Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Beobachtung der Entstehung der massereichsten Galaxien im Universum

Autoren
Beifiori, Alessandra; Mendel, J. Trevor
Abteilungen
„Optische und Interpretative Astronomie“
Zusammenfassung
Die vielfältigen Formen von Galaxien ergeben sich aus komplexen physikalischen Prozessen, die die Sternentstehung und das zeitliche Anwachsen der stellaren Massen steuern. Neue Nahinfrarot-Messungen ermöglichten es die Verteilung der Sterntypen und die chemischen Eigenschaften von fernen massereichen Galaxien zu untersuchen. Die gemessenen Absorptionsmerkmale in den Galaxienspektren erlaubten es ihre Entstehungszeiten einzuschränken, eine verbesserte Verteilung ihrer Sternmassen zu erzeugen und ihren dynamischen Zustand zu bestimmen, als das Universum weniger als 4 Milliarden Jahre alt war.

Reiche Vielfalt bei nahe gelegenen Galaxien

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war unser Verständnis des Universums von unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, dominiert. Die Entdeckung, dass die Milchstraße nur ein kleiner Teil eines viel größeren Universums ist, führte dazu, dass sich hunderte schwache, unscharfe „Nebel“, die von Astronomen wie Charles Messier und Edwin Hubble untersucht wurden, plötzlich zu riesigen, viele Millionen Lichtjahre weit entfernten Sterninseln wandelten.

Ursprünglich wurde die Mehrheit der Galaxien aufgrund ihrer visuellen Erscheinung in eine von zwei Klassen eingeteilt: Spiralgalaxien oder elliptische Galaxien [1, 2]. Während Spiralgalaxien typischerweise eine dominierende, abgeflachte Scheibe und deutliche Spiralarme aufweisen, zeigen elliptische Galaxien stattdessen eine eher diffuse und runde Form mit nur geringen Variationen in ihrer Helligkeit. Im Laufe der Zeit wurde diese „Hubble-Sequenz“ erweitert, um die gesamte Vielfalt der beobachteten Galaxienformen zu beschreiben (Abb. 1). Diese reichen von massereichen elliptischen Galaxien, über „linsenförmige“ Galaxien, die als Spiralgalaxien sowohl runde als auch Scheibenkomponenten enthalten, bis hin zu Galaxien, die sich jeglicher Klassifizierung entziehen, den sogenannten „Irregulären Galaxien“.

Diese reiche Vielfalt von Galaxienmorphologien entsteht durch die komplexen physikalischen Prozesse, die die Entstehung von neuen Sternen bedingen und das Wachstum der stellaren Massen im Laufe der Zeit beeinflussen. Im frühen Universum werden Galaxien durch Gasfilamente und -strömungen aus dem Kosmos gespeist (Abb. 2). Im Laufe der Zeit kühlt dieses Gas ab und es entstehen Sterne. Während sich das Universum weiter ausdehnt, werden die Galaxien immer massereicher bis ihre Gasversorgung schließlich versiegt und die Sternentstehung zum Erliegen kommt. Die neuesten Himmelsdurchmusterungen vom Boden und aus dem All zeigen, dass diese passiven Galaxien bereits 2–3 Milliarden Jahre nach dem Urknall auftauchen. Die massereichsten Galaxien, die Vorläufer der heutigen Ellipsen, sind dabei diejenigen, in denen die Sternentstehung zuerst versiegte.

Aktuelle Modelle der Galaxienentstehung sagen voraus, dass Galaxien in Ansammlungen Dunkler Materie, den sogenannten „Dunkle-Materie-Halos“, eingebettet sind. Die Entwicklung jeder einzelnen Galaxie wird sowohl durch ihre innere Struktur als auch durch die Eigenschaften dieses Halos aus Dunkler Materie beeinflusst. Man erwartet, dass die massereichsten Halos aus Dunkler Materie zuerst Galaxien bilden, während in weniger massereichen Halos die Galaxienentstehung später einsetzt. Diese Modelle können zwar noch nicht die genauen Eigenschaften von massereichen Galaxien vorhersagen, wenn deren Sternentstehung abgeschlossen ist, dennoch legen sie nahe, dass sich das Erscheinungsbild dieser Galaxien im Laufe der Zeit wesentlich verändern sollte, da sie mit benachbarten Galaxien in Wechselwirkung treten und mit diesen verschmelzen können. Diese Entwicklung sollte umso schneller ablaufen, je mehr Nachbargalaxien vorhanden sind. Ein vollständiges Modell des Galaxienwachstums erfordert daher die sorgfältige Betrachtung mehrerer Evolutionswege; diese wiederum sollten idealerweise durch Daten aus verschiedenen evolutionären Phasen der Galaxien eingeschränkt werden.

