Holz unter Wasserkraft

Ein Modell, das beschreibt, wie viel Wasser Holz aufnimmt, könnte bei der Entwicklung neuer Holzschutzmittel helfen

Die Muskeln des Holzes sind seine Zellwände. Denn über die Menge an Wasser, die sie aufnehmen, steuern sie das Verhalten des Holzes: welche Kräfte es ausübt, welchen Belastungen es standhält oder wie es etwa die Schuppen von Tannen- oder Kiefernzapfen bewegt. Wie der Wassergehalt der Zellwände die Eigenschaften des Holzes bestimmt, wie also dessen Muskeln funktionieren, beschreiben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, des Institutes de Chimie Séparative de Marcoule und der Universität Montpellier nun mit einem mathematischen Modell. Die Formel erweitert nicht nur das Verständnis, wie Holz zu seinen mechanischen Eigenschaften kommt, sondern könnte auch helfen, ungiftige Holzschutzmittel zu entwickeln.

Was dem Holz im Baum Elastizität und Härte gibt, macht Holz als Werkstoff schnell unbrauchbar. Denn wenn es keine Rinde mehr gibt, die das Holz schützt, wird es zu einer leichten Beute für Pilze, sobald es erst einmal feucht ist. Daher bestrichen römische Bootsbauer Schiffrümpfe schon in der Antike mit Pech, damit das Holz kein Wasser aufnimmt. Und in den vergangenen 300 Jahren imprägnierten sie den natürlichen Werkstoff ebenso wie alle Handwerker, die Holz für einen Außeneinsatz präparieren, mit Creosoten, die aus dem mit Pech verwandtem Teer gewonnen werden. Da diese Substanzen aber krebserregend sind, haben die Gesundheitsbehörden vieler Länder sie inzwischen weitgehend verboten.

Forscher suchen nun alternative Chemikalien, die Holz ebenso effektiv schützen. „Diese Suche dürfte mit unserem Modell einfacher werden“, sagt Luca Bertinetti, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Denn die Formel beschreibt, wieviel Wasser Holzzellen, genauer gesagt deren Wände, abhängig von der relativen Luftfeuchtigkeit speichert. Sie kann dabei auch wiedergeben, wie eine Substanz, mit der der natürliche Werkstoff behandelt wird, die Wasseraufnahme beeinflusst. Um das herauszufinden, müssen Forscher dann nicht mehr so viele aufwendige Experimente machen.

Das Modell stellt eine Bilanz der wichtigsten Kräfte auf

In einem ersten Schritt hin zu ihrer Formel, betrachteten die Wissenschaftler, wie die Wände der Holzzellen aufgebaut sind und wie sich diese Struktur verändert, wenn sie Wasser aufsaugt. Bei der Zellwand handelt es sich um ein natürliches Verbundmaterial, besteht sie doch aus verschiedenen biologischen Polymeren, sprich Kettenmolekülen: Zum einen wird sie von parallel angeordneten Cellulosefasern durchzogen, die im trockenen Zustand etwa die Hälfte ihrer Masse ausmachen. Um die Cellulosefasern winden sich zum anderen Fäden von Hemicellulose und Lignin. Beide Kettenmoleküle sind an zahlreichen Stellen mit der Cellulose fest verbunden. Die Hemicellulose- und Ligninfasern speichern das Wasser, das die Zellwand aufnimmt, wie in einem Schwamm. Die Mischung der beiden Komponenten quillt auf und weitet die Cellulosebündel. „Wie viel Wasser die Zellwand aufnehmen kann, hängt entscheidend von den Kräften ab, die dabei wirken“, sagt Luca Bertinetti. Daher haben er und seine Kollegen in ihrem Modell eine Bilanz der wichtigsten Kräfte aufgestellt.

Den größten Beitrag leistet die Hydratationskraft: Sie schiebt die Cellulosefasern auseinander, weil sich die Wassermoleküle gerne auf den wasseranziehenden Fasern der Cellulose und der Hemicellulose anlagern. Der Beitrag der Hemicellulose wird zwar dadurch aufgehoben, dass die Ligninfasern Wasser abstoßen. Unterm Strich bleibt aber die anziehende Wirkung der Cellulose, die einen Sog erzeugt.

