Forschungsbericht 2016 - Max Planck Florida Institute for Neuroscience

Aktivitätsabhängige Ausbildung von kortikalen Netzwerken während der frühen Embryonalentwicklung

Autoren
Kwon, Hyungbae
Abteilungen
Max Planck Research Group Cellular Basis of Neural Circuit Plasticity
Zusammenfassung
Synapsen verbinden Neuronen zu funktionellen Netzwerken. Diese Zell-Zell Verbindungen sind somit ein grundlegender Bestandteil normaler Gehirnfunktionen. Falsch angelegte Verbindungen führen zu Funktionsstörungen oder sogar zum Tod. Während der Embryonalentwicklung verlängert jede Nervenzelle ihre Axone und Dendriten und bildet Verbindungen mit inhibierenden, aber auch mit signal-verstärkenden Nervenzellen, die interessanterweise miteinander vermischt sind. Wie diese Synapsen hochpräzise an spezifischen Punkten auf den Dendriten angelegt werden, ist noch weitgehend unbekannt.

Die Ausbildung kortikaler Netzwerke

In der frühen Embryonalentwicklung formt jede Nervenzelle Verbindungen (Synapsen) sowohl mit sogenannten signal-inhibierenden Interneuronen also auch mit signal-verstärkenden exitatorischen Nervenzellen. Interessanterweise finden sich diese inhibierenden und signal-verstärkenden Synapsen miteinander vermischt auf den Dendriten, jedoch sind die Mechanismen, die die individuelle Ausbildung der verschiedenen Synapsen hochpräzise an spezifischen Punkten auf den Dendriten steuern, noch weitgehend unbekannt. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass ansteigende Nervenzellaktivität auch die Neuausbildung von sogenannten dendritischen Dornen, das sind kleine Protuberanzen auf der Oberfläche von Nervenzellen, induzieren und zur lokalen Anhäufung von Gephyrin führen kann. Gephyrin ist ein Strukturprotein, das in inhibitorischen Synapsen Rezeptoren für Neurotransmitter im post-synaptischen Zytoskelett verankert. Bislang haben Beschränkungen der mikroskopischen Auflösung unser Verständnis von der genauen Lokalisierung von exitatorischen und inhibitorischen Synapsen limitiert.

Neue Daten zeigen nun, dass der Botenstoff Glutamat allein schon ausreichend ist, um die Neubildung von dendritischen Dornen zu induzieren [1] und dadurch den lokalen Mechanismus der Synapsenbildung individuell zu definieren und auszulösen. Darüber hinaus fanden die Forscher erneut Hinweise darauf, dass Nervenzellaktivität eine Schlüsselrolle bei der Definition der Identität (exitatorisch oder inhibitorisch) einer bestimmten Synapse zu spielen scheint [2]. Im Detail konnte gezeigt werden, dass bestimmte Muster von GABA Ausschüttung (Gamma-Amino-Buttersäure) die Ausbildung von neuen Gephyrin Punctae auslösen kann und damit auch die Bildung neuer dendritischer Dornen hervorruft. Durch die Verwendung von Zwei-Photonen-Mikroskopie und Glutamat Freisetzung mit Hilfe von lasergesteuertem Uncaging sowie gleichzeitiger Analyse der Bildung von Gephyrin Punctae und dendritischen Dornen konnte das Labor neue lokale Mechanismen studieren, die für die de-novo Ausbildung von inhibitorischen und exitatorischen Synapsen verantwortlich sind. (Abb. 1).

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten außerdem, dass die Anhäufung von Gephyrin und die Ausbildung dendritischer Dornen durch die Aktivierung des GABAA Rezeptors (GABAAR) und darauf folgendem Kalziumeinstrom durch spannungsgesteuerte Kalziumkanäle (voltage-dependent-calcium-channels, VDCCs), insbesondere vom Typ L und T, ausgelöst wird. Zusätzlich zeigte sich, dass die neuausgebildeten Gephyrin Cluster ebenfalls eine Funktion übernehmen und GABAA Rezeptoren „anziehen“. Die Forscher stellten weiterhin fest, dass durch GABA-Photolyse ausgelöste Neubildung von Synapsen auch durch Manipulation der Aktivität von Somatostatin-positiven Interneuronen in der Großhirnrinde rekapituliert werden kann, was darauf hindeutet, dass diese Vorgänge höchstwahrscheinlich auch während der normalen Gehirnentwicklung stattfinden.

