindigkeit Möglichkeiten für neue Ausführungen modengekoppelter Solitonlaser, Geräte für die Wellenlängenkonvertierung und Superkontinuum-Lichtquellen bieten könnte.

Literaturhinweise

Kompfner, R.
The Traveling-Wave Tube as Amplifier at Microwaves
Proceedings of the I.R.E. 35, 124-127 (1947)
Wong, G. K. L.; Kang, M. S.; Lee, H. W.; Biancalana, F.; Conti, C.; Weiss, T.; Russell, P. St.J.
Excitation of Orbital Angular Momentum Resonances in Helically Twisted Photonic Crystal Fiber
Science 337, 446-449 (2012)
Xi, X. M.; Wong, G. K. L.; Weiss, T.; Russell, P. St.J.
Measuring mechanical strain and twist using helical photonic crystal fiber
Optics Letters 38, 5401-5404 (2013)
Russell, P. St.J.
Optics of Floquet-Bloch waves in dielectric gratings
Applied Physics B 39, 231-246 (1986)
Xi, X. M.; Wong, G. K. L.; Frosz, M. H.; Babic, F.; Ahmed, G.; Jiang, X.; Euser, T. G.; Russell, P. St.J.
Orbitalangular-momentum-preserving helical Bloch modes in twisted photonic crystal fiber
Optica 1, 165-169 (2014)
Beravat, R.; Wong, G. K. L.; Xi, X. M.; Frosz, M. H.; Russell, P. St.J.
Preservation of magnitude and chirality of OAM order in continuously twisted PCF with six satellite cores
CLEO/Europe-EQEC, paper CI–3.3 (2015)
ISBN: 978-1-4673-7475-0
Russell, P. St.J.; Beravat, R.; Wong, G. K. L.
Helically twisted photonic crystal fibres
Philosophical Transactions of the Royal Society  A  375, 20150440 (2017)
Beravat, R.; Wong, G. K. L.; Frosz, M. H.; Xi, X. M.; Russell, P. St.J.
Twist-induced guidance in coreless photonic crystal fiber: A helical channel for light
Science Advances 2, e1601421 (2016)
Russell, P. St.J.; Birks, T. A.
Hamiltonian Optics of Nonuniform Photonic Crystals
Journal of Lightwave Technology 17, 1982-1988 (1999)
Wong, G. K. L.; Xi, X. M.; Frosz, M. H.; Russell, P. St.J.
Enhanced optical activity and circular dichroism in twisted photonic crystal fiber
Optics Letters 40, 4639-4642 (2015)
Zur Redakteursansicht