Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

Koordinierter Flüssigkeitstransport durch zilienbesetzte Oberflächen

Coordinated fluid transport by ciliated surfaces

Autoren
Westendorf, Christian; Gholami, Azam; Faubel, Regina; Guido, Isabella; Wang, Yong; Bae, Albert; Eichele, Gregor; Bodenschatz, Eberhard
Abteilungen
„Fluiddynamik, Musterbildung und Biokomplexität“ & „Gene und Verhalten“ MPI für biophysikalische Chemie
Zusammenfassung
Aktiver und gerichteter Flüssigkeitstransport sind lebenswichtig für eukaryotische Organismen. Die Aufgabe des Transportes übernehmen oft zilienbesetzte Gewebe wie z. B. die Innenseite des Ventrikelsystems in Säugetiergehirnen. Durch eine neuartige Methode wurde eine hohe Komplexität der durch Zilien generierten Ströme im dritten Hirnventrikel nachgewiesen. Ziliengewebe, die mit einer derartigen Präzision arbeiten sind auch für die synthetische Biologie und technische Anwendungen interessant. Daher versucht unsere AG am MPI für Dynamik und Selbstorganisation solche Zilienteppiche nachzubilden.
Summary
Active and directed fluid transport are crucial for the survival of eukaryotic organisms. This is often carried out by ciliated tissues e. g., the inner wall of the ventriclar system in the mammalian brain. Using a novel method the complexity of the cilia driven fluid flow in the third ventricle of the brain is revealed. Furthermore, ciliated tissues, which are capable of driving such complex flows are interesting for synthetic biology and applications in technology. Therefore, our working group at the MPI for Dynamics and Self-Organization currently attempts to rebuild such ciliated carpets.

Der Transport von physiologisch wirksamen Substanzen und Nährstoffen über Körperflüssigkeiten ist ubiquitär verbreitet und essentiell in lebenden Organismen. Jedoch ist der Transport durch reine Diffusion der Stoffe zu langwierig, wenn Längenskalen von einigen Mikrometern überschritten werden. Aktiver und gleichzeitig gerichteter Transport sind daher eine Notwendigkeit in größeren Organismen [1].

Ein gutes Beispiel für die Umsetzung dieses Prinzips ist der Flüssigkeitstransport, bewirkt durch Zilien. Ursprünglich auch als Flimmerhärchen bezeichnet, sind Zilien ein in eukaryotischen Organismen verbreitetes Zellorganell. Motile bzw. bewegliche Zilien sind Ausstülpungen der Zellmembran und bewegen sich mittels eines sogenannten Axonems, bestehend aus Mikrotubuli und Motorproteinen. Die Bewegung ähnelt der eines Peitschenschlages. Die Frequenz in der die Zilien vor und zurück schlagen kann durchaus bis zu 50 Schläge pro Sekunde erreichen. Der koordinierte Peitschenschlag von zahlreichen Zilien bewirkt dann eine Bewegung der darüber liegenden Flüssigkeit. In höheren Eukaryoten kommen Zilien daher zumeist in großer Zahl auf dafür spezialisierten Geweben vor; so auch im ventrikulären System des menschlichen Gehirns. Dieses ventrikuläre System ist eine Anordnung von Kavitäten, welche mit der zerobrospinalen Flüssigkeit gefüllt ist. Über dieses System werden zahlreiche physiologische Substanzen als auch Abfallprodukte transportiert. Vom Ort der Produktion durchströmt die zerebrospinale Flüssigkeit das ventrikuläre System und in dessen Abfolge passiert es auch den sogenannten dritten Ventrikel (Abb. 1A). Die Zellschicht, welche die Ventrikel auskleidet und gleichzeitig die Zilien trägt, bezeichnet man als Ependyma. Eine schematische Darstellung findet sich in Abbildung 1B. Die Zilien liegen in jeder Zelle der Ependyma als Bündel zu etwa 80 einzelnen Zilien konzentriert. Jedes Zilium bzw. deren Axonem ist dabei über den sogenannten basalen Körper in der Zelle verankert. Die Zilienbündel auf der Ependyma bewirken die Bewegung der zerebrospinalen Flüssigkeit. Interessant ist, dass sich direkt anschließend an die Ependyma des ventralen Teils des dritten Ventrikels mehrere Nuclei des zentralen Nervensystems befinden. Als Nukleus bzw. Kern bezeichnet man Regionen des Gehirns, in denen Aggregate von Neuronen zusammengefasst sind. Diese Aggregate sind für eine bestimmte Funktion zuständig, bzw. deren neuronale Verbindungen haben ein ähnliches Ziel. Unter diesen befindet sich auch der Hypothalamus, welcher unter anderem die zirkadiane Rhythmik, den Hormonhaushalt und den Blutdruck reguliert.

