Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Ein Goldenes Zeitalter der Homogenen Katalyse

A Golden Age of homogeneous catalysis

Autoren
Alois, Fürstner
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
Zusammenfassung
Weil das Gold und sein naher Verwandter, das Platin, als „edel“ und damit reaktionsträge gelten, wurde das Potential löslicher Verbindungen dieser späten Übergangsmetalle für die homogene Katalyse lange Zeit massiv unterschätzt. Seit etwa der Jahrtausendwende jedoch ist dieses Nischenthema zu einem hoch kompetitiven Forschungsfeld mutiert. Das in den letzten Jahren wachsende Verständnis für die Struktur und Bindungsverhältnisse der beteiligten Zwischenstufen verspricht weiteres Wachstum.
Summary
The promise of soluble gold and platinum complexes for homogeneous catalysis has been underestimated for decades due to their "noble“ character and thus their supposed chemical lethargy. It was only after the turn of the millennium that this topic has witnessed exponential growth and evolved into a highly competitive area of research. It seems likely that recent insights into the reigning catalytic cycles and the structure of the involved reactive intermediates will foster further progress.

Ein zögerlicher Anfang

Gold fasziniert die Menschheit seit jeher. Seine Seltenheit verleiht ihm materiellen Wert, während es aufgrund seiner Farbe und seines Glanzes sowie der chemischen Persistenz schon immer als ästhetische Konstante, Bezugspunkt mythischer Überlieferungen und sozio-ökonomischer Ideale, sowie als Symbol des Himmlischen und Ewigen dient.

Neben Kunst, Kunsthandwerk und Literatur hat auch die Wissenschaftsgeschichte Anteil an diesem Mythos, soweit man die Alchemie als eine Wurzel für die wissenschaftliche Erforschung der Natur gelten lässt. Zwar waren die historisch belegten Versuche, Blei in Gold zu verwandeln, wohl von ziemlich offensichtlichen Motiven geleitet; die Adepten selbst aber strebten nach dem „idealen“ Zustand, physisch repräsentiert durch ein Metall, dem weder Säuren, Laugen, Schwefel noch Luft etwas anhaben können. So hält sich der Ausdruck „Edel“-Metall auch in der Wissenschaft hartnäckig, obwohl dessen Konnotationen zur Beschreibung chemischen Verhaltens wenig beitragen.

In der Sprache der Chemiker bedeutet „edel“ schlicht Widerstandsvermögen gegenüber Oxidation. Während Eisen rostet, kommt Gold „gediegen“ in der Natur vor. Wer aber würde erwarten, dass ein selbst aggressiven Chemikalien gegenüber inertes Element nützliche katalytische Eigenschaften besitzt, also anderen Reaktanden dabei hilft, sich selektiv und effizient umzusetzen? Zwar hat die heterogene Katalyse das Gold und seinen ebenso edlen Verwandten Platin früh zu nutzen gelernt, doch galten im Bereich der homogenen Katalyse diese Elemente über Jahrzehnte hinweg als langweilig und kaum der Mühe wert.

Es sind die spannendsten wissenschaftlichen Momente, wenn klar wird, dass das scheinbar Plausible grundlegend falsch ist. Fand die homogene Gold- und Platinkatalyse – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen [1] – lange Zeit kaum Beachtung, so erlebt sie etwa seit der Jahrtausendwende einen ungeahnten Aufschwung und hat sich in nur wenigen Jahren einen festen Platz im Repertoire der Synthesechemiker erobert [2,3,4,5]. Solange versucht wurde, mit Gold- oder Platin-Verbindungen Redoxkatalyse wie mit anderen Übergangsmetallen zu betreiben, musste der Durchbruch ausbleiben. Es bedurfte der Entwicklung konzeptionell neuer Katalysekreisläufe, die ohne Redoxschritte auskommen, um das Potenzial dieser Elemente und ihrer Komplexverbindungen erkennen zu können und heben zu lernen. Hierzu versucht meine Arbeitsgruppe seit Beginn dieses neuen „goldenen Zeitalters“ auf verschiedene Weisen beizutragen.

Naturstoffchemie als Pate

Angeregt durch eine mechanistisch unerklärt gebliebene Beobachtung japanischer Kollegen [6] haben wir zunächst eines der einfachsten Platinsalze, nämlich PtCl2 (Platin-Dichlorid), als Katalysator benutzt, um eine strukturell erstaunlich komplexe Umlagerungsreaktion durchzuführen (siehe Abb. 1) [7]. Diese Umsetzung erwies sich als robust, gut skalierbar und denkbar einfach durchzuführen: wegen des „edlen“ Charakters stören Luft und Feuchtigkeit – die weithin gefürchteten Schädlinge der metallorganischen Chemie – in diesem Falle kaum. Der so erhaltene Baustein 2  wurde seinerseits zum Schlüssel für die Totalsynthese eines biologisch relevanten Tripyrrolalkaloids und somit zur ersten Anwendung der Platinkatalyse in der Naturstoffchemie [7].

