LISA Pathfinder übertrifft alle Erwartungen

Europäische Satellitenmission demonstriert erfolgreich Technologien für ein Gravitationswellen-Observatorium im All

7. Juni 2016
Nach einem Bilderbuchstart und einer Reise von rund 1,5 Millionen Kilometern von der Erde in Richtung Sonne begann die wissenschaftliche Phase von LISA Pathfinder am 1. März 2016. Mit den jetzt präsentierten Ergebnissen der ersten zwei Monate sind die Forscher mehr als zufrieden. „Mit LISA Pathfinder haben wir den ruhigsten der Menschheit bekannten Ort geschaffen. Die Leistung der Mission ist spektakulär und übertrifft alle unsere Erwartungen bei Weitem“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI).

Die Ergebnisse zeigen, dass die zwei Testmassen im Herzen des Satelliten frei im Weltall fallen und nur dem Einfluss der Schwerkraft unterliegen. Die Isolation von äußeren Störkräften ist fünffach besser als ursprünglich erwartet. Die Testmassen schweben relativ zueinander nahezu bewegungslos. Deren relative Beschleunigung entspricht der Gewichtskraft eines Virus auf der Erde.

Diese erfolgreiche Demonstration der Schlüsseltechnologien bereitet den Weg zur Entwicklung großer Weltraum-Observatorien, die Gravitationswellen von vielen exotischen Objekten im Universum nachweisen können.

Die von Albert Einstein vor einem Jahrhundert vorausgesagten Gravitationswellen wurden im September 2015 erstmals von den Advanced LIGO-Detektoren auf der Erde nachgewiesen. Observatorien im Weltraum wie eLISA sollen diese und andere Detektoren ergänzen, indem sie niederfrequente Gravitationswellen messen, die sich am Boden nicht nachweisen lassen.

Die von LIGO empfangenen Signale haben Frequenzen im Bereich von zehn bis zu mehreren 1000 Hertz, doch Gravitationswellen umspannen ein viel breiteres Spektrum. Niederfrequente Gravitationswellen etwa entstehen insbesondere bei exotischen Ereignissen wie dem Verschmelzen von extrem massereichen schwarzen Löchern während Galaxienkollisionen.

Will man die bei diesen Ereignissen abgestrahlten Gravitationswellen im Frequenzbereich von 0,1 Millihertz bis zu einem Hertz detektieren, muss man winzige relative Längenänderungen zwischen Objekten im Abstand von Millionen von Kilometern nachweisen. Dies ist nur im Weltraum möglich, wo außerdem die Störeinflüsse auf irdische Detektoren wie Seismik, thermisches Rauschen und Schwerkraftgradienten nicht existieren.

LISA Pathfinder war am 3. Dezember 2015 gestartet und erreichte seinen Standort rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt in Richtung Sonne Ende Januar 2016. Die wissenschaftliche Mission begann am 1. März. Das zentrale Experiment besteht darin, zwei Testmassen in den freien Fall zu versetzen und ihre relativen Positionen zu überwachen, während sie sich nur unter dem Einfluss der Schwerkraft bewegen. Selbst im Weltraum ist dies eine Herausforderung, weil verschiedene Kräfte – wie der Sonnenwind und der Strahlungsdruck des Sonnenlichts – ständig den Satelliten und die Testmassen stören.

Die beiden 38 Zentimeter voneinander entfernten identischen Testmassen bestehen aus jeweils einem Würfel mit 46 Millimeter Kantenlänge aus einer Gold-Platin-Legierung und haben eine Masse von zwei Kilogramm. Sie schweben im Innern ohne mechanischen Kontakt zum Satelliten und sind von Störeinflüssen abgeschirmt. Dabei korrigiert LISA Pathfinder ständig Position und Ausrichtung, um den Massen zu folgen.

Zwischen den zwei Testmassen befindet sich ein Laserinterferometer, das die Positionen und die Ausrichtung der Testmassen relativ zum Satelliten und zueinander bestimmt. Dieses optische Präzisionsmesssystem wurde unter Federführung und mit maßgeblicher Beteiligung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik und der Leibniz Universität in Hannover entwickelt und gebaut.