Ein zilien-getriebenes Netzwerk aus Strömungen im Gehirn

Um den Einfluss der Zilien der Ependyma an dieser Schnittstelle zwischen dem ventrikulären System und dem zentralen Nervensystem zu erforschen, musste zunächst der dritte Ventrikel in seiner Gänze aus dem Gehirn der Maus heraus präpariert werden. Schneidet man diesen nun koronal auf, kann der Ventrikel quasi wie ein Buch aufgeklappt werden. So erhält man zwei freiliegende Ventrikelwände auf deren Oberseite die Zilien nach wie vor schlagen. Die von diesen Zilien erzeugten Strömungen können über fluoreszierende Kügelchen, die der Nährlösung zugegeben werden, und entsprechender Fluoreszenzmikroskopie, leicht beobachtet werden (Abb. 1C).

Diese fluoreszierenden Kügelchen können dann mittels entsprechender Software verfolgt und die Parameter der Strömungen ermittelt werden. Die so erhaltenen Richtungs- und Geschwindigkeitsangaben geben nun Aufschluss über die Zilienschlagrichtung. In Abbildung 2A und 2B sind diese zusammenfassend aufgetragen auf dem Hintergrund der entsprechenden ausgeschnittenen Ventrikelwand mit dem Zilienteppich oben auf. Unerwartet ist die Komplexität der Muster. Es ergeben sich zahlreiche Strömungen (die Hauptströmungen sind in Abbildung 2C nachgezeichnet), bzw. sogar ganze Netzwerke davon, auf einer Fläche von nur 1–2 Quadratmillimetern [2]. Besonders markant ist die Region, welche als Separatrix beschrieben wird, an der sich zwei gegenläufige Ströme treffen. Ebenfalls überraschend ist, dass sich diese Strömungsmuster innerhalb des Ruhephase/Aktivität Zyklusses der Maus ändern können. Bisher ging man davon aus, dass sich die Schlagrichtungen der Zilien zeitlich nicht ändern [2]. Vergleicht man die Region um die Separatrix (Abb. 2D), so ist im Falle der aktiven Maus ein Wirbel sichtbar, welcher nicht in der entsprechenden Region, einer in der Ruhephase befindlichen Maus, zu finden ist. Dieses konnte sowohl mittels der Strömungsanalyse als auch über direkte Beobachtung des Zilienschlags nachgewiesen werden [2]. Damit stellt sich natürlich die Frage, ob eine solche Veränderung eine physiologische Rolle hat. Diese Frage wird derzeit detailliert untersucht und für eine Beantwortung müssen auch die Bedingungen im lebenden Organismus berücksichtigt werden.

Damit die Zilien bzw. die von diesen angetriebenen Strömungen direkt beobachtet werden können, muss der dritte Ventrikel aus dem Gehirn heraus präpariert werden. Die aufgezeichneten Strömungskarten zeigen sehr genau die Schlagrichtung und Aktivität der Zilien nahe der Ventrikelwand (bis etwa 100 µm oberhalb der Wand). Jedoch bereits der dritte Ventrikel im Gehirn der Maus ist 200–300 µm breit. Des Weiteren handelt es sich beim aufgeschnittenen Ventrikel physikalisch gesehen um ein offenes System ohne Druckkopplung. Daher muss für die vollständige Beschreibung der Strömungen innerhalb des Gehirns auch der Einfluss des Drucks und der Einfluss der jeweils gegenüberliegen Wand des Ventrikels mit einbezogen werden. Die derzeitigen Möglichkeiten zur in vivo Vermessung der Strömungen sind in ihrer Auflösung noch nicht ausreichend und daher stellen fluiddynamische Simulationen der Strömungen in allen Raumdimensionen eine Notwendigkeit dar. Die Randbedingungen für derartige Simulationen ergeben sich aus der Geometrie des Ventrikels (Abb. 1A) und den Vektorfeldern (Abb. 2D). Die Vektorfelder werden aus den Strömungspfaden (Abb. 2A, 2B) erzeugt, in dem die Daten gemittelt und auf ein regulär angeordnetes Gitter aufgetragen werden. Die Wand des Ventrikels ist keine geometrisch planare Oberfläche und die gemittelten Vektorfelder werden auf die Geometrie des Ventrikels projiziert. Damit dienen die Ergebnisse der Strömungsanalyse direkt als Ausgangspunkt für die numerische Simulation. Erste Ergebnisse sind in Abbildung 2E dargestellt. Der gewählte Ausschnitt ist derselbe wie in Abbildung 2D. Grau unterlegt sind exemplarische Strömungslinien, die den simulierten Verlauf in der Nähe des Wirbels darstellen und zeigen, wie sich die fluoreszierenden Kügelchen bewegen würden, wenn diese innerhalb des Gehirns in der Nähe des Wirbels injiziert werden würden.

