Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Zugang zu Daten in der datengetriebenen Wirtschaft

Access to data in the data-driven economy

Autoren
Richter, Heiko; Surblytė, Gintarė; Wiedemann, Klaus
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München
Zusammenfassung
In der Digitalwirtschaft basieren Geschäftsmodelle zunehmend auf dem Sammeln, Auswerten und Verwenden von Daten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Zugangs zu Daten und ihrer Zuweisung sind komplex und nicht eindeutig. Mit Blick auf die Bedeutung des Zugangs und die „Initiative zum freien Datenfluss“ der EU-Kommission beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb vertieft mit der datengetriebenen Wirtschaft und analysiert etwaigen Regelungsbedarf.
Summary
Business models in the digital economy are increasingly based on the collection, analysis and use of data. However, the legal framework addressing general issues of access to and control of data is complex and not entirely clear. Given the importance of access to data and in light of the EU Commission’s “free flow of data” initiative, a working group of the Max Planck Institute for Innovation and Competition digs deeper into questions of the data-driven economy, in particular the need and the optimal scope of data-related regulation.

Datengetriebene Wirtschaft und Digitalisierung

Die Nutzung von Daten spielt angesichts der fortschreitenden Digitalisierung in immer mehr Lebensbereichen eine wichtige Rolle. In der Industrie wächst die Zahl an Geschäftsmodellen, die auf Daten beruhen. Das können sowohl Daten sein, die natürliche Personen betreffen, als auch solche Daten, die sich nicht auf Personen beziehen. Ein Beispiel hierfür sind Daten, die mit Sensoren erhoben werden, wie maschinengenerierte Daten in Fertigungsprozessen, fahrzeuggenerierte Daten oder Wettermessdaten. Wie steht es nun um die rechtlichen Rahmenbedingungen für nicht personenbezogene Daten? Bedarf es einer Regulierung, um innovative Geschäftsmodelle zu fördern und neue Märkte zu schaffen? Der Rechtsrahmen ist nicht klar abgesteckt, und die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung von Daten hat zu einer intensiven Diskussion über eine rechtliche Regulierung geführt. Es steht außer Frage, dass die Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens die interessengerechte Weiterentwicklung der datengetriebenen Wirtschaft maßgeblich mitbestimmt. 

Auf politischer Ebene beabsichtigt die Europäische Kommission, diesen Entwicklungen im Rahmen ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt (COM(2015) 192 final) Rechnung zu tragen. In ihrer „Initiative zum freien Datenfluss“ untersucht sie, ob EU-weit auch für nicht personenbezogene Daten Regulierungsbedarf besteht.

Die Diskussion über den Schutz von Daten in der Wissenschaft

Die Tätigkeit des europäischen Gesetzgebers steht im Zusammenhang mit dem weltweiten Wissenschaftsdiskurs zu den rechtlichen Implikationen der datengetriebenen Wirtschaft. Vor allem in Deutschland herrscht eine rege Diskussion über die Frage, ob eine Zuweisung von Daten an Rechtssubjekte durch Ausschließlichkeitsrechte oder in anderer Form geboten ist. Auch das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb hat sich mit verschiedenen Veranstaltungen und Publikationen aktiv in die Fachdiskussion zum optimalen Schutz von Daten eingebracht. Dies gilt sowohl für personenbezogene als auch für nicht personenbezogene Daten, denn in der datengetriebenen Industrie lassen sich die beiden Kategorien kaum genau voneinander abgrenzen. Für die Wertschöpfung ist vielmehr eine Kombination verschiedener Datentypen charakteristisch.

Die alljährliche Alumni-Tagung des Instituts widmete sich im Juni 2016 dem Thema „Daten als Wertschöpfungsfaktor: Gesetzgeberischer Handlungsbedarf?“. Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler diskutierten mit Praktikern aus Industrie, Verbänden und Anwaltschaft. Während sich die Alumni-Tagung auf die Frage des Schutzes von Daten ohne Personenbezug konzentrierte, war der Schutz personenbezogener Daten Gegenstand der ebenfalls einmal im Jahr durchgeführten Mitarbeitertagung. Sie fand im Oktober 2016 statt und behandelte das Thema „Personal Data in Competition, Consumer Protection and IP Law – Towards a Holistic Approach?“ („Personenbezogene Daten im Kartell-, Verbraucherschutz- und Immaterialgüterrecht – Auf dem Weg zu einem umfassenden Ansatz?“).