Sternpopulationen in massereichen Galaxien

Um die Details der Entstehung massereicher Galaxien verstehen zu können, müssen die urzeitlichen Informationen, die in ihren Sternen gespeichert sind, entschlüsselt werden. Sterne sind langlebig und enthalten somit die vollständige Entwicklungsgeschichte der Galaxie. Die Eigenschaften des von einer Galaxie emittierten Lichts (Helligkeit, Farbe), aufgespalten in das elektromagnetische Spektrum, stehen in direktem Zusammenhang mit den Eigenschaften der zugrunde liegenden Sternpopulation. Wenn wir diese Daten mit verschiedenen Spektralmodellen vergleichen, so können ihr Alter, ihr Staubgehalt und die Häufigkeit verschiedener chemischer Elemente abgeschätzt werden. Mit diesem Ansatz wurden bereits die Eigenschaften von nahen elliptischen Galaxien untersucht und es zeigte sich, dass diese typischerweise sehr alt sind. Allerdings ist es unmöglich, die Entstehungsgeschichte der Galaxien allein mit Daten aus dem nahen Universum zu rekonstruieren.

Die endliche Lichtlaufzeit kommt uns hier zu Hilfe: Die größten Teleskope der Welt können genutzt werden, um „in die Vergangenheit zu blicken“ und die Entstehung der massereichen Galaxien zu frühen kosmischen Zeiten „vor Ort“ zu beobachten. Wenn wir nun aber Objekte betrachten, die immer weiter entfernt liegen, so wird die von ihnen emittierte Strahlung aufgrund der Ausdehnung des Universums „gestreckt“, d. h. die Strahlung wird zu niedrigeren Energien und längeren Wellenlängen verschoben, ähnlich dem bekannten Dopplereffekt. So sind solche Untersuchungen erst mit der Entwicklung effizienter Nahinfrarot-Instrumente möglich geworden, die an die weltweit größten Teleskope gekoppelt sind, wie zum Beispiel der K-Band Multi-Objekt-Spektrograph (KMOS) [4, 5] am „Very Large Telescope“ (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO), der im nahinfraroten Band messen kann.

Spektroskopische Daten sind unbedingt notwendig, um die Eigenschaften der Sterne in einer Galaxie zu bestimmen. Die relativen Stärken der unterschiedlichen Absorptionsmerkmale zeigen sowohl die Verteilung der Sterntypen als auch ihre chemischen Eigenschaften. Mit KMOS haben wir die einzigartige Möglichkeit, das Licht von 24 unterschiedlichen Galaxien gleichzeitig zu untersuchen. Wenn diese Daten mit Bildern des Hubble-Weltraumteleskops (HST) kombiniert werden, die bei verschiedenen Wellenlängen aufgenommen wurden, können wir eine Vielzahl von Galaxieneigenschaften einschränken. Aus der Breite der Absorptionslinien kann die Relativbewegung der Sterne bestimmt werden und daraus, in Kombination mit den HST-Daten, das Gravitationspotenzial einer Galaxie insgesamt. Aus den Linienstärken können die Eigenschaften der Sternpopulation abgeleitet werden, wie Alter oder die Häufigkeit von chemischen Elementen (mit Ausnahme von Wasserstoff und Helium) [6].

Abbildung 3 zeigt eine Vergrößerung des sogenannten „Hubble Ultra Deep Field“. Dieser kleine Himmelsausschnitt (etwa 1/10 vom Durchmesser des Vollmonds) wurde mit mehreren Instrumenten an Bord des HST abgebildet. Wir konnten eine ferne massereiche elliptische Galaxie identifizieren (im gelben Quadrat in Abb. 3) und zeigen das Modell für die spektrale Energieverteilung einer derartigen Galaxie im frühen Universum. Beachten Sie die roten Farben der Galaxie.

Wann hörte die Sternentstehung in fernen massereichen Galaxien auf?

Die Nahinfrarotspektroskopie von KMOS ermöglichte es in den letzten Jahren nicht nur, die Anzahl der Messungen von Linienbreiten in fernen, massereichen Galaxien zu verdoppeln, sondern zudem die Entstehungsgeschichte von passiven Galaxien über mehr als 10 Milliarden Jahre hinweg einzuschränken.

Indem wir die Spektren selektierter, isolierter massereicher Galaxien zusammen genommen und die Stärke ihrer Absorptionslinien gemessen haben, konnten wir das Alter dieser Galaxien abschätzen [6]. Die Kombination der KMOS-Daten mit Daten aus der Literatur zeigte, dass die Entstehung passiver Galaxien in zwei Phasen eingeteilt werden kann. Eine frühe, aktive Phase, in der die Galaxien immer noch wachsen, indem sie Gas aus dem Kosmos schnell ansammeln, sowie nach einem raschen Abschalten der Sternentstehung die späte Phase, in der Galaxien sich durch die weitere Entwicklung ihrer Sternpopulationen verändern und somit die Eigenschaften erhalten, die wir heute beobachten.

