Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens - caesar

Kontaktanzeige eines Spermiums: Sensibelchen sucht Eizelle zum Verschmelzen

Lonely hearts ad of a sperm cell: Extremely sensible character seeks for an egg to fuse

Autoren
Timo Strünker, U. Benjamin Kaupp
Abteilungen
caesar (center of advances european studies and research)
Zusammenfassung
Für die Befruchtung werden Spermien von der Eizelle aktiv angelockt. Die Eizelle sendet dazu Lockstoffe aus, die den Spermien den Weg weisen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Chemotaxis. Spermien des Seeigels Arbacia punctulata reagieren extrem empfindlich auf ihren Lockstoff. Bereits ein einzelnes Lockstoffmolekül löst eine Reaktion der Spermien aus. Wie sich jetzt herausstellte, ist ein außergewöhnlicher zyklisch Nukleotid-gesteuerter Ionenkanal (CNGK) im Spermienschwanz der Schlüssel zur Einzelmolekülempfindlichkeit der Spermien. Der Lockstoff  führt zur Synthese des Botenstoffs cGMP. Der strukturell einzigartige CNGK-Kanal wird bereits durch einen geringfügigen Anstieg der intrazellulären cGMP-Konzentration aktiviert und löst die chemotaktische Signalkaskade im Seeigelspermium aus.
Summary
Eggs attract sperm by the release of chemical factors (chemoattractants). Sperm navigate in the chemoattractant gradient surrounding the egg, a process called chemotaxis. Sperm of the sea urchin Arbacia punctulata display an extreme sensitivity for their chemoattractant. The sperm can respond to stimulation by a single attractant molecule. An atypical cyclic nucleotide-gated ion channel (CNGK) in the sperm flagellum is key for the single-molecule sensitivity. The chemoattractant triggers the synthesis of the intracellular messenger cGMP. The structurally unique CNGK-channel is activated by small changes in intracellular cGMP concentration and initiates the chemotactic signaling cascade.

Der Lockruf der Eizelle: Was Man(n) von Seeigeln lernen kann

Ein neues Lebewesen entsteht, wenn weibliche und männliche Keimzellen miteinander verschmelzen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie bei der Fortpflanzung die männlichen Spermien zu den weiblichen Eizellen schwimmen? Anders formuliert: Wissen Sie, wie das Spermium das Ei findet? Eizelle und Spermium treffen sich nicht zufällig. Vielmehr werden Spermien von der Eizelle mit Hilfe von chemischen Stoffen angelockt. Die Lockstoffe weisen den Spermien den Weg zum Ziel (Abbildung 1). Diesen Vorgang bezeichnet man als Chemotaxis.

Was sich einfach anhört, ist in Wirklichkeit ein komplexer Vorgang. Bei Säugetieren, der Mensch eingeschlossen, ist die Spermienchemotaxis noch wenig erforscht. Dies hat mehrere Gründe: Säugetiere sind interne Fertilisierer, die Befruchtung der Eizelle erfolgt im Körper des Weibchens. Die Bedingungen, die Spermien dort vorfinden, lassen sich im Labor nur schwer nachstellen. Die Forscher sind auf freiwillige Samenspenden angewiesen – das Probenmaterial ist also nur begrenzt verfügbar. Außerdem konnte der Lockstoff der menschlichen Eizelle bisher nicht zweifelsfrei identifiziert werden.

In der Naturwissenschaft bedient man sich oft sogenannter Modellorganismen, bei denen alles einfacher zu sein scheint. Man versucht zunächst diese einfachen Systeme zu verstehen,  um sie dann auf die komplexere Situation beim Menschen zu übertragen. Als Modell zur Erforschung der Spermienchemotaxis dienen seit mehr als 100 Jahren die Spermien und Eizellen von Seeigeln der Art Arbacia punctulata (Abbildung 2).