Zu der speziellen und weitreichenden Frage nach Zuweisungsrechten an Daten hat das Institut das Positionspapier „Ausschließlichkeits- und Zugangsrechte an Daten“ verfasst. Es richtet sich an Fachkreise, Gesetzgeber, staatliche Behörden und an die interessierte Öffentlichkeit und versteht sich auch als Stellungnahme des Instituts zu den Kommissionsvorhaben. Das Positionspapier ist ein Resultat der am Institut im Herbst 2015 eingerichteten Arbeitsgruppe, welche die Entwicklung der datengetriebenen Wirtschaft mit Blick auf etwaigen Regulierungsbedarf beobachtet und regelmäßig intern diskutiert. Sie setzt sich zusammen aus den beiden Direktoren der juristischen Abteilung des Instituts (Josef Drexl und Reto M. Hilty), wissenschaftlichen Referenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und vom Institut geförderten Doktoranden.

Das Positionspapier beschäftigt sich vorrangig mit Daten ohne Personenbezug, etwa maschinengenerierten Daten. Es diskutiert, inwiefern nach geltendem Recht eine Zuweisung von Daten an Private beziehungsweise Zugangsansprüche zu solchen bestehen oder geschaffen werden sollten. Seine Kernaussage besteht darin, dass es nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht notwendig ist, Ausschließlichkeitsrechte an Daten zu schaffen. Im Gegenteil – es gibt Grund zur Sorge, dass die voreilige Einführung eines absoluten Schutzrechts zu Innovations-, Wettbewerbs- und Wohlfahrtshemmnissen und somit zum Gegenteil des eigentlich Bezweckten führt.

Die Einführung eines „Dateneigentums“ entbehrt einer Grundlage: Weder gibt es einen Grundsatz, wonach absolute Rechte an Daten zwangsläufig einer Person zuzuweisen wären, noch bestehen Anzeichen für eine grundsätzliche ökonomische Rechtfertigung eines entsprechenden Schutzrechts. Daten sind bereits heute Gegenstand von Geschäften und es entspricht gängiger Praxis, vertragliche Vereinbarungen über die Weitergabe von Daten und den jeweils zulässigen Nutzungs- und Verwertungsumfang abzuschließen. Auch ist es üblich, technische Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Kontrolle über die Daten zu behalten. Dieses funktionierende System spricht gegen eine gesetzgeberische Intervention.

Außerdem hat das Positionspapier untersucht, ob der nach der Datenbank-Richtlinie (RL 96/9/EG vom 11. März 1996) europarechtlich gebotene Sui-generis-Schutz (ein Schutz „eigener Art“) von Datenbanken Rechte an einzelnen Daten Rechtssubjekten zuweist. Gerade dies soll aber mit der Richtlinie vermieden werden, denn sie bezweckt allein einen Investitionsschutz, der Anreize dafür schaffen soll, Datenbanken zu bereits gegebenen Einzeldaten einzurichten.

Das Positionspapier thematisiert auch, inwiefern Algorithmen rechtlichen Schutz genießen. Diese sind eine maßgebende Voraussetzung für die Datenverarbeitung, vor allem, wenn es darum geht, gezielt – etwa beim sogenannten Data-Mining – Datensätze zu analysieren. Das Positionspapier kommt zu dem Ergebnis, dass Algorithmen derzeit weder nach urheber- noch nach patentrechtlichen Vorschriften geschützt sind. Auch die Software-Richtlinie (RL 2009/24/EG vom 23. April 2009) gewährt keinen Schutz. Ein solcher würde faktisch Geschäftsmodelle schützen und damit den Grundsätzen des Immaterialgüterrechts widersprechen.

