Neutrino-Detektor startet Messung

Neue Anlage in Frankreich soll grundlegende Neutrino-Eigenschaften messen

26. Januar 2011

Kürzlich haben die Wissenschaftler und Techniker der Double-Chooz-Kollaboration ihren Neutrino-Detektor fertig gestellt, der Antineutrinos aus dem Kernkraftwerk Chooz in den französischen Ardennen beobachten wird. Das Experiment kann jetzt mit der Messung fundamentaler Neutrino-Eigenschaften beginnen, was wichtige Konsequenzen für die Teilchen- und Astroteilchenphysik haben wird.

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen, von denen es drei Sorten sowie ihre Antiteilchen gibt. Sie wurden 1930 vorhergesagt, aber erst 1956 nachgewiesen, weil sie kaum mit anderen Teilchen wechselwirken und Materie fast ungehindert durchdringen. Zu ihrem Nachweis sind daher große und empfindliche Detektoren erforderlich.

Neutrinos haben die merkwürdige Eigenschaft, sich im Flug ineinander umwandeln zu können. Dieser „Neutrino-Oszillation“ genannte Effekt bedeutet, dass Neutrinos im Widerspruch zum Standardmodell der Teilchenphysik eine – wenn auch geringe – Masse haben. Diese bedeutende Entdeckung der späten 1990er-Jahre wurde in den Physiknobelpreis 2002 eingeschlossen.

Um die Oszillationen zu beschreiben, verwenden Teilchenphysiker drei Mischungsparameter. Zwei davon sind groß und wurden bereits gemessen. Für den dritten, wesentlich kleineren Parameter, „theta13“ genannt, hat das Vorgängerexperiment in Chooz eine obere Grenze gefunden. Der neue Double-Chooz-Detektor ist das erste einer neuen Generation von Reaktorneutrino-Experimenten mit dem Ziel, diesen fundamentalen Parameter der Neutrinophysik zu bestimmen. Die Messungen sollen grundlegende Eigenschaften der Neutrinos erkunden. Sie sind ein Schlüsselexperiment der teilchenphysikalischen Forschung.

Double Chooz besteht aus zwei identischen Detektoren. Der erste, etwa einen Kilometer von den Kernreaktoren entfernte Detektor wurde nun mit Messflüssigkeit gefüllt und beginnt mit der Datennahme. Die Wissenschaftler vergleichen die gemessene Zahl von Neutrinos mit dem erwarteten Neutrinofluss von den Reaktoren, was den Wert von theta13 schon 2011 deutlich verbessern wird. 2012 soll auch der zweite Detektor, der nur 400 Meter von den Reaktoren entfernt ist, in Betrieb gehen. Bis dorthin haben die Neutrinos noch kaum Gelegenheit, sich in eine andere Sorte umzuwandeln. Ein direkter Vergleich der Daten beider Detektoren ermöglicht dann eine wesentlich genauere Bestimmung von theta13.

Beide Detektoren nutzen speziell für das Experiment entwickelte, organische Flüssigkeiten („Szintillatoren“) als Nachweismedium. Zur Abschirmung ist die Nachweisflüssigkeit von drei Schichten anderer Flüssigkeiten in Acrylgefäßen umgeben. Der Szintillator im zehn Kubikmeter großen Zentrum des Detektors enthält Gadolinium. Es dient dazu, die Neutronen einzufangen, die aufgrund der Wechselwirkung der Antineutrinos aus den Reaktoren mit Protonen (Wasserstoffkernen) entstehen. Die dabei entsendeten Lichtblitze treten etwas später auf als diejenigen Blitze, die vom Zerstrahlen eines in derselben Reaktion entstandenen Positrons mit einem Elektron herrühren. Die Lichtblitze werden von 390 empfindlichen Photovervielfachern in elektronische Signale umgewandelt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird das Datenaufnahmesystem die Signale registrieren und zur Auswertung aufbereiten. So wird die Neutrinophysik, wie schon seit 50 Jahren, eines der fruchtbarsten Gebiete der Teilchenphysik bleiben.

Die Forscher am Max-Planck-Institut für Kernphysik haben mit der Entwicklung der gadoliniumhaltigen Szintillatorflüssigkeit entscheidend zu dem Experiment beigetragen. Sie mussten eine Gadoliniumverbindung finden, testen, herstellen und reinigen, die in der organischen Flüssigkeit löslich und mehrere Jahre stabil ist. In Zusammenarbeit mit japanischen Kollegen haben die MPIK-Forscher außerdem die Photovervielfacher in einem speziell dafür gebauten Teststand geprüft.

Die Double-Chooz-Kollaboration besteht aus Universitäten und Forschungseinrichtungen in Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Japan, Russland, Spanien und den USA. In Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und die Universitäten Tübingen, TU München, RWTH Aachen und Hamburg beteiligt.

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