Konzeptionell wichtiger jedoch war die im Zug dieser Studie aufgestellte mechanistische Hypothese zur Erklärung der beobachteten Reaktivität. Demnach aktiviert das Platinkation aufgrund seiner hohen Affinität zu p-Systemen selektiv die Dreifachbindung des gewählten Substrats und keinesfalls die benachbarte Carbonylgruppe, die von einer Protonensäure oder konventionellen Lewis-Säure (Elektronenpaar-Akzeptor) getroffen würde. Um diese orthogonale Reaktivität zu beschreiben, haben wir den Ausdruck „carbophile Aktivierung“ geprägt [2]. Diese erlaubt einem Nucleophil die aktivierte Bindung anzugreifen, ohne dass das Metallatom (wie sonst häufig) direkt beteiligt wäre („outer sphere“ Mechanismus). Im konkreten Fall übernimmt das Alken die Rolle des Angreifers, was zu einer reaktiven Zwischenstufe führt, die sich nicht mehr mit einer einzigen Resonanzformel beschreiben lässt. Vielmehr kann sie als ein elektrophiles Carben oder als ein vom Metallzentrum stabilisiertes delokalisiertes Carbokation angesehen werden (siehe Abb. 1) [7-8].

Von der Empirie…

Dieser im Kontext der Streptorubin-Synthese erstmals postulierte Mechanismus der carbophilen Katalyse über carbenoide Intermediate mit hoher Partialladung am organischen Liganden ist in den Folgejahren zum Standardmodell avanciert, das nicht nur für Platin sondern vor allem auch für das besonders populär gewordene Gold gilt. Da dieser Vorschlag keine unmittelbare Wechselwirkung zwischen dem Katalysator und dem nukleophilen Reaktionspartner impliziert, müssten derartige trans-Additionsreaktionen nicht nur mit Alkenen sondern auch mit einer Vielzahl anderer Nukleophile durchführbar sein; weil polare Gruppen und Heteroatome die carbophile Säure kinetisch nicht lähmen, ist eine exzellente Chemoselektivität zu erwarten, wie sie die moderne Synthesechemie erfordert. Sofern es gelingt, gezielt Einfluss auf die Delokalisation der Ladungsdichte zu nehmen, wird strukturelle Diversität als zusätzlicher Bonus in Aussicht gestellt.

Diese und weitere qualitative Vorhersagen haben sich in einer enormen Zahl an Veröffentlichungen materialisiert und ließen die carbophile Edelmetall-Katalyse zu einem hoch kompetitiven und immer noch wachsenden Gebiet anschwellen [2-5]. Uns selbst hat diese mechanistische Vorstellung zunächst zur Suche nach neuer Reaktivität angeregt, für die das klassische Repertoire der organischen und metallorganischen Chemie keine (oder allenfalls wenig) Präzedenz parat hält. Auch erste Anwendungsbeispiele ließen sich in rascher Folge realisieren [2, 9].

…zum mechanistischen Verständnis

Trotz dieser Erfolge wurde zunehmend deutlich, dass die mechanistische Interpretation eine (zwar nützliche) Hypothese bleiben würde, solange die tatsächliche Struktur der beteiligten Zwischenstufen unbekannt ist. Daher hat sich der Fokus unserer Arbeit im Lauf der Jahre zunehmend auf das Studium der potentiell am Geschehen beteiligten Spezies verschoben. Wären diese nicht so reaktiv, dann wären die eingesetzten Platin- und Goldverbindungen keine guten Katalysatoren. Diese Tatsache macht die Charakterisierung der relevanten Zwischenstufen zu einer großen Herausforderung an der Grenze des präparativ Machbaren. Das betrifft vor allem die nicht stabilisierten Gold- oder Platin-Carbenoide als die eigentlichen Schlüsselintermediate. Daher hat es nicht an Versuchen zahlreicher Arbeitsgruppen gefehlt, diese anstatt im Labor lediglich in silico zu beschreiben. Auch wenn diese Bemühungen zweifellos viele interessante Facetten beleuchtet haben, liefert nicht jedes von der Stange erhältliche Computerprogramm angesichts der Schwierigkeiten bei der Beschreibung hoch relativistischer später Übergangsmetalle notwendigerweise richtige Zahlen. Dies hat bereits unser erster erfolgreicher Versuch, ein reaktives Goldcarbenoid experimentell zu charakterisieren, deutlich gemacht [10]. So ließen sich die erstmals spektroskopisch bestimmten Rotationsbarrieren, die ein Maß für den Doppelbindungscharakter der Carben-Einheit sind, mit den von vielen Gruppen benutzten Programmpaketen nicht reproduzieren [11]. Die experimentellen Daten zeigten deutlich, dass die in der Literatur populäre Darstellungsweise als Au=C-Doppelbindung mit der physikalischen Wirklichkeit wenig zu tun hat; vielmehr ist die in unserer ursprünglichen Arbeit [7] vorgeschlagene Sichtweise, dass die Ladungsdichte eines solchen Carbenoids in hohem Maß am Ligand delokalisiert ist, die bessere Beschreibung.