Ein weiterer Punkt, den das Positionspapier erläutert, ist, inwiefern das Kartellrecht Zugang zu Daten gewährt. Es ist allerdings nur begrenzt zweckdienlich: Zwar wurden auf Grundlage des Marktmachtmissbrauchstatbestands (Art. 102 AEUV) bereits in Einzelfällen Zugangsrechte zu Daten zugesprochen, das Kartellrecht gewährt aber generell keinen klar definierten, rechtssicheren Zugangsanspruch. Auch sein Anwendungsbereich ist beschränkt: So ist beispielsweise eine marktbeherrschende Stellung zwingende Tatbestandsvoraussetzung. Unabhängig von der Schwierigkeit, Datenmärkte abzugrenzen und „Datenmacht“ im Einzelfall nachzuweisen, sind zahlreiche Fallkonstellationen somit von vornherein kaum erfasst. Außerdem sind die kartellrechtlichen, reaktiv ausgestalteten Durchsetzungsmöglichkeiten in der Praxis zu langsam und zu sehr einzelfallabhängig, als dass sie in der schnelllebigen Datenwirtschaft einen praktikablen, einklagbaren Zugangsanspruch zu Daten gewähren könnten.

Das Positionspapier behandelt auch die Frage, ob das Vorliegen von Handlungsunrecht ein Anknüpfungspunkt für Regulierung sein kann. Es geht hier um die rechtliche Missbilligung und Ahndung von Handlungen, die für die datengetriebene Wirtschaft relevant sind, ohne dass damit eine konkrete Rechtezuweisung einherginge. Unklar ist, ob die Richtlinie 2016/943/EU vom 8. Juni 2016 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum Schutz einzelner Daten oder von Datensätzen herangezogen werden kann. Eine Stellungnahme dazu von der Europäischen Kommission wäre aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit über einen fundamentalen Aspekt der datengetriebenen Wirtschaft wünschenswert.

Abschließend fragt das Positionspapier, ob gesetzlich verankerte Zugangsansprüche zu Daten eingeführt werden sollten. Einerseits scheint dies denkbar zu sein. Andererseits sehen die Verfasser erheblichen Forschungsbedarf, wenn es darum geht, allgemeine oder sektorspezifische Zugangsregeln zu schaffen. Die Schaffung derartiger Rechte müsste auch die Zugangsmodalitäten behandeln, vor allem Fragen der Standardsetzung und der Interoperabilität.

Ausblick

Das Positionspapier hat aufgezeigt, dass es noch großen Klärungsbedarf zur Regulierung der datengetriebenen Wirtschaft gibt. Um Einblicke aus der Praxis zu erhalten, hat die Arbeitsgruppe im Dezember 2016 einen Dialog mit Vertretern ausgewählter Wirtschaftszweige aufgenommen. Bei diesen Gesprächen geht es unter anderem darum, welche datenbasierten Geschäftsmodelle die Unternehmen betreiben oder planen und wie sie die dafür notwendigen Daten gewinnen und verarbeiten. Ebenso spielen technische Fragen eine Rolle, zum Beispiel der Standardisierung, der Interoperabilität und hinsichtlich Schutzmaßnahmen. Die Arbeitsgruppe interessiert sich auch dafür, wie der Bedarf an gesetzlichen Änderungen eingeschätzt wird, vor allem mit Blick auf die bereits beschriebene Zuweisungs- und Zugangsproblematik.

Von den Gesprächen erhofft sich die Arbeitsgruppe, ihre Erkenntnisse über die komplexen Zusammenhänge der datengetriebenen Wirtschaft zu erweitern und dadurch auch die praktische Relevanz der rechtlichen Fragen besser beurteilen zu können. Nicht zuletzt möchten die Wissenschaftler mit diesem Vorgehen auch den Forschungsbedarf für die nächsten Jahre ermitteln.

Literaturhinweise

Drexl, J; Hilty, R. M.; Desaunettes, L.; Greiner, F.; Kim, D.; Richter, H.; Surblytė, G.; Wiedemann, K.

Ausschließlichkeits- und Zugangsrechte an Daten. Positionspapier des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb vom 16.8.2016 zur aktuellen europäischen Debatte
GRUR International 65 (10), 914–918 (2016)
Drexl, J; Hilty, R. M.; Desaunettes, L.; Greiner, F.; Kim, D.; Richter, H.; Surblytė, G.; Wiedemann, K.
Data Ownership and Access to Data – Position Statement of the Max Planck Institute for Innovation and Competition of 16 August 2016 on the Current European Debate (August 16, 2016)
Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 16-10

Drexl, J.

Designing Competitive Markets for Industrial Data – Between Propertisation and Access (October 31, 2016)

Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 16-13.

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