"Der Brexit schwächt den europäischen Forschungsraum"

Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, zum Votum der Briten

28. Juni 2016

Europa und dem europäischen Forschungsraum kommt im wissenschaftlichen, aber auch im wirtschaftlichen Wettbewerb mit Asien und Amerika eine besondere Bedeutung zu. Europa hat gerade in der Wissenschaft eindrucksvoll gezeigt, was gemeinsam möglich ist. Europäische Organisationen wie ESA, ESO oder CERN haben leistungsstarke Forschungsverbünde quer durch alle Länder Europas geschaffen, die in erheblichem Maße zur Vernetzung der europäischen Wissenschaft beitragen und ihr auch international höchste Sichtbarkeit verleihen.

Das CERN funktioniert – warum soll das nicht auch für Europa gelten? Gerade komplexe Fragestellungen lassen sich erfolgreich nur unter Einbeziehung von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen sowie aus unterschiedlichen Institutionen und Ländern bearbeiten (und das gilt eben nicht nur für die Wissenschaft). Schon längst sprechen wir von einem „Vierten Zeitalter“ der Forschung, in welchem internationale Zusammenarbeit und die ungehinderte Mobilität von Forschern mehr denn je Erfolgsfaktoren für eine leistungsfähige Wissenschaft sind.

Großbritannien hat von dem schrankenlosen Austausch mit Kontinentaleuropa maßgeblich profitiert: Mehr als die Hälfte aller im Nature Index gelisteten britischen Forschungseinrichtungen publiziert mit Ko-Autoren – neben den USA – vor allem aus Deutschland und Frankreich. 150 renommierte britische Forscher haben daher noch vor wenigen Wochen in der Times vor einer wissenschaftlichen Isolation Großbritanniens durch einen Brexit gewarnt. Ihre Mahnung wurde leider nicht gehört. Angesichts der globalen Herausforderungen, insbesondere aber durch die Flüchtlingskrise, verlässt die Nationalstaaten offenbar der Mut – und leider auch das Vertrauen in die gemeinsamen Kompetenzen.

Dabei zeigt die Forschung, was gemeinsam möglich ist: Das 1954 gegründete CERN (drei Jahre vor der EU) beispielsweise hat sich als bemerkenswert erfolgreich erwiesen. Die Entdeckung des Higgs-Teilchens (Nobelpreis für Physik 2013) war nur der Höhepunkt in einer Reihe ehrgeiziger, aber erfolgreicher Projekte und wissenschaftlicher Entdeckungen, zu denen auch die Entwicklung des World Wide Web gehört. Beteiligt sind am CERN 21 Mitglieder, anfänglich waren es 12 (darunter auch UK). Die EU begann mit sechs Ländern, heute zählt sie 28 Mitgliedstaaten.

Auf dem Weg zu einem Europäischen Forschungsraum ist in den vergangenen Jahren viel erreicht worden. Dazu gehören die Öffnung europaweiter Karrierepfade und die Überwindung von Mobilitätshemmnissen für Nachwuchs- und Spitzenwissenschaftler, die Vernetzung von Forschungseinrichtungen sowie die Stärkung von vielversprechenden Forschungsregionen in Europa – und nicht zuletzt die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz, insbesondere durch den European Research Council (ERC).

Großbritannien hat von diesen Entwicklungen enorm profitiert. So wurden die meisten ERC Grants bislang an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler britischer Universitäten vergeben, etwa doppelt so viele wie an Frankreich. Aber Großbritannien ist eben auch ein Magnet für die besten Köpfe der Welt, Cambridge und Oxford sind klangvolle Namen. Unter den Top 100 Universitäten im Shanghai-Ranking sind 24 aus Europa, davon alleine 9 aus UK. Im QS World University Ranking stehen auf der Top-50-Liste 18 US-Universitäten, 15 Universitäten aus dem asiatischen Raum und 14 europäische, davon 10 aus Großbritannien und zwei aus der Schweiz. Der Austritt Großbritanniens wird daher zu einer Schwächung des Europäischen Forschungsraums und zu einer Verringerung seiner Strahlkraft führen.

Gleiches droht auch bei der Schweiz, ebenfalls ein wissenschaftliches Schwergewicht. Für sie besteht aufgrund der geplanten Zuwanderungsquoten im Moment nur eine befristete Teilassoziierung an das europäische Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020. Wenn bis Ende 2016 keine Einigung gefunden wird, könnte die Schweiz wieder in den Drittstaat-Status zurückgestuft werden. Das wird von Wissenschaftlern in der Schweiz als höchst problematisch angesehen, denn die Spitzenposition des Forschungsstandorts Schweiz ist eng an die Internationalität und die Integration in den europäischen Forschungsraum gebunden.

Europa kann seine stärksten wissenschaftlichen Treiber nicht so ohne Weiteres ersetzen. Denn in Osteuropa fehlt es nach wie vor an leistungsfähigen Strukturen und angemessen ausgestatteten Laboren. Ein ERC ohne Großbritannien ist daher schwer vorstellbar. Die nun anstehenden Verhandlungen mit den Briten müssen ihre Beteiligung in der Forschung weiterhin sicherstellen. Und auch für die Mobilität von Wissenschaftlern und insbesondere Nachwuchswissenschaftlern müssen neue Regelungen gefunden werden. Man hätte sich gewünscht, dass es einfacher bleibt.

Die Max-Planck-Gesellschaft wird sich – allen Widrigkeiten zum Trotz – weiterhin für den Europäischen Forschungsraum engagieren. Sie tut dies durch den Aufbau strategischer Allianzen in Europa. So gibt es bereits Max Planck Center mit dem University College London, dem Science Po in Paris, der EPF Lausanne und der ETH Zürich. Wir suchen die Kooperation und den Dialog mit forschungsstarken europäischen Institutionen, um die Zusammenarbeit auf neuen Forschungsgebieten zu vertiefen.

Von einer Stärkung des europäischen Forschungsraums können wir alle nur profitieren. Das ist die Grundbedingung, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhalten und auszubauen. Der Brexit ist ein Rückschritt in diesen Bemühungen!

 

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