Ein kleines DNA-Stück mit großer Wirkung auf die Blattform

Vor Millionen von Jahren haben einige Pflanzen aus der Familie der Kreuzblütler durch zwei winzige Veränderungen in einem Gen anstelle von einfachen Blättern zusammengesetzte Blätter entwickelt. Dies zeigen Forschungsergebnisse, die jetzt in Genes and Development erschienen sind. Der Artikel, der auf Arbeiten am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung (MPIPZ) zurückgeht, belegt den erstaunlichen genetischen Mechanismus, der dieser Entwicklung zugrunde liegt.

Die DNA legt die Form von Lebewesen fest. Wie dies jedoch geschieht, wissen Wissenschaftler noch nicht genau. Tatsächlich ist das Verständnis der genetischen Veränderungen, die zu der Vielfalt unserer Welt führen, eine grundlegende Fragestellung der Biologie. „Genduplikation und Divergenz werden allgemein als die wichtigsten Mechanismen evolutionärer Veränderung gesehen“, sagt Mike Levine, Direktor des Lewis-Sigler-Instituts für Integrative Genomik an der Universität Princeton. Wenn duplizierte Gene sich auseinander entwickeln (divergieren) oder nur noch einen Teil ihrer ursprünglichen Funktion erfüllen („subfunktionalisieren“) kann das sowohl zu neuen Genexpressionsmustern als auch zu neuen Proteinfunktionen führen. „Aber es gibt überraschend wenige Beispiele solch gekoppelter Subfunktionalisierung“.

Einer der besten Wege, wie Wissenschaftler Veränderungen im Laufe der Zeit untersuchen, ist, die Betrachtung sichtbarer Unterschiede zwischen verwandten Arten. Zwei Verwandte in der Familie der Kreuzblütler, die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) und das behaarte Schaumkraut (Cardamine hirsuta), haben unterschiedliche Blattformen: Das einfache Blatt der Ackerschmalwand sieht völlig anders aus als das zusammengesetzte Blatt des behaarten Schaumkrauts. In den Blättern läuft die Photosynthese ab und damit Kohlenstofffixierung. Beide Prozesse sind ökologisch und physiologisch wichtig für den Erfolg von Pflanzen.

Wissenschafler des MPIPZ hatten bereits vor einiger Zeit entdeckt, dass ein Gen namens RCO wichtig für die Vielfalt der Blattform bei Kreuzblütlern ist. Das RCO Gen (die Abkürzung steht für „reduced complexity“) kommt im behaarten Schaumkraut vor. Es bewirkt eine Aufteilung des Blattes in einzelne Fiedern, die durch die lokale Hemmung des Wachstums an den Blatträndern entsteht und dadurch eine komplexere Blattform bildet. RCO entstand in der Familie der Kreuzblütler durch Duplikation eines existierenden Gens, des Gens LMI1. In der Ackerschmalwand, zum Beispiel, ist das RCO Gen verloren gegangen, und diese Pflanze hat einfache Blätter. Als die Wissenschaftler RCO durch gentechnische Veränderung zur Ackerschmalwand hinzufügten, wuchsen zusammengesetzte anstelle von einfachen Blättern.

In der aktuellen Forschungsarbeit identifizierten die Wissenschaftler einen kleinen DNA-Abschnitt, einen Enhancer, der festlegt, warum RCO und nicht LMI1 zur Bildung zusammengesetzter Blätter gebraucht wird. Miltos Tsiantis, Direktor am MPIPZ, erklärt, dass sich dieser Enhancer „ in der Evolution entwickelt hat, um jedes Gen und dessen Proteinproduktion in völlig unterschiedlichen Bereichen des Blattes anzuschalten – LMI1 an der Spitze und RCO an der Basis des Blattes.“ Er und sein Team stellten fest, dass die Ackerschmalwand (welche kein RCO Gen besitzt) ebenso wie das behaarte Schaumkraut zusammengesetzte Blätter bildet, wenn dieser Enhancer im LMI1 Gen mit der RCO-Sequenz ersetzt wird. Der RCO Enhancers beeinflusste somit entscheidend die Bildung der zusammengesetzten Blattformen in der Evolution des behaarten Schaumkrauts.

Die Proteine, welche von den RCO und LMI1 Genen gebildet werden, sind starke Wachstumsinhibitoren und damit potenziell ein Problem für die Pflanze: Zuviel davon führt zu Zwergpflanzen. Außerdem sind diese Proteine nicht vollständig austauschbar - LMI1 kann die Rolle von RCO erfüllen, die Komplexität der Blattform zu erhöhen, reduziert aber zugleich die Blattgröße. Tsiantis schließt daraus, „dass es eine Balance zwischen der Fähigkeit, die Form zu ändern, und möglichen schädlichen Wirkungen auf Wachstum und Entwicklung gibt“.

Aber die Wissenschaftler entdeckten, dass ein einzelner Aminosäureaustausch, welcher die Stabilität des RCO Proteines gegenüber LMI1 verringert, die Balance zwischen erhöhter Blattkomplexität und guter Blattgröße maximiert. Indem sie die evolutionäre Veränderungsrate von RCO und LMI1 Genen verglichen, konnten die Wissenschaftler schließen, dass auf die RCO DNA-Sequenzen natürliche Selektion wirkte, um sowohl Protein- als auch die Enhancersequenz zu erhalten.

Denn RCO hat einen positiven Effekt auf die Kohlendioxidfixierung in der Photosynthese, und auf den Samenertrag, wie die Wissenschaftler entdeckten. Dies bedeutet, dass es einen positiven Effekt auf die Erfolgs- und Überlebenschancen hat.

Es ist unmöglich, zu wissen, welche Umweltbedingungen in der evolutionären Geschichte der Kreuzblütler zusammengesetzte Blätter gegenüber einfachen Blättern begünstigt haben könnten. Die Wissenschaftler spekulieren, dass es mit Veränderungen der Temperatur zu tun haben könnte, welche Unterschiede in der Art, wie zusammengesetzte Blätter Licht einfangen, Gase austauschen oder Wasser transportieren, begünstigt haben. Aber dies kann man nicht mit Sicherheit. Es ist jedoch eindeutig, dass RCO und die zusammengesetzte Blattform Vorteile schafft, die wichtig für die Leistung der Pflanze sind. Dies hilft, zu verstehen, warum diese DNA Sequenzen im RCO Gen durch natürliche Selektion erhalten wurden.

Evolutionär gesehen ist das Interessanteste an dieser Forschungsarbeit, dass sie zeigt, wie der RCO Enhancer am besten für die Pflanze funktioniert, nämlich indem er das RCO Gen als Ganzes schlechter funktionieren läßt. Die Evolution führt also zu Veränderungen in der genetischen Struktur der Pflanze und mildert gleichzeitig die potenziellen schädlichen Konsequenzen dieser Änderungen. „Diese gekoppelte Änderung in der Regulation und der Proteinfunktion eines pflanzlichen Homöoboxgenes stellt ein Lehrbuchbeispiel der Subfunktionalisierung in der Entwicklung dar. Das zugrundeliegende Prinzip wird auf viele Beispiele morphologischer Vielfalt und Komplexität in tierischen Systemen Anwendung finden“, so Levine.

Diese Forschungsarbeit liefert Wissenschaftlern ein wichtiges Puzzleteil, wie evolutionäre Veränderungen geschehen; wie genetische Veränderungen in evolutionären Zeitskalen, die Vielfalt des Lebens auf der Erde geformt haben.

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