Elliptische Galaxien im lokalen Universum sind bekannt dafür, dass sie strengen, grundlegenden Regeln folgen. So können Eigenschaften wie die Größe der Galaxie, die Lichtverteilung, die Geschwindigkeitsdispersion der Sterne, die Masse, die Farbe und die Eigenschaften der Sternpopulation miteinander in Beziehung gesetzt werden. Diese Korrelationen dienen als Werkzeuge, um die Modelle zur Galaxienentstehung einzuschränken. So bietet insbesondere die „Fundamentalebene“ die Möglichkeit, die Sternpopulationen von massereichen Galaxien in unterschiedlichen Epochen zueinander in Beziehung zu setzen und damit ihre Entstehungszeiten einzuschränken. Mit spektroskopischen Daten von KMOS konnten wir die Fundamentalebene dazu einsetzen, die Entstehung von Galaxiengruppen und -haufen – einige der massereichsten Strukturen im Universum – zu untersuchen. Wir konnten zeigen, dass die Daten mit theoretischen Modellen konsistent sind, nach denen sich Galaxien zuerst in den massereichsten Strukturen bilden.

Ein genaueres Bild der Sternmasse in entfernten Galaxien

Wir verwendeten außerdem sehr tiefe HST-Photometrie um die Größe und Morphologie von weit entfernten Galaxien in Haufen zu messen. Zusammen mit Modellen für die Sternpopulationen der Galaxien konnten wir daraus Karten ihrer Sternmasse erstellen (Abb. 4) [8, 9]. Die Massenverteilung in fernen Galaxien scheint viel kompakter zu sein als ihr Licht, ein Effekt der von älteren Sternpopulationen im Zentrum im Vergleich zu den Außenbezirken erzeugt wird. Im Vergleich zu nahen Galaxien zeigen die fernen Objekte viel größere Unterschiede zwischen ihrer Massen- und ihrer Lichtgröße – ein Hinweis darauf, dass sich über die Lebensdauer massereicher Galaxien hinweg etwas verändert. Die Änderung der Farben innerhalb der Galaxien lassen sich mit der Annahme erklären, dass es Unterschiede gibt im Alter der Sterne und der Menge der chemischen Elemente zwischen ihrem Zentrum und ihrem Außenbereich. Dies ist das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, in dem allmählich Satellitengalaxien in den Außenbereichen akkretiert werden. Diese Unterschiede in Alter und Häufigkeit sollten im Laufe der Milliarden Jahre andauernden Galaxienentwicklung abnehmen bis sie die Werte erreichen, die im lokalen Universum zu sehen sind.

In welchem dynamische Zustand befinden sich massereiche Galaxien?

In den letzten Jahren hat sich die Zahl von fernen massereichen Galaxien mehr als verdoppelt, bei denen sowohl Linienbreitenmessungen mittels Spektroskopie als auch tiefe Bilder in mehreren Wellenlängenbändern vorliegen. Damit können ihre Eigenschaften weit besser charakterisiert werden – zu einer Zeit, wenn die Vielfalt der Hubble-Sequenz ausgebaut wird. Die Kopplung der neuen Daten mit dynamischen Modellen erlaubte es, die gesamte dynamische Masse dieser Objekte einzuschränken und zu zeigen, dass in ihren Kernen nur ein relativ geringer Anteil Dunkler Materie vorhanden ist, verglichen zu den Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft. Die Änderung scheint mit der Veränderung der äußeren Form der Galaxien einherzugehen, die die Galaxien aufgrund der Wechselwirkungen mit anderen Galaxien über ihre Lebensdauer hinweg erfahren. Außerdem zeigen ferne Galaxien eine größere Rotationsgeschwindigkeit im Vergleich zu nahe gelegenen Galaxien; dies passt zu einem Szenario, bei dem frühe Galaxien eher Scheiben ähneln und noch nicht die heutige elliptische Struktur aufweisen.

Literaturhinweise

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Sharples, R.; Bender, R.; Agudo Berbel, A.; Bennett, R.; Bezawada, N.; Castillo, R.; Cirasuolo, M.; Clark, P.; Davidson, G.; Davies, R.; Davies; R.; Dubbeldam, M.; Fairley, A.; Finger, G.; Schreiber, N. F.; Genzel, R.; Haefner, R.; Hess, A.; Jung, I.; Lewis, I.; Montgomery, D.; Murray, J.; Muschielok, B.; Pirard, J.; Ramsay, S.; Rees, P.; Richter, J.; Robertson, D.; Robson, I.; Rolt, S.; Saglia, R.; Saviane, I.; Schlichter, J.; Schmidtobreik, L.; Segovia, A.; Smette, A.; Tecza, M.; Todd, S.; Wegner, M.; Wiezorrek, E.
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Sizes, colour gradients and resolved stellar mass distributions for the massive cluster galaxies in XMMUJ2235-2557 at z = 1.39
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PhD Thesis, LMU München (2016)
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