Forschungsbericht 2016 - Assoziierte Einrichtung - Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience

Wie neuronale Rhythmen die effektive Konnektivität im Gehirn beeinflussen

Autoren
Wunderle, Thomas
Abteilungen
Assoziierte Einrichtung - Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience, Frankfurt am Main
Zusammenfassung
Bei der Verarbeitung sensorischer Reize leistet unser Gehirn Schwerstarbeit: Millionen von Nervenzellen müssen zusammenwirken, um die Flut an Informationen über unsere Umwelt zu verarbeiten. Bei der gerichteten Übermittlung von Information im Gehirn spielt die rhythmische Synchronisation zwischen Gehirnarealen eine wichtige Rolle. Neue Experimente zeigen nun, dass neuronale Rhythmen aufgenommene Reize verstärken können. Dieser Mechanismus erklärt, wie wir durch die gezielte Steuerung unserer Aufmerksamkeit bestimmte Objekte bewusst wahrnehmen können.

Anatomische, funktionelle und effektive Konnektivität in neuronalen Netzwerken

Das menschliche Gehirn enthält etwa 86 Milliarden Nervenzellen, so genannte Neuronen, welche über spezielle Verbindungen, die Synapsen, miteinander verbunden sind. Sie bilden das komplexe Netzwerk, das es uns erlaubt zu fühlen, zu denken und zu handeln. Bis etwa zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich die Erforschung des Gehirns auf dessen anatomische Strukturen, die Identifikation einzelner Neuronentypen und deren Verbindungen. Es zeigte sich jedoch, dass die Kenntnis der anatomischen Strukturen und ihrer Verbindungen zueinander alleine nicht ausreicht, um zu erklären, wie die Verarbeitung von Information im Gehirn funktioniert. Durch die rasche Entwicklung der Elektrotechnik wurde es bald möglich, mittels Elektroden die elektrischen Signale abzuleiten, mit denen Neurone untereinander kommunizieren. Durch zeitgleiche Ableitung zweier Neurone oder Neuronengruppen konnte man nun durch Analyse der aufgenommenen Daten deren „funktionelle Konnektivität“ bestimmen. Dieser Begriff beschreibt eine statistische Abhängigkeit der Neurone im neuronalen Netzwerk, sagt aber nichts über deren kausalen Zusammenhang aus [1]. Einen Schritt weiter geht die Bestimmung der „effektiven Konnektivität“, die genau beschreibt, wie ein Neuron ein anderes beeinflusst.

Selektive Reizweiterleitung durch Modulation effektiver Konnektivität

Im Gegensatz zur anatomischen Konnektivität, die wie eine Straße zwei Orte im Gehirn konstant miteinander verbindet, ist die effektive Konnektivität zwischen zwei Neuronengruppen keineswegs festgelegt, sondern wird je nach Situation flexibel moduliert. Ein gutes Bespiel dafür ist das Phänomen der selektiven visuellen Aufmerksamkeit: Ein Objekt im Gesichtsfeld, auf das wir unsere Aufmerksamkeit richten, wird im Gehirn verstärkt repräsentiert. Das drückt sich durch eine Erhöhung der Feuerraten derjenigen Neurone aus, die für dieses Objekt kodieren [2]. Hierbei stellt man sich vor, dass zwei Neuronenpopulationen in einem niederen Areal (A und B), welche für unterschiedliche Objekte kodieren, auf eine gemeinsame Neuronenpopulation (C) in einem höheren Areal projizieren, d.h. anatomische Verbindungen eingehen. A und B konkurrieren nun um eine effektive Verbindung mit C (Abb. 1). Die effektive Konnektivität derjenigen Neuronengruppe, die für das Objekt kodiert, auf das unsere Aufmerksamkeit gerichtet wird, wird erhöht, und damit die Repräsentation dieses Objektes an C verstärkt weitergegeben. Da sich unsere Aufmerksamkeit ständig von einem auf das nächste Objekt richtet, muss sich dieser Mechanismus schnell und flexibel an die neue Situation anpassen können.

