Europa ist mit Recht gefragt

Max-Planck-Forum zu den umstrittenen Verfassungsreformen in Polen

Der Verfassungskonflikt in Polen geht die ganze EU an. Das war einhellige Meinung, als Staats- und Verfassungsrechtler diskutierten, wie die europäischen Werte angesichts des Konfrontationskurses der polnischen Regierung gewahrt werden können.

Gravierende institutionelle Reformen der neuen polnischen Regierung, die auf eine Umstrukturierung des Verfassungsgerichts, Eingriffe in die öffentlichen Rundfunkanstalten und das Beamtenwesen abzielen, haben in der EU eine lebhafte Debatte um den Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im europäischen Verfassungsraum ausgelöst. Zu diesem Thema fand Mitte März in Berlin ein Max-Planck-Forum mit dem Titel „How to Protect European Values – Assessing European Responses to Recent Reforms in Poland” statt.

Auf dem Podium diskutierten Armin von Bogdandy, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, der polnische Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar, Christoph Grabenwarter, österreichischer Verfassungsrichter und Vizepräsident der Venedig-Kommission, sowie Renáta Uitz, Professorin für vergleichendes Verfassungsrecht an der Central European University in Budapest. Moderiert wurde das Forum von Alexandra Kemmerer, Wissenschaftliche Koordinatorin am MPI für Völkerrecht.

Im Zentrum der Diskussion stand das auf Antrag des polnischen Außenministers erarbeitete Gutachten der Europäischen Kommission für Demokratie und Recht (Venedig-Kommission) zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen, das kurz zuvor veröffentlicht worden war und zu einer dramatischen Einschätzung gelangt: Durch die Lähmung des Verfassungsgerichts untergrabe die polnische Regierung Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Erst Dialog, dann Sanktion

Die im Gutachten formulierte Kritik wurde auf dem Podium aufgegriffen. Christoph Grabenwarter wies auf die außergewöhnliche Dynamik des Prozesses hin und betonte, dass das Verfassungsgericht als „Hüter der Verfassung“ nicht zur Disposition parlamentarischer Mehrheiten stehen dürfe. Renáta Uitz beklagte, dass in Polen wie in Ungarn zuerst das Verfassungsgericht zu einer Zielscheibe werde. Adam Bodnar, der polnische Ombudsmann, zeigte sich beschämt von der gegenwärtigen Verfassungskrise und ermutigte zu „kreativen Lösungen“ jenseits einer harten Konfrontation zwischen Regierung und Opposition.

Auch Armin von Bogdandy unterstrich die Notwendigkeit eines dialogorientierten Vorgehens – auch auf europäischer Ebene. Schließlich sei Polen mit Blick auf seine Geschichte fest mit der europäischen Identität verbunden. „Die polnische Verfassung von 1791 ist als erste moderne geschriebene Verfassung in Europa ein Wahrzeichen des europäischen Konstitutionalismus“. Gleichzeitig habe die EU, da nun grundlegende Werte bedroht werden, gute Gründe, sich einzumischen. Die rechtlichen Möglichkeiten seien in Artikel 7 des EU-Vertrags enthalten. Danach können bei Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von Fundamentalprinzipien Stimmrechte und Finanztransfers eines Mitgliedstaates ausgesetzt werden. Diesen Hebel anzuwenden, sieht Bogdandy nicht per se als unrealistisch an. Zwar bedürfte es Einstimmigkeit im Rat der EU-Staats- und Regierungschefs. Diese könne aber auch erreicht werden, indem sich beispielsweise einzelne Staaten ihrer Stimme enthalten.

Lea Brinkmann, Sandra Sobol

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