Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Meteorologie

Wald und Klima – Potenziale und Nebenwirkungen zukünftiger Aufforstung

Autoren
Pongratz, J.; Sonntag, S.
Abteilungen
Abteilung "Land im Erdsystem", Selbstständige Forschungsgruppe "Forstwirtschaft im Erdsystem"
Zusammenfassung
Wiederaufforstung ist eine vieldiskutierte Maßnahme, um dem Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre entgegenzuwirken. Bisherige Studien bezogen sich oft auf eine Umkehr der Effekte vergangener Entwaldung. Die hier vorgestellten globalen Modellsimulationen zeigen aber, dass in einem zukünftigen warmen, CO2-reichen Klima das Potenzial zur Speicherung von Kohlendioxid (CO2) durch Wiederaufforstung stärker sein könnte als vermutet. Eine Anpassung an den Klimawandel wird weiterhin notwendig sein, wenngleich die Wiederaufforstung Klimaextreme abschwächen kann.

1. Das Anthropozän

Der Einfluss des Menschen auf das Erdsystem ist so grundlegend, dass vorgeschlagen wurde, eine neue geologische Epoche auszurufen: das Anthropozän [1]. Noch ist nicht entschieden, ob diese Bezeichnung als als eigene Epoche Einzug in die erdgeschichtliche Skala finden wird. Falls ja, würde die Entscheidung darüber wohl anhand von stratigrafischen Kriterien (im Wesentlichen einer Schicht aus langlebigem Abfall wie etwa atomaren Rückständen, Plastik und Beton) gefällt. Diese Überlegungen zeugen davon, dass die Menschheit das Erdsystem nicht nur beeinflusst, sondern in vielerlei Hinsicht sogar dominiert [2]. So stieg etwa der CO2-Gehalt der Atmosphäre in den letzten Dekaden rasanter als je zuvor in den letzten Hundertausenden von Jahren. Mit der Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens (großindustrielle Ammoniak-Synthese) und der Einführung von Kunstdünger wird mehr Stickstoff gebunden als in allen natürlichen Ökosystemen. Und für jedermann beobachtbar ist auch das Bild der Erdoberfläche vom Menschen dominiert: durch Landnutzung.

Drei Viertel der eisfreien Landfläche sind vom Menschen genutzt (siehe Abb. 1) [3]. Teils hat er  die Landbedeckung Wald in Ackerland umgewandelt. Auf noch größeren Arealen blieb zwar die Art der Vegetation grundsätzlich unverändert. Dennoch bewirtschaftet der Mensch diese Flächen etwa durch Beweidung oder Holzernte. Und selbst das verbleibende Viertel „Wildnis“ ist indirekt über den Klimawandel vom Menschen gezeichnet.

Landnutzung wirkt sich deutlich auf viele Bereiche des Erdsystems, von Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufen über Wasserbilanz hin zu Biodiversität, aus. Etwa ein Drittel der gesamten menschengemachten CO2-Emissionen über die letzten 150 Jahre hinweg ist auf Entwaldung zurückzuführen [4]. Diese Auswirkungen auf das Erdsystem waren lange weitgehend unbekannt. Doch angesichts des globalen Klimawandels beginnt man nun zu begreifen, wie sich mittels Landnutzung das Klima gezielt beeinflussen lässt. Eine vieldiskutierte Maßnahme dabei ist die Wiederaufforstung: Nachwachsende Wälder entziehen durch Fotosynthese der Atmosphäre Kohlenstoff und können ihn langfristig in ihren Stämmen und Böden speichern.

2. „Geoengineering“ durch Wiederaufforstung

Das Klimasystem durch Landnutzungsänderung wie etwa Wiederaufforstung bewusst zu beeinflussen, wird häufig als “Geoengineering” bezeichnet. Unter diesen Begriff fallen aber auch vieldiskutierte Methoden wie das Einbringen von Staubteilchen in die Atmosphäre, um so einen Teil der Solarstrahlung von der Erde weg zu reflektieren, oder eine Veränderung der Ozeanchemie, um verstärkt Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Diese Methoden sind jedoch oft kostspielig und bergen hohe Risiken, was die klimatischen Folgen unvorhergesehener Nebeneffekte angeht. Die klimawirksame Landnutzung hebt sich hiervon jedoch qualitativ stark ab: Durch ihre lange Geschichte sind viele Landnutzungsaktivitäten in ihrer Klimawirkung bereits beobachtet. Daher lassen sich die Folgen zukünftiger Landnutzungsänderungen besser einschätzen [5].