Einen Vorschlag zur Lösung dieses Problems liefert die CTC Hypothese (Communication Through Coherence): Diejenige Neuronengruppe (A oder B), welche das Objekt im Aufmerksamkeitsfokus kodiert, tritt mit der Zielregion C in einen bestimmten zeitlichen Bezug. Weiterhin ist bekannt, dass Neuronengruppen, welche aktiv an der Verarbeitung von Reizen beteiligt sind, ihre Aktivität rhythmisch modulieren, d.h. innerhalb eines bestimmten Frequenzbereiches oszillieren. Im visuellen System sind hier die sogenannten Gamma-Oszillationen im Bereich von 40-80 Hertz von besonderer Bedeutung. Die rhythmische Synchronisierung von zwei Neuronengruppen, wie sie die CTC Hypothese beschreibt, ist eine Möglichkeit, wie effektive Konnektivität flexibel moduliert werden kann. Dafür wird angenommen, dass durch die rhythmische Synchronisierung die neuronale Verstärkung (gain) in der Zielpopulation erhöht wird. Verstärkung bezeichnet hier eine erhöhte Antwort der Neurone auf einen konstanten Reiz. Es wird nun vermutet, dass es während einer Periode Phasen gibt, wo die Verstärkung gering ist, damit ein ankommender Reiz wenig Beachtung findet, und Phasen mit hoher Verstärkung, bei denen ein ankommender Reiz stark verstärkt und somit bevorzugt weiterverarbeitet wird.

Die Untersuchung dieser Hypothesen und Mechanismen bildet den Fokus der Arbeitsgruppe am Ernst Strüngmann Institut. In einer 2016 veröffentlichten Studie konnte der Einfluss rhythmischer Synchronisierung auf die neuronale Verstärkung im wachen Affen nachgewiesen werden [3]. In dieser Studie wurden Rhesusaffen darauf trainiert, ihre Aufmerksamkeit auf eines von zwei schwarz-weißen Balkengittern zu richten, welche auf einem Stimulationsmonitor vor dem Tier dargestellt wurden, ähnlich der Darstellung in Abbildung 1. Zu einem zufälligen Zeitpunkt änderte sich die Farbe eines Balkengitters zu schwarz/gelb, was der Affe, um seine Belohnung zu erhalten, durch Betätigen eines Hebels anzeigen musste, falls es sich um dasjenige Balkengitter handelte, auf welches seine Aufmerksamkeit gerichtet war. Im visuellen Areal V4 zeigten die abgeleiteten Neurone als Antwort auf den Farbwechsel eine Erhöhung ihrer Aktivität (Abb. 2A). Gleichzeitig waren diese Neurone rhythmisch aktiv im Gamma-Frequenzband (Abb. 2B). Trifft die oben genannte Hypothese zu, sollte die Stärke der neuronalen Antwort auf den Farbwechsel von der Phase der vorliegenden Gamma-Oszillation abhängen. Wie die Analyse der Daten zeigte, war genau dies der Fall. Die Abbildung 2 C zeigt die Verteilung der Phasen für eine Ableitung. Befanden sich die Neurone in der Phase +90° (Abb. 2 D, hellblau), war der Anstieg der Feuerrate auf den Farbwechsel um etwa 25 Aktionspotentiale pro Sekunde (A/s) größer als wenn sich die Neurone in der entgegengesetzten Phase von -90° befanden Abb. 2 D, grün).

Im Mittel ergab sich eine um bis zu 20 Prozent höhere Feuerrate, wenn sich die Neurone in der präferierten Phase befanden, im Vergleich zur nicht präferierten Phase. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass diese phasenabhängige Verstärkung auch einen Einfluss auf das Verhalten der Tiere hat: Die Reaktionszeit, mit denen die Affen den Farbwechsel der Balkengitter anzeigten, verkürzte sich, wenn die Reaktion zu der präferierten Gamma-Phase erfolgte, zu  der auch die Feuerraten am größten waren.

Kontrolle neuronaler Oszillationen durch optogenetische Stimulation

Die oben genannten Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die rhythmische Synchronisation von Neuronenpopulationen und deren damit verbundene lokale Oszillationen eine Modulierung der effektiven Konnektivität ermöglichen, welche auch Einfluss auf das Verhalten hat. Allerdings lässt sich anhand dieser Daten nicht klären, wo genau die Modulation der Verstärkung - und damit die Modulation der effektiven Konnektivität - stattfinden. Auch sind die abgeleiteten Neurone im wachen Tier natürlich weiteren Einflüssen (Neuromodulatoren, Feedback von höheren Arealen oder anderen Oszillationen) ausgesetzt, welche die Ergebnisse beeinflussen könnten. Daher etablierte die Arbeitsgruppe  eine Methode, um neuronale Rhythmen direkt zu manipulieren und so eine bessere experimentelle Kontrolle der neuronalen Oszillationen zu erhalten.

