Rohmaterial für neue Gene

Genanalyse in Mäusen zeigt, dass neue Gene aus funktionslosen DNA-Abschnitten entstehen können

Jeder Bereich der DNA codiert für ein Gen. Wirklich jeder? Nicht ganz: Das Genom eines Organismus enthält einige Abschnitte, die zwar abgelesen und in RNA umgeschrieben werden, aus denen aber kein funktionierendes Gen entsteht. Wissenschaftler des Max-Planck Instituts für Evolutionsbiologie in Plön haben nun das Genom der Hausmaus Mus musculus und ihrer Verwandten untersucht und herausgefunden, dass aus diesen vermeintlich nutzlosen DNA-Abschnitten in kurzer Zeit neue funktionale Gene entstehen können.

Mäuse werden in der Forschung oft als Versuchstiere für Verhaltens- und genetische Experimente eingesetzt. Doch Maus ist nicht gleich Maus. Die in europäischen Laboren oft eingesetzte Hausmaus Mus musculus ist eine von 39 bekannten Arten ihrer Gattung. Die Gattung Mus ist vor etwa zehn Millionen Jahren entstanden, wohingegen die Hausmaus erst seit 500.000 Jahren als eigenständige Art lebt. Neue Arten entstehen oft durch die Veränderung bereits existierender Gene. Vor drei Jahren haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in Plön jedoch entdeckt, dass viele Gene komplette Neuerfindungen und nicht nur abgewandelte Kopien älterer Gene sind.

Die Forscher untersuchen in ihrer aktuellen Studie das Genom des Maus-Erbguts und konzentrieren sich dabei auf Regionen, die keine Gene enthalten. In manchen Mausarten werden viele dieser Bereiche abgelesen und in RNA umgeschrieben, in anderen nicht. Die Wissenschaftler haben die RNA-Moleküle aus unterschiedlichem Gewebe von zehn Mäuse-Arten aus dem Stammbaum der Gattung Mus analysiert und mit den Molekülen verglichen, die in einer „Referenzmaus“ vorkommen. Als Referenzmaus diente den Forschern eine Labormaus der Art Mus musculus. Das Genom dieser Labormaus ist den Forschern im Detail bekannt.

Die Forscher haben analysiert, wie viel Prozent des Genoms in jeder Art und jedem Gewebe in RNA umgeschrieben wird. Dabei haben sie herausgefunden, dass jede Art ungefähr die gleiche Menge RNA bildet. Es werden jedoch nicht immer die gleichen Bereiche abgelesen. Man kann sich das Genom wie ein Büro vorstellen und die abgelesene Regionen wie Angestellte. Unterschiedliche Firmen hätten demnach gleich viele Angestellte. Die Zahl der Angestellten bleibt also gleich, aber die Büros werden anders belegt.

DNA mit Potenzial zum Gen

Die Ergebnisse zeigen, dass sich nur besonders eng verwandten Arten manche RNA-Moleküle miteinander teilen. Die Analysen der Forscher haben außerdem ergeben, dass es fast keine Region im Erbgut gibt, die nicht in RNA-Moleküle umgeschrieben wird. „Früher haben wir die zusätzlichen Moleküle für fehlerhafte Messungen oder biologischen Müll gehalten, denn wir wussten nicht, wofür diese RNA abgelesen wird. Tatsächlich können diese Transkripte jedoch die Kandidaten für neue Gene sein“, erklärt Rafik Neme vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie. Abgelesene DNA-Abschnitte ohne bekannte Funktion oder Genbezeichnung werden auch als ,,Protogene‘‘ bezeichnet. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass jeder beliebige DNA Abschnitt das Potential zu einem Gen hat, sobald er in RNA übersetzt werden kann. Entsteht dadurch ein Gen mit einer wichtigen Funktion, bleibt es dauerhaft erhalten. Wenn das gesamte Genom als RNA ablesbar ist, ist fast jeder Abschnitt ein Protogen.

Die meisten inaktiven Bereiche einer Art sind in verwandten Arten dagegen aktiv. „Wir schließen daraus, dass diese Bereiche relativ leicht aktiviert oder inaktiviert werden können“, sagt Neme.

Ungenutzte RNA verschwindet

Im Laufe der Evolution entsteht in den verschiedenen Geweben unterschiedlich viel RNA. Die Forscher vermuten, dass sich RNA-Moleküle innerhalb kürzerer zeitlicher Abstände schneller verändern als über einen längeren Zeitraum hinweg. Denn wenn es keine wichtigen Aufgaben übernimmt, geht es wieder verloren.

Das Genom kann also sehr leicht in RNA umgeschrieben werden. Jeder Teil des Erbguts kann und wird irgendwann abgelesen werden. „Das Erbgut besteht folglich komplett aus Genen und Protogenen“, so Neme. „Das weit verbreitete Umschreiben in RNA ermöglicht, dass die Protogene permanent getestet werden, ob sie als neue Gene taugen.“

„Der molekulare Apparat zum Ablesen und Umschreiben von DNA bringt die Entstehung neuer Gene zwangsläufig mit sich. Jeder Teil des Genoms, in dem keine Gene zu finden sind, könnte deswegen irgendwann wichtig werden“, so Diethard Tautz, Direktor am Plöner Max-Planck-Institut. 

PH/HR

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