Ein Hindernis großflächiger Wiederaufforstung sind die Abwägungen gegenüber anderen Arten der Nutzung des Landes: Insbesondere die Nahrungsmittelversorgung und Erhalt der Biodiversität muss gewährleistet bleiben. Dies hält Abschätzungen darüber, wie viel Fläche für Aufforstung zur Verfügung stehen wird, eher niedrig. Einige ökonomische Studien gehen jedoch davon aus, dass Landwirtschaft stark intensiviert wird. Der zunehmende Bedarf an Nahrung und pflanzenbasierten Rohstoffen einer steigenden Bevölkerung wird auf den bestehenden Flächen mehr als erfüllt werden – es werden sogar landwirtschaftliche Flächen aufgegeben. Diese frei werdenden Flächen stehen dann laut ökonomischer Studien für Wiederaufforstung zur Verfügung [6].

Unklar ist allerdings, wie groß das Potenzial solcher zusätzlichen Wälder zur Kohlenstoffaufnahme tatsächlich ist. Frühere Studien gehen davon aus, dass sich damit nur etwa fünf Prozent des zukünftigen, menschengemachten CO2-Anstiegs, wie er bei weiter zunehmendem Verbrauch fossiler Brennstoffe zu erwarten wäre, ausgleichen ließe [7]. Diese Abschätzungen beruhen allerdings auf Beobachtungen der Vergangenheit: Was einst an CO2 durch Abholzen der Wälder in die Atmosphäre gelangte, so die Überlegung, wird beim Nachwachsen dieser Wälder von diesen wieder aufgenommen. Unberücksichtigt bleibt hierbei, dass das Klima der Zukunft drastisch anders aussehen kann als in der Vergangenheit. Trotz politischer Bemühungen emittiert die Menschheit jedes Jahr an die 10 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Der daraus resultierende Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre und die damit verbundenen veränderten Umweltbedingungen beeinflussen allerdings auch das Waldwachstum. Deswegen beschäftigen sich die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Meteorologie in der Abteilung „Land im Erdsystem“ mit der Rückkopplung von Vegetation und Klima auch in Szenarien starken Klimawandels.

3. Abschätzung des Potentials zur Kohlenstoffspeicherung durch Wiederaufforstung

Zukünftige Klimasituationen und die Produktivität von Vegetation auf globaler Skala abzubilden, ist eine Paradeanwendung von Erdsystemmodellen. Sie beschreiben das Zusammenspiel von Prozessen in der Atmosphäre, im Ozean und auf der Landoberfläche auf der Basis von naturwissenschaftlichen Gesetzen, die in entsprechende mathematische Gleichungen und letztlich in eine Computersimulation übersetzt wurden.

Einem solchen Erdsystemmodell wurde nun das oben beschriebene Wiederaufforstungsszenario vorgegeben. Die Abgase aus fossilen Brennstoffen, die den Verlauf des Klimas überwiegend bestimmen, wurden dabei aus einem Szenario genommen, das einen starken Anstieg der Treibhausgasemissionen aus fossilen Brennstoffen annimmt. Hätte man dieses Szenario als Ganzes übernommen, also neben den Treibhausgasemissionen aus fossilen Brennstoffen auch das Landnutzungsszenario, hätte man eine starke Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen angenommen – eine Intensivierung findet hier, anders als im Aufforstungsszenario, nicht statt. Dieses Szenario als Ganzes dient den Forschern als Referenz, eine ansonsten gleiche Welt, die aber keine Aufforstung zulässt. Wie in Abb. 2 dargestellt, nehmen im Laufe des Jahrhunderts im Aufforstungsszenario die landwirtschaftlich genutzten Flächen stark ab und die bewaldeten Flächen stark zu. Im Referenzszenario hingegen ist eine starke Vergrößerung der landwirtschaftlich genutzten Flächen und ein leichter Rückgang der bewaldeten Flächen zu verzeichnen.

Die Ergebnisse der Simulationen unseres Erdsystemmodells sprechen für ein höheres Kohlenstoffsenkenpotenzial als zuvor angenommen [8]. Dies ist bedingt durch den kombinierten Effekt von einer Ausdehnung der Waldflächen und gestiegener Kohlenstoffaufnahme der terrestrischen Biosphäre in einem warmen und CO2-reichen Klima. Die gestiegene Kohlenstoffaufnahme ist auf Effekte wie eine verlängerte Wachstumsperiode in hohen Breiten oder begünstigtes Pflanzenwachstum unter den höheren CO2-Konzentrationen zurückzuführen. Dadurch reduziert sich die CO2-Konzentration verglichen mit dem Referenzszenario am Ende des 21. Jahrhunderts um 85 ppm („parts per million“; etwa zehn Prozent des projizierten Anstiegs, siehe Abb. 3). In den Simulationen führt die Aufforstung zu einer leichten Abnahme der globalen Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts verglichen mit dem Referenzszenario (Abb. 3).

