Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe

Topologische Weyl-Semimetalle

Autoren
Yan, Binghai; Felser, Claudia
Abteilungen
„Festkörperchemie”
Zusammenfassung
Vor wenigen Jahren fanden theoretische Physiker heraus, dass die Topologie eines Materials zu neuen Quanteneigenschaften führen kann. Dieses einfache Konzept lässt sich auf die elektronische Struktur von halbleitenden Materialien anwenden, in denen relativistische Effekte wichtig sind. 2015 wurden verschiedene Materialien wie NbP, NbAs, TaP, TaAs und MoTe2 als vielversprechende, sogenannte Weyl-Semimetalle theoretisch vorhergesagt und daraufhin physikalisch untersucht. Das Besondere ist, dass Weyl-Fermionen, die in diesen Materialien als Quasiteilchen auftreten, in zwei Chiralitäten vorkommen.

Vor wenigen Jahren fanden theoretische Physiker heraus, dass die Topologie eines Materials zu besonderen neuen Quanteneigenschaften führen kann. Ein Ball und ein „Berliner” haben die gleiche Topologie (kein Loch), aber eine andere als ein Donut und eine Kaffeetasse (ein Loch oder einen Henkel). Dieses einfache Konzept lässt sich auf die elektronische Struktur von halbleitenden Materialien, in denen relativistische Effekte eine Rolle spielen, anwenden und hilft interessante Quantenmaterialien zu identifizieren. Topologische Isolatoren und der sogenannte Quanten-Spin-Hall-Effekt sorgten für hochkarätige Publikationen und Preise. Nun wurde eine neue Klasse von Materialien mit neuen topologischen Eigenschaften identifiziert, benannt nach dem deutschen Physiker Hermann Weyl. Hermann Weyl hatte 1929 sogenannte Weyl-Fermionen vorhergesagt. 2015 wurden verschiedene Materialien wie NbP, NbAs, TaP, TaAs, und MoTe2 von Theoretikern als vielversprechende Weyl-Semimetalle identifiziert [1–3] und wenig später physikalisch charakterisiert [4–7]. Das Besondere ist, dass Weyl-Fermionen, die in den Materialien als Quasipartikel auftreten, in zwei Chiralitäten vorkommen, ähnlich wie wichtige Moleküle des Lebens z. B. die DNA. Diese Chiralität der Quasiteilchen mit Spin nachzuweisen, ist eine Herausforderung für die Festkörperforschung.

Weyl-Semimetalle (WSM) wie NbP, TaP, NbAs, TaAs (Vorhersage B. Andrei Bernevig und Xi Dai) und Td-MoTe2 (Vorhersage Binghai Yan) stehen seit etwa einem Jahr im Mittelpunkt des Interesses der Festkörperwissenschaftler in Dresden. Die Materialien weisen eine ähnliche elektronische Struktur wie Graphen auf. Allerdings spielen bei diesen Materialien mit schweren Elementen wie Niob, Tantal und Molybdän relativistische Effekte eine große Rolle, die die elektronischen Eigenschaften prägen. Wie Graphen haben die Weyl-Semimetalle lineare Bänder, die sich in der Nähe der Fermienergie (Energie, die besetzte von unbesetzten Zuständen trennt) kreuzen und damit für den elektronischen Transport relevant sind. Die Ladungsträger, die mit diesen Bändern verbunden sind, die relativistischen Elektronen, bewegen sich mit etwa einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit – das sind 300 Kilometer pro Sekunde. Eine hohe Ladungsträgergeschwindigkeit können auch Dirac-Semimetalle aufweisen. Anders als in den Dirac-Semimetallen ist in Weyl-Semimetallen zusätzlich die Inversionssymmetrie gebrochen: Diesen Zeitumkehr-Symmetriebruch spaltet der Dirac-Punkt in zwei chirale Weyl-Punkte auf. Auch die rechte und die linke Hand und rechthändige und linkshändige Biomoleküle, die Grundbausteine des Lebens, sind chiral, d. h. die rechte Hand lässt sich mit der linken Hand nicht zur Deckung bringen. Wie in Abbildung 1 veranschaulicht, kommen daher Weyl-Punkte (roter und blauer Punkt) anders als ein Dirac Punkt, immer in Paaren vor. Sie sind die Knotenpunkte in den beiden Dirac-Kegeln. Die Knoten im Weyl-Semimetall haben eine feste Chiralität, aus der sich besondere Quanteneigenschaften ergeben.

Wie der Drall eines Projektils (die spiralförmige Bewegung) die Fluglage durch die Kreiselkräfte stabilisiert, dient in der Quantenwelt die chirale Bewegung der Weyl-Elektronen dazu, die speziellen Eigenschaften, wie zum Beispiel die hohe Geschwindigkeit der Elektronen zu stabilisieren. Die Chiralität kann man auf verschiedenen Wegen nachweisen, sie kann direkt mit winkelaufgelöster Photoemmission „fotografiert” werden oder indirekt in den Transporteigenschaften der Materialien identifiziert werden.