Dies wurde vor kurzem bekräftigt, als es erstmals gelang, ein reaktives Goldcarben zu isolieren und kristallographisch zu untersuchen (siehe Abb. 3) [12]. Strukturbestimmend sind die aromatischen Substituenten des Liganden und nicht die Rückbindung von Elektronendichte aus den d-Orbitalen des Metalls in das leere Orbital des Carbens. In der Zwischenzeit konnten wir außerdem zeigen, dass auch die Variation der Hilfsliganden an dieser Gesamtsituation wenig ändert [13]. Zusammen mit einigen kurz danach publizierten Kristallstrukturanalysen aus anderen Labors dienten diese Daten der Validierung computerchemischer Studien und haben bereits zur teilweisen Revision früherer Debattenbeiträge über die Bindungsverhältnisse in Goldcarbenen geführt [14].

Der Kreis schließt sich: Naturstoffsynthese als Test

Mit wachsendem Verständnis für die Struktur und Reaktivität der relevanten Zwischenstufen nimmt auch die Bereitschaft zu, platin- oder goldkatalysierte Reaktionen als strategisches Element in die Planung komplexer Synthesen einzubeziehen. Die in Abbildung 3 gezeigten Beispiele aus unserem Labor illustrieren einige Erfolge der letzten Jahre, wobei der katalytische Schlüsselschritt jeweils spät in der Reaktionssequenz eingeplant war, um die Verlässlichkeit und Effizienz der Katalysatoren rigoros zu testen [15]. Ein markantes Beispiel ist die Darstellung des marinen Naturstoffs Enigmazole A, der ein bereits klinisch validiertes biologisches Target adressiert (siehe Abb. 4) [16]. Nach erfolgtem Ringschluss mithilfe eines ebenfalls in unserem Labor entwickelten Molybdän-basierten Alkinmetathese-Katalysators [17,18] diente eine Gold-katalysierte Reaktionskaskade dazu, die charakteristische Tetrahydropyraneinheit und das flankierende Oxygenierungsmuster in der Peripherie des Makrozyklus in einem Schritt aufzubauen. Hierfür war die Verwendung eines chiralen Goldkomplexes notwendig, um die dem Substrat inhärente stereochemische Präferenz zu überschrieben.

Ausblick

Führte die homogene Platin- und Goldkatalyse bis zur Jahrtausendwende allenfalls ein Nischendasein, so ist sie in der Zwischenzeit zu einem rasant wachsenden Arbeitsgebiet mutiert, das sich einen festen Platz im Arsenal der präparativen Chemie gesichert hat. Es ist anzunehmen, dass ihre Bedeutung in dem Maß weiter zunehmen wird, wie die Empirie einem tieferen Verständnis für die katalytischen Kreisläufe und die daran beteiligten reaktiven Zwischenstufen Platz macht. Eine wachsende Anzahl von Anwendungen auf komplexe Zielmoleküle beweist das enorme Potential und verheißt möglichen Nutzen in der industriellen Praxis. Erste Beispiele der Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe mit Hilfe dieser sich rasch entfaltenden Technologie sind ermutigend [19], und werden die (psychologischen) Hürden im Umgang mit diesen teuren aber äußerst vielseitigen Katalysatoren beseitigen helfen.