4. Regionale Klimaeffekte von Aufforstung

Die Aufforstung steht aufgrund ihres Kohlenstoffspeichervermögens im Fokus der Politik. Sie ist allerdings auch in anderer Hinsicht klimarelevant: Den Treibhausgasen stehen sogenannte biogeophysikalische Effekte gegenüber, die sich vor allem auf das lokale und regionale Klima auswirken. Aus der Vogelperspektive ist ein Acker deutlich heller als ein Wald, reflektiert also mehr Solarstrahlung und erwärmt sich weniger. Allerdings verdunstet ein dichter Wald oft mehr Wasser als ein flachwurzelnder Acker. Diese Selbstkühlung durch Transpiration wirkt dem erwärmenden Effekt eines dunklen Waldes entgegen.

Während sich die Emissionen in der Atmosphäre rasch durchmischen und somit stets global wirken, beschränken sich die biogeophysikalischen Effekte primär auf das lokale und regionale Klima. Auf dieser Skala, etwa in Nordamerika und Europa, hat historische Landnutzung den Anstieg der globalen Temperaturen durch Emissionen sowohl aus Entwaldung als auch aus Verbrennung fossiler Energieträger zu einem großen Teil vermindert [9].

Für das Aufforstungsszenario reduziert sich die mittlere Erwärmung in dicht besiedelten Gebieten nur geringfügig (siehe Abb. 4). Aufforstung hat dort also kaum Konsequenzen für die Notwendigkeit zur Anpassung an den Klimawandel. Aber die Ergebnisse legen auch nahe, dass die Reduzierung von Temperaturextremen die Notwendigkeit der Anpassung in einigen Regionen vermindert. So zeigt sich in den Simulationen, dass im Aufforstungsszenario etwa in Teilen Europas die wärmsten Tage eines Jahres im Vergleich zum Referenzszenario weniger warm sind.

5. Ausblick

Auch wenn das Ausmaß an Kohlenstoffspeichervermögen durch Aufforstung bislang möglicherweise unterschätzt war, und sie sich bei der Anpassung an den Klimawandel nutzen lässt, um Klimaextreme abzuschwächen: Die globale Entwicklung des Klimas bleibt im „business as usual“-Fall von industriellen Aktivitäten dominiert. Allerdings könnten andere Arten von Landnutzungsänderung dazu beitragen, den fossilen Energieverbrauch zu reduzieren. Mit Biomasseplantagen wie etwa hochproduktive Gräser oder Kurzumtriebsplantagen  ließen sich fossile Energieträger teilweise ersetzen. Solche Plantagen besitzen zwar einen deutlich kleineren Kohlenstoffspeicher als ein ausgewachsener Wald. Durch ihre Ernte und deren Verwendung als Bioenergie steuern sie aber kontinuierlich zur Reduktion fossiler Emissionen bei.

Derartige Auswirkungen auf das Klima – über den Kohlenstoffkreislauf ebenso wie über Energie- und Wasserhaushalt – mit jenen der Aufforstung zu vergleichen, ist deshalb ein laufendes Projekt am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Folgearbeit ist aber auch geboten, um die Einschränkungen der Methodik besser zu verstehen: Die Wahl eines bestimmten Modells bringt Unsicherheiten mit sich, denn jedes Modell ist schließlich nur ein vereinfachtes Abbild der Realität. Eine Herangehensweise ist deshalb oft, viele verschiedene Modelle heranzuziehen; die Spannbreite ihrer Ergebnisse zeigt einen verlässlicheren Rahmen für die tatsächliche Entwicklung als dies aus einzelnen Modellen ableitbar wäre. Solche Modellvergleichsstudien sind etwa auch Grundlage der Sachstandsberichte des Weltklimarats. Der nächste, dessen Vorbereitungen laufen, sieht eine Analyse eines zukünftigen Aufforstungsszenarios vor und wird ein umfassenderes Bild der Potentiale und Nebeneffekte dieses Eingriffs in das Klimasystem bieten.

Literaturhinweise

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