Riesenmagnetwiderstand und schnelle Elektronen

Essentiell für die Forschung im Bereich topologischer Quantenmaterialien sind Einkristalle höchster Qualität. Im Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe können wir – als Basis für zuverlässige physikalische Untersuchungen – in relativ kurzer Zeit viele anorganische Materialien (Oxide, Chalcogenide, Pnictide, intermetallische Verbindungen) als Einkristalle herstellen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Chemie und Physik ist eine besondere Stärke unseres Instituts. Sofort nachdem wir die Evidenz der theoretischen Vorhersage erkannt hatten, wurden Einkristalle hoher Qualität mittels chemischen Transports (Marcus Schmidt, Vicky Süss, Catherine Rajamathi) hergestellt. Innerhalb von zwei Wochen konnten erste Transportuntersuchungen durchgeführt werden (Chandra Shekhar). Die sogenannte Berry-Phase, die mittels ab-initio Bandstrukturrechnungen berechnet wurde, reflektiert sich in einer hohen Mobilität der Elektronen und einer hohen Fermigeschwindigkeit, robust gegen Rückstreuung [2]. Einige Elektronen verhalten sich, als seien sie nahezu masselos. Zusätzlich haben wir einen großen positiven transversalen Magnetwiderstand MR (B ⊥ I, d. h. Magnetfeld senkrecht zur Stromrichtung) in NbP von 3,6·106 % bei 1,3 K und 30 T und sogar von 8,1·106 % in einem Magnetfeld von 62 T bei 1,5 K [4]. Der Widerstand von Niobphosphid ändert sich in einem Magnetfeld so drastisch, weil das Feld die Ladungsträger durch die sogenannte Lorentzkraft ablenkt. Diese Kraft führt dazu, dass bei steigendem Magnetfeld ein immer größerer Teil der Elektronen gewissermaßen in die falsche Richtung fließt. Dadurch wächst der elektrische Widerstand.

NbP ist ein Semimetall, das bedeutet, dass das Valenzband und das Leitungsband die Fermienergie schneiden. Neben den Weyl-Punkten existieren daher Elektronen und Löcher-Taschen an der Fermienergie, und die damit verbundene Elektronen-Löcher-Resonanz erklärt den positiven MR (Abb. 2). Magnetwiderstände werden in den Leseköpfen von Festplatten verwendet und haben die Speicherdichten enorm vergrößert. Hierdurch sind Cloud-Computing und soziale Netzwerke erst möglich geworden. Eine Anwendung von Weyl-Semimetallen in der Elektronik ist denkbar.

Zur Untersuchung des Magnetwiderstandes sind sehr hohe Magnetfelder notwendig. Daher kooperieren die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe mit Wissenschaftlern des Hochfeld-Magnetlabors in Dresden Rossendorf (Dresden LD-EMFL, Prof. Jochen Wosnitza) und an der Radboud University in Nimwegen, Niederlande (HFML-EMFL, Prof. Uli Zeitler).

Chirale Anomalie – Fermibögen und negativer Magnetwiderstand

Ein Weg die chirale Anomalie nachzuweisen ist die winkelaufgelöste Photoemission. Wie mit einer Kamera lässt sich so die elektronische Struktur und damit der gesuchte Fermibogen „fotografieren”. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Yu-Lin Chen in Oxford konnten wir für die Serie von Einkristallen NbP, TaP, NbAs [5] und TaAs [6] die elektronische Struktur bestimmen und mit ab-initio Bandstrukturrechnungen vergleichen [5, 6]. Der Fermibogen verbindet die Weyl-Punkte auf der Oberfläche der Einkristalle (Abb. 3). Die Berechnungen zeigen, dass der Abstand der Weyl-Punkte mit der Masse der Verbindung zunimmt. Dies verwundert nicht, da mit der Masse der Elemente in den Verbindungen der Reihe NbP – NbAs – TaP – TaAs die relativistischen Effekte zunehmen. Aus den Bandstrukturen lassen sich weitere Vorhersagen ableiten, wie die Spintexturen und der Lifshitz-Phasenübergang, die in der nahen Zukunft untersucht werden sollen.

Aus der Quantenfeldtheorie folgt auch, dass die chirale Anomalie einen negativen Magnetwiderstand hat, wenn das magnetische Feld und der Strom parallel angelegt werden. Allerdings glauben wir, dass diese Transportmessungen mit sehr großer Sorgfalt durchgeführt werden müssen, um Fehler zu vermeiden. Mittels magnetischer Quanten-Oszillations-Messungen an NbP konnten wir die gesamte elektronische Struktur (Fermifläche) rekonstruieren und die Position der Weyl-Punkte relativ zur Fermienergie bestimmen. Ein Weyl-Paar ist 5 meV oberhalb der Fermienergie lokalisiert. Wahrscheinlich müssen wir die Einkristalle leicht dotieren, um die chirale Anomalie im Transport nachzuweisen. Erste Messungen an TaP [8] und dotiertem NbP [7] lieferten vielversprechende Ergebnisse, jedoch sind auch hier weitere Experimente notwendig. 

Besonders interessant sind auch die Vorhersage und die bisherigen Ergebnisse zu MoTe2. Die metastabile Td-Struktur ist nicht nur ein Weyl-Semimetall [3], die Verbindung ist sogar supraleitend [9]. Stabilisiert man unter Druck die Td-Struktur, so erhöht sich die supraleitende Sprungtemperatur auf fast 8 K. Gegenwärtig suchen wir nach weiteren multifunktionalen Weyl-Semimetallen, in denen Weyl-Punkte mit Magnetismus oder Supraleitung gemeinsam auftreten und so zu vielversprechenden neuen Quantenphänomenen führen können. 

Literaturhinweise

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Evolution of the Fermi surface of Weyl semimetals in the transition metal pnictide family
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Quantum oscillations and the Fermi surface topology of the Weyl semimetal NbP
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Negative magnetoresistance without well-defined chirality in the Weyl semimetal TaP
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Superconductivity in Weyl semimetal candidate MoTe2
Nature Communications 7, 11038 (2016)
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