Seeigel sind Meeresbewohner, die in einer „konzertierten Aktion“ ihre Keimzellen ins Wasser abgeben. Zur externen Befruchtung müssen sich dort Eizelle und Spermium finden. A. punctulata Seeigel, die in großer Anzahl an der Nordamerikanischen Küste leben, lassen sich leicht einsammeln und ein männlicher Spender bringt es locker auf ~ 100 Milliarden Spermien. Zum Vergleich: Ein Mann gibt „nur“ etwa 100-200 Millionen Spermien ab. Der Lockstoff, der von den Eizellen freigesetzt wird, ist schon lange bekannt: Resact, ein kleines Peptid, das aus 14 Aminosäuren aufgebaut ist und sich synthetisch herstellen lässt.

Spermien reagieren extrem empfindlich auf weibliche Reize

Resact ändert im Spermienschwanz, dem Flagellum, die intrazelluläre Ca2+-Konzentration (Ca2+-Signal). Die Ca2+-Signale ändern den Flagellenschlag und damit die Schwimmrichtung; sie dienen der Navigation, hin zur Lockstoffquelle, der Eizelle (Böhmer 2005). Wie löst der Lockstoff Ca2+-Signale aus? Wissenschaftler um Prof. Kaupp vom Forschungszentrum caesar in Bonn konnten in den letzten Jahren diese Frage beantworten (Abbildung 3; Strünker 2006, Kaupp 2003). Zunächst bindet der Lockstoff an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche des Spermiums.

Jedes Spermium besitzt etwa 1 Million dieser Rezeptoren. Rund die Hälfte der Flagellenoberfläche ist mit Rezeptoren bedeckt. Das Flagellum fungiert also nicht nur als „Propeller“ zum Antrieb, sondern auch als Antenne, als Nase, die Lockstoffe detektieren kann.

Der Rezeptor ist eine Guanylatzyklase (GC). Die GC ist Lockstoffrezeptor und Enzym zugleich. Bindet Resact außen an die GC, wandelt der enzymatische Teil im Inneren der Zelle Guanosintriphosphat (GTP) in einen Botenstoff – das zyklische Guanosinmonophosphat (cGMP) – um. cGMP öffnet Kalium-selektive Ionenkanäle (CNGK-Kanäle). Ionenkanäle sind winzige Schleusen in der Membran, durch die geladene Ionen über die – ansonsten undurchdringliche – Membran fließen. Durch die offenen CNGK-Kanäle verlassen K+-Ionen die Zelle. Dadurch wird die Zelle negativ aufgeladen, sie hyperpolarisiert. Die Hyperpolarisation führt zur Aktivierung von zwei weiteren Ionenkanälen: Ca2+-Kanäle, die unter Ruhebedingungen geschlossen sind, können jetzt öffnen und Ca2+ strömt in die Zelle ein. Zum Anderen werden hyperpolarisationsaktivierte und zyklisch Nukleotid-gesteuerte Ionenkanäle (HCN-Kanäle) geöffnet: Durch die HCN-Kanäle strömen Na+-Ionen in die Zelle, und das Membranpotenzial kehrt zum Ruhewert zurück.

Spermien reagieren extrem empfindlich auf den Lockstoff: Sie können einzelne Lockstoffmoleküle detektieren. Spermien haben also die physikalisch vorgegebene Grenze der Empfindlichkeit erreicht. Die Aktivierung eines einzigen Rezeptors löst eine Hyperpolarisation von ~ 2 mV und ein Ca2+-Signal aus. Eine Einzelmolekül-Empfindlichkeit konnte bisher an keiner anderen Zelle beobachtet werden. Lediglich Photorezeptoren im Auge können einzelne Lichtquanten detektieren. Für Photorezeptoren und Spermien gilt also: Sensibler geht´s nicht!