„Die Messungen des ersten Laserinterferometers im All sind viel besser als wir erwartet hatten. Wir können den Abstand der beiden frei fallenden Testmassen genauer bestimmen als den Durchmesser eines einzelnen Atoms“, sagt Gerhard Heinzel, Leiter der Gruppe „Interferometrie im Weltraum“ in Hannover.

Die Forscher dort sind maßgeblich an der Datenanalyse beteiligt. Zudem spielten sie eine führende Rolle bei der Entwicklung der verwendeten Software. Das Albert-Einstein-Institut hat eigens einen Kontrollraum eingerichtet, der zu eingehenderen Untersuchungen der Daten und zur Unterstützung des Europäischen Raumflugkontrollzentrums (ESOC) in Darmstadt dient. Weil eine unmittelbare Datenanalyse für die Konfiguration nachfolgender Experimente erforderlich ist, nehmen die Forscher zudem am Schichtbetrieb im ESOC teil.

„Wir waren absolut begeistert, als wir nach nur einem Tag das uns selbst gesetzte Ziel erreichten. Und wir wissen nun, dass die Leistung des Laserinterferometers die Messgenauigkeit für ein zukünftiges Gravitationswellen-Observatorium im All um mehr als das Hundertfache übertrifft“, sagt Martin Hewitson, LISA Pathfinder Senior Scientist vom Albert-Einstein-Institut und der Leibniz Universität Hannover, der die Entwicklung der Datenanalyse-Software LTPDA geleitet hat.

Die außergewöhnlichen Ergebnisse beweisen, dass die Kontrolle über die Testmassen im Wesentlichen auf dem für den Bau eines Gravitationswellen-Observatoriums erforderlichen Niveau liegt. „Mit der von LISA Pathfinder erreichten Messgenauigkeit könnte ein Weltraumobservatorium die Gravitationswellen von verschmelzenden, extrem massereichen schwarzen Löchern in Galaxien im gesamten Universum nachweisen“, sagt Direktor Karsten Danzmann, Co-Principal Investigator des LISA Technology Package.

KNI / HOR


Hintergrund

LISA Pathfinder ist eine Mission der Weltraumagentur ESA. Daran beteiligt sind europäische Raumfahrtunternehmen unter der Systemverantwortung von Airbus DS, Forschungseinrichtungen aus Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Spanien, der Schweiz, und Großbritannien sowie die US-Raumfahrtagentur NASA. Das Albert-Einstein-Institut und das Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover sind verantwortlich für die deutschen Beiträge zur Mission. LISA Pathfinder wird aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert.

Die wissenschaftliche Missionsphase von LISA Pathfinder begann am 1. März 2016 und wird sechs Monate dauern, davon 90 Tage für das LISA Technology Package und 90 Tage für das Disturbance Reduction System, ein zusätzliches Experiment des Jet Propulsion Laboratory der NASA.

Die Messdaten der ersten zwei Monate zeigen, dass im Frequenzbereich zwischen 60 Millihertz und einem Hertz die Präzision von LISA Pathfinder nur durch die Genauigkeit des optischen Messsystems bestimmt wird, das die Position und Orientierung der Testmassen ermittelt.

Bei niedrigeren Frequenzen zwischen einem und 60 Millihertz ist die Kontrolle über die Testmassen durch Gasmoleküle bestimmt, die an die Würfel stoßen; eine geringe Anzahl von Gasmolekülen verbleibt im Vakuum, das die Testmassen umgibt. Die Stärke dieses Effekts nahm ab, während mehr und mehr Moleküle ins All entwichen. Man geht davon aus, dass sich dies in den kommenden Monaten weiter verbessert.

Bei noch niedrigeren Frequenzen unter einem Millihertz stellten die Forscher eine kleine Zentrifugalkraft fest, die auf die Würfel wirkt. Sie ist eine Folge der Bahnform von LISA Pathfinder und der Messgenauigkeit der Sternen-Navigationskamera, die den Satelliten ausrichtet.

Diese bei LISA Pathfinder auftretende Störkraft wird zukünftige Weltraumobservatorien wie eLISA nicht beeinflussen. Dort befindet sich nur eine einzelne Masse in jedem Satelliten und ist mit den anderen über Millionen Kilometer lange Laserarme verbunden. Ebenso wären die Störeffekte durch Restgasmoleküle aufgrund der deutlich längeren Missionsdauer viel geringer.

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