Die Holzzellwand nimmt zudem gerne Feuchtigkeit aus der Umgebung auf, weil sich dadurch die Entropie erhöht. Die Entropie kann man sich vereinfacht als ein Maß für die Unordnung in einem Systemvorstellen. Die Ordnung der verschiedenen Biopolymere in der Holzzellwand wird gewissermaßen durcheinander gebracht, wenn Wasser in das Netzwerk eindringt. Das fördert den Quellprozess, weil die Natur stets zu höherer Unordnung strebt – was sich auch in einem Kinderzimmer beobachten lässt, das nicht regelmäßig aufgeräumt wird.

Wie sich einzelne Kraftbeiträge auf die Quellfähigkeit auswirken

Es gibt jedoch auch Kräfte, die das Quellen des Holzes eher behindern. Auch diese haben Luca Bertinetti und seine Kollegen in ihrer Formel berücksichtigt. Etwa die Kraft, die durch die Bindungen zwischen Cellulose einerseits und Hemicellulose sowie Lignin andererseits entsteht. Sie zurrt die Cellulosebündel zusammen, sodass es das Wasser schwerer hat, in diese einzudringen. Ganz ähnlich wirkt sich die Elastizität des biologischen Verbundmaterials aus. Sie will das Netzwerk der verschiedenen Polymere wieder zusammenziehen, wenn es aufgequollen ist.

„Im Gegensatz zu früheren Modellen für die Wasseraufnahme von Holz beinhaltet unseres auch die molekularen Kräfte wie die Hydratationskraft“, sagt Luca Bertinetti. Forscher, die neue Holzschutzmittel entwickeln, könnten genau davon profitieren, dass sich nun erstmals eine Bilanz aller wichtigen Kräfte, die bei der Wasseraufnahme wirken, aufstellen lässt. „Holzingenieure können nun nämlich berechnen, wie es sich auf die Quellfähigkeit des Holzes auswirkt, wenn sie einzelne Kraftbeiträge in dieser Bilanz verändern“, so Bertinetti. So können sie mithilfe der Formel abschätzen, wieviel Wasser Holz noch aufnimmt, wenn sie etwa die Hydratationskraft schwächen. Diese lässt sich durch wasserabstoßende Substanzen auf die Cellulose oder Hemicellulose verringern. Das Modell zeigt zudem, welchen Effekt es hat, wenn die Vernetzung zwischen den verschiedenen Bestandteilen erhöht wird. „Früher musste ein Holzingenieur durch Versuch und Irrtum testen, wie verschiedene Holzbehandlungen die Wasseraufnahme beeinflussen“, sagt Luca Bertinetti.

Biologische Antriebe könnten die Wasseraufnahme des Holzes nutzen

Die Formel ist aber nicht nur hilfreich für Forscher, die Holz vor der Wasseraufnahme schützen wollen, sondern auch für jene, denen es genau darum geht. Das Material speichert nämlich Energie, wenn es der Wasserkraft ausgesetzt ist, und kann sie in mechanische Arbeit umsetzen. „Es ist denkbar, biologische Antriebe zu konstruieren, die nach diesem Prinzip funktionieren“, sagt Luca Bertinetti. Solche Antriebe könnten etwa den Unterschied in der Luftfeuchtigkeit zwischen Tag und Nacht nutzen, um Sonnensegel automatisch zu öffnen und zu schließen. Das Modell der Potsdamer Forscher verrät den Ingenieuren, die solch einen intelligenten Sonnenschutz entwickeln, mit welchen Kräften des Holzes sie dabei rechnen können.

Das ist jedoch nicht mehr die Baustelle von Luca Bertinetti: „Ich bin kein Ingenieur.“ Der Chemiker arbeitet mit seinem Modell für die Saugfähigkeit des Holzes nun jedoch in eine andere Richtung weiter. Er möchte es nämlich an andere Pflanzengewebe anpassen, deren Quellfähigkeit für biologische und technische Prozesse von Bedeutung ist. Einen Großteil dieser Arbeit hat er mit der Formel für das Holz schon erledigt, denn schließlich enthält es schon alle wichtigen Faktoren, die auch in anderen Geweben eine Rolle spielen.

KE/PH

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