Die Möglichkeit, die Funktion des neuronalen Netzes zu verstehen, indem man einzelne Elemente gezielt manipuliert, erkannte Francis H. Crick bereits 1979. Er postulierte eine Methode, bei der nur die Neuronen eines bestimmten Typs inaktiviert würden, ohne die Aktivität anderer zu verändern [4]. Es sollte jedoch noch 26 Jahre dauern, bis eine Technik entwickelt war, die eine gezielte Aktivierung und Deaktivierung von Neuronen  erlaubte. 2005 nutzen Boyden und Deisseroth einen lentiviralen Vektor, um den zuvor von Nagel und Bamberg charakterisierten [5], lichtsensitiven Kationenkanal „Channelrohdopsin-2“ (ChR2) in kultivierten Neuronen zur Expression zu bringen [6]. Durch Licht einer bestimmten Wellenlänge werden diese Kanäle geöffnet und Ionen strömen in die Zelle, was ein Aktionspotential auslöst (Abb. 3 A). Unsere Forschergruppe nutzt adeno-assoziierte virale (AAV)-Vektoren, um das ChR2-Gen in bestimmte Neurone zu schleusen. Durch Injektionen kleinster Mengen des Vektors – unter Vollnarkose direkt ins Gehirngewebe - werden nur Neurone lokal um die Injektionsstelle (und damit in einem bestimmten Gehirnareal) infiziert und damit durch Licht aktivierbar (Abb. 3B). Dies wurde im Areal 21a der Katze durchgeführt, einem Areal homolog zu V4 im Primaten. Es zeigte sich, dass eine Aktivierung der erregenden Pyramidenzellen mittels Laserlicht im lokalen neuronalen Netzwerk eine Oszillation im Gamma-Band hervorruft, ähnlich wie es ein visueller Stimulus vermag (Abb. 3C). Diese Oszillation konnte durch die Experimentatoren zeitlich präzise gesteuert werden und ist räumlich genau definiert: ideale Voraussetzungen, um die in den Affenexperimenten gefundene rhythmische Verstärkung durch Gamma-Oszillationen zu verifizieren. Als Test-Input wurde den Katzen auf einem Stimulationsmonitor ein kurzer Reiz präsentiert, der im Areal 21a eine transiente Erhöhung der Feuerraten bedingte. Interessanterweise zeigte sich auch hier, analog zu den Affenexperimenten, dass die Phase der lokalen Gamma-Oszillation im Areal 21a einen Einfluss auf die Feuerraten hatte [3]. Zu einer bestimmten Phase der Gamma-Oszillation waren die Feuerraten als Antwort auf den konstanten visuellen Reiz im Mittel rund 22 Prozent größer als zu der entgegengesetzten Phase. Durch die experimentell kontrollierte optogenetische Stimulation konnte so nachgewiesen werden, dass sich die phasenabhängige Verstärkung von neuronalen Signalen postsynaptisch abspielt - also in der Neuronenpopulation, welche Informationen empfängt.

Die Ergebnisse zeigen, dass optogenetische Manipulationen helfen können, die genauen Mechanismen neuronaler Interaktion besser zu verstehen, und somit eine wichtige Erweiterung klassischer neurophysiologischer Methoden sind. In aktuellen Forschungsprojekten sollen weitere Zelltypen optogenetisch manipuliert und die Technik an wachen Primaten angewandt werden. Dadurch können gezielte Manipulationen mit dem Verhalten der Tiere korreliert und so auch Schaltkreise identifiziert werden, die an kognitiven Funktionen und Verhalten beteiligt sind.

Literaturhinweise

K. J. Friston
Functional and effective connectivity: a review
Brain connectivity 1, 13 (2011)
J. H. Reynolds, L. Chelazzi, R. Desimone
Competitive mechanisms subserve attention in macaque areas V2 and V4.
The Journal of neuroscience: the official journal of the Society for Neuroscience 19, 1736 (Mar 1, 1999)
Ni, J.; Wunderle, H.; Lewis, C. M.; Desimone, R.; Diester, I.; Fries, P.
Gamma-rhythmic gain modulation
Neuron 92, 240-251 (2016)
F. H. Crick
Thinking about the brain
Scientific American 241, 219 (Sep, 1979)
Nagel, G.; Szellas, T.; Huhn, W.; Kateriya, S.; Adeishvili, N.; Berthold, P.; Ollig, D.; Hegemann, P.; Bamberg, E.
Channelrhodopsin-2, a directly light-gated cation-selective membrane channel.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 100, 13940 (Nov 25, 2003)
E. S. Boyden, F. Zhang, E. Bamberg, G. Nagel, K. Deisseroth
Millisecond-timescale, genetically targeted optical control of neural activity.
Nature neuroscience 8, 1263 (Sep, 2005)
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