Die Fragen, die sich nun stellen, betreffen die Effizienz dieser Strömungsnetzwerke, deren Struktur in Abhängigkeit von der Aktivitätsphase der Maus und vor allem ob und wenn ja welche Substanzen von und zu den Nuklei transportiert werden. Weiterführende Experimente und die Strömungssimulation der erhaltenen Ergebnisse unter realistischen Bedingungen werden Auskunft darüber geben.

Synthetische Zilienteppiche

Die Fähigkeit eines zilienbesetzten Gewebes zum gerichteten Transport einer derartigen Komplexität ist für technische Applikationen von Interesse. Beispielsweise könnten solche Gewebe einen Mikrofluidik-Kanal auskleiden und ein gewünschtes Flussmuster in diesem erzeugen.

Um zilienbehaftetes Gewebe herzustellen, bestehen zwei Möglichkeiten. Zunächst können zilien-ähnliche Strukturen aus den entsprechenden Protein-Untereinheiten synthetisch aufgebaut werden, was bereits vor einigen Jahren gezeigt worden ist [3]. Dabei werden Bestandteile des eukaryotischen Zytoskeletts polymerisiert und zusammen mit den entsprechenden Motor-Proteinen können spontane oszillatorische Bewegungen entstehen. Um dieses jedoch in einen funktionierenden Zilienteppich zu überführen, bedarf es noch zahlreicher Adaptionen. So müssen z. B. die Zilien über Anker-Proteine auf ein vorgegebenes Mikrogitter an der Wand des Mikrofluidik-Kanals übertragen werden.

Komplementär zu diesem Ansatz können Zilien bzw. die verwandten Flagellen aus einfachen Eukaryoten isoliert werden. Die Alge Chlamydomonas reinhardtii benutzt zum Beispiel Flagellen um sich im Wasser fortzubewegen. Der innere Aufbau dieser Flagellen ist den Zilien sehr ähnlich, doch sind diese aus der Alge experimentell viel leichter zugänglich [4]. Eine solche isolierte und membranlose Flagelle schlägt auch außerhalb der Zelle weiter (Abb. 3A), sofern ihr die nötige chemische Energie hinzugeführt wird. Zeichnet man die Bewegung beider Enden der Flagelle nach (Abb. 3A, weiß und blau), so ergibt sich das Bewegungsmuster und deutlich zu erkennen rotiert die schlagende Flagelle im Kreis. Aus diesen Bewegungsmustern kann man die Parameter der Bewegung bestimmen. In Abbildung 3B ist beispielweise die Krümmung der Flagelle über deren Bogenlänge und die Zeit aufgetragen. Hydrodynamische Simulationen, welche sich der Widerstandskraft-Theorie bedienen, benötigen nun diese Werte als Ausgangspunkt. Die Ergebnisse dieser Simulation zeigen eine qualitative Übereinstimmung mit der experimentell bestimmten Bewegung (Abb. 3C). Zur Visualisierung zeigt Film 1 die Simulation der Flüssigkeitsströmungen, welche durch die Bewegung der Flagelle getrieben werden.

Film 1

Diese Visualisierung zeigt die Simulation der Flüssigkeitsströmungen, welche durch die Bewegung der Flagelle getrieben werden.

Beide Ansätze stehen noch am Anfang, doch könnten sie zum Beispiel der Mikrofluidik eine neue Richtung geben. Die Zusammensetzung der synthetischen Zilienteppiche ist prinzipiell wählbar und daher könnten auch die Parameter der erzeugten Strömung vorab festgelegt werden. Schlussendlich könnten die synthetisch hergestellten Zilienteppiche natürlich auch mit denen aus dem menschlichen Organismus bekannten Geweben, wie dem ventrikulären System im Gehirn, verglichen werden.

Literaturhinweise

West, G.; Brown, J.; Enquist, B.
A General Model for the Origin of Allometric Scaling Laws in Biology
Science 276, 122-126 (1997)
Faubel, R.; Westendorf, C.; Bodenschatz, E.; Eichele, G.
Cilia-based flow networks in the brain ventricles
Science 353, 176-178 (2016)
Sanchez, T.; Chen, D.; DeCamp, S.; Heymann, M.; Dogic, Z.
Spontaneous motion in hierarchically assembled active matter
Nature 491, 431-443 (2012)
Witman G. B.
Isolation of Chlamydomonas flagella and flagellar axonemes
Methods in Enzymology 134, 280-290 (1986)
Zur Redakteursansicht