Damit hatte die Forschergruppe erstmals demonstriert, wie lokale GABA Ausschüttung die frühe Ausbildung von exitatorischen und inhibitorischen Synapsen auslösen und damit auch die Balance zwischen stimulierenden und inhibierenden synaptischen Kontakten festlegen kann. Die Arbeiten zeigen weiterhin, dass die präzise Lokalisation von stimulierenden und inhibierenden Synapsen induzierbar und nicht in den neugebildeten Dendriten vorherbestimmt ist. Diese Studien ermöglichen somit einen neuen, mechanistischen Einblick in die Ausbildung von Nervenzellnetzwerken im Großhirn von Säugetieren und könnten so die Pathogenese von neuropsychiatrischen Krankheiten erklären, wie zum Beispiel Schizophrenie und Autismus, die mit geringfügigen Veränderungen der Balance zwischen stimulierenden und inhibierenden Synapsen assoziiert sind.

Mechanismen funktioneller Ausbildung neuronaler Mikronetzwerke

Im Verlauf der Entwicklung von Nervenzellnetzwerken im Säugetier Großhirn erhalten Gruppen von stimulierenden Nervenzellen gleichartige sensorische Information von funktionellen neuronalen Mikronetzwerken. Die Ausbildung von solchen funktionellen Populationen ist nicht auf die sensorische Großhirnrinde beschränkt, sondern kann auch in verschiedenen sub-kortikalen Arealen während der normalen Embryonalentwicklung oder beim Lernen beobachtet werden. Dieses Phänomen wird mehr und mehr als ein grundlegendes Element der Nervenzellkodierung im Säugetiergehirn erkannt. Wahrscheinlich spielen Veränderungen in der Effizienz der synaptischen Signalübertragung, oder Modifikationen der Nervenzell-Verschaltung eine grundlegende Rolle in diesem Prozess. Jedoch fehlt den Forschern bis jetzt noch ein systematisches Verständnis der Netzwerkveränderungen auf dem Niveau mehrerer miteinander verschalteter Nervenzelleinheiten.

Um diese Fragen zu bearbeiten, müssen neue Techniken eingesetzt werden, die es ermöglichen, neuronale Aktivität mit hoher Raum-Zeit Auflösung zu kontrollieren und die subzellulären Funktionen und Strukturen während der Induktion von Netzwerkplastizität in Echtzeit zu analysieren. Das Labor hat dazu eine Zweiphotonen Photolyse Technik entwickelt, die gleichzeitig mit hochauflösender mikroskopischer Bildaufnahme angewendet werden kann. Mit dieser Technik können die Forscher spezielle Nervenzellaktivitätsmuster von zufällig ausgewählten Zellgruppen in den pyramidalen Schichten 2 und 3 der somatosensorischen Großhirnrinde generieren und nachfolgend analysieren, wie diese zufällige Aktivierung die Ausbildung von Nervenzellnetzwerken beeinflusst [3]. Es zeigte sich, dass repetitives Auslösen von Aktionspotentialen, sogenannten Spike Trains, in solchen zufällig ausgesuchten Nervenzellgruppen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Zellen dieser Gruppen über einen längeren Zeitraum Signale korreliert weiterleiten können (Abb. 2).

Die Ausbildung solcher funktional korrelierter Nervenzellgruppen war von dem Zeitintervall zwischen Spike Train und der Aktivierung von NMDA Rezeptoren sowie von CaMKII abhängig, was darauf schließen lässt, dass synaptische Plastizität diesen Prozessen unterliegt. Zudem waren die Forscher dank der neuen Technik in der Lage herauszufinden, dass die zeitliche Abfolge der Aktivität und die Anzahl der involvierten Nervenzellen zwar entscheidend für die Ausbildung von gerichteter Vernetzung sind, der physikalische Abstand zwischen zwei Nervenzellen aber keine Rolle spielte.

Zusammengefasst zeigen diese Ergebnisse, dass die Ausbildung von funktionellen Mikronetzwerken von präzisen zeitlichen Stimulierungen determiniert wird und dass dieser Mechanismus sehr wahrscheinlich die zelluläre Basis für derart gerichtete Eigenschaften der Nervenzell-Verschaltung in der Großhirnrinde sein könnte.

Literaturhinweise

Kwon, H. B.; Sabatini,  B. L.
Glutamate induces de novo growth of functional spines in developing cortex
Nature 474, 100-104 (2011)
Oh, W. C.; Lutzu, S.; Castillo, P. E.; Kwon, H. B.
De novo synaptogenesis induced by GABA in the developing mouse cortex
Science 353, 1037-1040 (2016)

Kim, T; Oh, W. C.; Choi, J. H.; Kwon, H. B.
Emergence of functional subnetworks in layer 2/3 cortex induced by sequential spikes in vivo
Proceedings of the National Academy of Sciences USA 113, E1372-E1381 (2016)

Zur Redakteursansicht