Abbildung: University of Twente

Bereit für neue Turbulenzen

Zwei Max-Planck-Institute und zwei Forschergruppen der Universität Twente in Enschede, Niederlande, kooperieren in einem wegweisenden Zentrum für die Erforschung von komplexer Fluiddynamik. Dort wollen sie Fortschritte beispielsweise in der medizinischen Diagnostik oder dem Betrieb von Windkraftanlagen erreichen.

Ohne Flüssigkeiten und Gase würde es auf der Erde kein Leben geben. Die Dynamik von Fluiden bestimmt den Wärmehaushalt der Erde oder erzeugt deren Magnetfeld, im Körper halten uns die Lunge und das Herz am Leben. Wasser, Gase und Öle werden in Pipelines und Rohren transportiert. Die Effizienz der Verbrennung wie beispielsweise im Automotor oder auch die Herstellung von Chemikalien in großtechnischen chemischen Reaktionsanlagen hängt maßgeblich von der Dynamik der Gase und Flüssigkeiten ab. „Dieses sind nur sehr wenige Beispiele, die zeigen: Fluiddynamik bestimmt die Welt und das Universum. Und da diese Feldtheorie bis heute im Detail mathematisch noch unverstanden ist und auch Reaktionen oder Wechselwirkung von Fluiden mit Oberflächen tiefe Fragen aufwerfen, ist es unbedingt an der Zeit, dass sich die Physik mit den Grundlagen dieses Gebiets stark auseinandersetzt“, sagt Prof. Eberhard Bodenschatz, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen (MPIDS). Er hat dieses erste niederländische Max Planck Center gemeinsam mit Prof. Detlef Lohse, Institutsleiter an der Universität Twente (UT), initiiert. Vonseiten der UT sind die Forschungsgruppen Physik der Fluide und BIOS Lab-on-a-Chip federführend, neben dem MPIDS sind von der Max-Planck-Gesellschaft zudem Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz (MPIP) beteiligt.

Detlef Lohse, der als Leiter der Abteilung „Physics of Fluids“ an der Universität Twente einer der zwei Co-Direktoren des Centers ist, unterstreicht die Bedeutung für die Nachwuchsförderung: „Neben der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastruktur geht es uns auch insbesondere um die Förderung hochtalentierter junger Wissenschaftler. So wird es eine gemeinsame Ausbildung von hochqualifizierten Doktorandinnen und Doktoranden geben. Wir bieten einen Magneten für Toptalente.“

Synergien in der Infrastruktur

Der Göttinger Max-Planck-Wissenschaftler Eberhard Bodenschatz, ebenso Co-Direktor, sieht als weiteren zentralen Vorteil die gemeinsame Nutzung von Großgeräten. „Zusammen besitzen wir eine weltweit einzigartige Infrastruktur zur Untersuchung der Fluid-Physik. Diese können wir auf größtmöglich unterschiedlichen Skalen beobachten, also von einzelnen Flüssigkeitsbläschen im Nanobereich bis hin zu großskaliger Turbulenz, wie sie in der Natur in der Atmosphäre oder im Erdinneren vorkommt“, so Bodenschatz.  Beispielsweise können die Fluidforscher mit dem Taylor-Couette-System in Twente die turbulente Strömung zwischen zwei konzentrischen, schnell rotierenden Zylindern erforschen. Eine in Göttingen etablierte Infrastruktur, die wegen ihrer Form  „U-Boot“ genannt wird, dient dagegen der Untersuchung hochturbulentem Wärmetransport zwischen einer warmen Boden- und einer kalten Deckenplatte. Mit dem Hochdruckwindkanal, der ebenfalls in Göttingen steht, werden Transporteigenschaften des turbulenten Windes  und der Einfluss der Turbulenz auf Windkraftanlagen untersucht.  

Vielfalt der Anwendungsfelder

Auch auf dem Gebiet der Mikro- und Nanofluide hat das neue Max Planck Center eine hohe Expertise. So fragt eine Gruppe von Prof. Hans-Jürgen Butt, Direktor am MPIP, wie sich die Ausbreitung von Flüssigkeiten durch die Nanostrukturierung einer Oberfläche steuern lässt. Mit dieser Forschung wollen die Wissenschaftler Biofilme oder selbstreinigende Oberflächen herstellen oder die Vereisung eines Materials  verhindern. Die Gruppe um Prof. Katharina Landfester, Direktorin am Mainzer MPIP, wiederum geht den umgekehrten Weg: Sie untersucht, wie sich durch Flüssigkeiten mit strukturierten Nanopartikeln die Fluiddynamik beeinflussen lässt. Dadurch können zum Beispiel biologische Materialien zielgenau auf Oberflächen positioniert werden. Ebenso ermöglicht die Kooperation der drei Partner einen tieferen Einblick in biologische Prozesse mittels eines in Twente entwickelten Lab-on-a-Chip, einem winzigen Labor auf einer Platine, mit dem man zukünftig geringste Mengen einer Flüssigkeit wie beispielsweise Blut vor Ort analysieren kann.

CH/JE

Abbildung: Detail einer hochaufgelösten Computersimulation einer stark turbulenten Salzlösung. Das Fluid wird nicht nur durch Temperaturgradienten, sondern auch durch Gradienten in der Salzkonzentration angetrieben (doppelte Thermodiffusion). © University of Twente

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