 

[1] Ito, Y.; Sawamura, M.; Hayashi, T.: Journal of the American Chemical Society, 108, S. 6405 - 6406 (1986)

[2] Fürstner, A.; Davies, P. W.: Angewandte Chemie International Edition, 46, S. 3410  -3449 (2007)

[3] Gorin, D. J.; Toste, F. D.: Nature, 446, S. 395 - 403 (2007)

[4] Hashmi, A. S. K.: Chemical Reviews, 107, S. 3180 - 3211 (2007)

[5] Jiménez-Núñez, E.; Echavarren, A. M.: Chemical Reviews, 108, S. 3326 - 3350 (2008)

[6] Chatani, N.; Furukawa, N.; Sakurai, H.; Murai, S.: Organometallics, 15, S. 901 - 903 (1996)

[7] Fürstner, A.; Szillat, H.; Gabor, B.; Mynott, R.: Journal of the American Chemical Society, 120, S 8305 - 8314 (1998)

[8] Fürstner, A.; Stelzer, F.; Szillat, H.: Journal of the American Chemical Society, 123, S. 11863 - 11869 (2001)

[9] Fürstner, A.: Chemical Society Reviews, 38, S. 3208 - 3221 (2009)

[10] Seidel, G.; Mynott, R.; Fürstner, A.: Angewandte Chemie International Edition, 48, S. 2510 - 2513 (2009)

[11] Benitez, D.; Shapiro, N. D.; Tkatchouk, E.; Wang, Y.; Goddard, W. A.; Toste, F. D.: Nature Chemistry, 1, S. 482 - 486 (2009)

[12] Seidel, G.; Fürstner, A.: Angewandte Chemie International Edition, 53, S. 4807 - 4811 (2014)

[13] Werlé, C.; Goddard, R.; Fürstner, A.: Angewandte Chemie International Edition, 54, S. 15452 - 15456 (2015)

[14] Nunes dos Santos Comprido, L.; Klein, J. E. M. N.; Knizia, G.; Kästner, J.; Hashmi, A. S. K.: Angewandte Chemie International Edition, 54, S. 10336 - 10340 (2015)

[15] Fürstner, A.: Accounts of the Chemical Research, 47, S. 925 - 938 (2014)

[16] Ahlers, A.; de Haro, T.; Gabor, B.; Fürstner, A.: Angewandte Chemie International Edition, 55, S. 1406 -1411 (2016)

[17] Fürstner, A.: Angewandte Chemie International Edition, 52, S. 2794 - 2819 (2013)

[18] Fürstner, A.: Science, 341, 1229713 (2013)

[19] Teller, H.; Fürstner, A.: Chemistry-A European Journal, 17, S. 7764 - 7767 (2011)

Literaturhinweise

Fürstner, A.; Davies, P.W.
 Catalytic Carbophilic Activation: Catalysis by Platinum and Gold π Acids
 Angew. Chem. Int. Ed. 46, 3410-3449 (2007)
Chatani, N., Furukawa, N., Sakurai, H.; Murai, S.
PtCl2-Catalyzed Conversion of 1,6- and 1,7-Enynes to 1-Vinylcycloalkenes. Anomalous Bond Connection in Skeletal Reorganization of Enynes
Organometallics 15, 901-903 (1996)
Fürstner, A., Szillat, H.; Gabor, B.; Mynott, R.
Platinum- and Acid-Catalyzed Enyne Metathesis Reactions: Mechanistic Studies and Applications to the Syntheses of Streptorubin B and Metacycloprodigiosin
J. Am. Chem. Soc. 120, 8305-8314 (1998)
Fürstner, A., Stelzer, F.; Szillat, H.
Platinum-Catalyzed Cycloisomerization Reactions of Enynes
J. Am. Chem. Soc. 123, 11863-11869 (2001)
Seidel, G., Mynott, R.; Fürstner, A.
Elementary Steps of Gold Catalysis: NMR Spectroscopy Reveals the Highly Cationic Character of a "Gold Carbenoid"
Angew. Chem. Int. Ed. 48, 2510-2513 (2009)
Benitez, D., Shapiro, N.D.; Tkatchouk, E.; Wang, Y.; Goddard, W.A.; Toste, F.D.
A Bonding Model for Gold(I) Carbene Complexes.
Nat. Chem. 1, 482-486 (2009)
Seidel, G.; Fürstner, A.
Structure of a Reactive Gold Carbenoid
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Fürstner, A.
From Understanding to Prediction: Gold- and Platinum-Based π-Acid Catalysis for Target Oriented Synthesis
Acc. Chem. Res. 47, 925-938 (2014)
Ahlers, A., de Haro, T.; Gabor, B.; Fürstner, A.
Concise Total Synthesis of Enigmazole A.
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Fürstner, A.
Teaching Metathesis “Simple” Stereochemistry
Science 341, 1229713 (2013)
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