Ein außergewöhnlicher Ionenkanal macht Spermien zu Sensibelchen

Der CNGK-Kanal ist der Schlüssel zum Verständnis für diese extreme Empfindlichkeit von Spermien (Bönigk 2009). Der CNGK-Kanal gehört zu einer hochspezialisierten Kanalfamilie, den sogenannten zyklisch Nukleotid-gesteuerten Kanälen (CNG-Kanäle). Sie werden durch die intrazellulären Botenstoffe cAMP oder cGMP aktiviert. „Klassische“ CNG-Kanäle, wie man sie in Sehzellen des Auges oder in Riechzellen der Nase findet, sind – wie andere Ionenkanäle auch - aus mehreren „Bausteinen“ oder Untereinheiten aufgebaut. CNG-Kanäle bestehen – wie spannungsaktivierte Kaliumkanäle (Kv) – aus vier identischen oder ähnlichen Untereinheiten, die sich zu einer Pore zusammenlagern. Sie bilden ein sogenanntes Tetramer. Spannungsabhängige Natrium- und Calciumkanäle (Nav und Cav) dagegen bestehen aus einem einzigen großen Protein, das vier ähnliche Domänen enthält. Jede dieser Domänen „repräsentiert“ eine Kanal-Untereinheit; man spricht von einer pseudotetrameren Anordnung. Der CNGK-Kanal hat von jedem etwas: er ist aufgebaut wie ein typischer Calcium- oder Natriumkanal, lässt aber nur Kaliumionen passieren. Wie ein klassischer CNG-Kanal besitzt er vier Bindestellen für zyklische Nukleotide. Er ist also eine Chimäre aus einem Kv-Kanal, CNG-Kanal und einem Cav/Nav-Kanal (Abbildung 4): Diese Kanalstruktur macht CNGK zu einem einzigartigen Ionenkanal.

Kaupp und sein Team isolierten die cDNA, die die Erbinformation für den CNGK-Kanal trägt, aus Hodengewebe von A. punctulata. Eine embryonale Nierenzelllinie wurde gentechnisch so verändert, dass sie als Ammenzelle den CNGK-Kanal produziert. In diesen Zellen konnten die Ionenströme durch den CNGK-Kanal genau gemessen werden. Überraschenderweise öffnet der Kanal bereits bei nanomolaren cGMP-Konzentrationen – er ist damit fast 1000-mal empfindlicher als klassische CNG-Kanäle aus Seh- oder Riechzellen. Die genaue Untersuchung des CNGK-Kanals förderte weitere überraschende Eigenschaften zu Tage: während andere CNG-Kanäle nur öffnen, wenn mindestens zwei der vier Bindestellen mit Botenstoff besetzt sind, genügt beim CNGK-Kanal ein einzelnes cGMP-Molekül, um den Kanal zu öffnen. Es ist die große Empfindlichkeit des Kanals für den Botenstoff cGMP, die es den Spermien ermöglicht einzelne Lockstoffmoleküle zu detektieren.

Nach der Bindung eines einzelnen Lockstoffmoleküls werden nur ca. 45 cGMP-Moleküle im Flagellum synthetisiert – die cGMP-Konzentration steigt also nur geringfügig an. Wenn so wenige cGMP-Moleküle synthetisiert werden, ist es unwahrscheinlich, dass gleichzeitig zwei, drei oder gar vier cGMP-Moleküle an ein und denselben CNGK-Kanal binden. Neben seiner enormen Empfindlichkeit, ist also für die Einzelmolekülantwort entscheidend, dass der CNGK-Kanal  durch die Bindung eines einzelnen cGMP Moleküls aktiviert wird.

Soweit zu den Seeigelspermien. Leider scheint bei menschlichen Spermien alles anders zu sein. CNGK-Kanäle sucht man hier vergebens; auch die meisten anderen Komponenten der chemotaktischen Signalkette findet man nicht. In menschlichen Spermien müssen also andere Signalwege existieren, die das chemotaktische Verhalten steuern. Eine Gemeinsamkeit gibt es allerdings: das Schwimmerhalten menschlicher Spermien wird ebenfalls durch die intrazelluläre Ca2+-Konzentration gesteuert. Kaupp und Mitarbeiter arbeiten zurzeit mit Hochdruck an der Aufklärung der chemotaktischen Signalwege in menschlichen Spermien.

Die Entschlüsselung der Einzelmolekül-Empfindlichkeit stellt einen wichtigen Fortschritt im Verständnis chemosensorischer Prozesse dar. Wahrscheinlich können – neben Sehzellen und Seeigelspermien – auch andere Zellen auf kleinste Reize extrem empfindlich reagieren, z.B. Nervenzellen, die durch Pheromone, Hormone oder Neurotransmitter aktiviert werden. Die Arbeit an den Seeigelspermien wird die Forschung auf dem Gebiet der Chemosensorik stimulieren und zur Aufklärung der Signalverarbeitung in anderen Zellen beitragen.

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