Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Bioraffinerie und nachhaltige Chemie: Neue Bausteine für die Kolloidchemie

Autoren
Esposito, Davide; Antonietti, Markus
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm, Abteilung Kolloidchemie
Zusammenfassung
Eine nachhaltige Erzeugung von Fein- oder Plattformchemikalien aus Biomasse ist wünschenswert, aber mit vielen Problemen verbunden. Die Biorefinery-Gruppe am Institut entwickelt daher neue Aufschlussverfahren, um Rohbiomasse in verschiedene Produktströme aufzutrennen. Es werden neue Katalysatorsysteme synthetisiert, welche die teilweise extremen Bedingungen sich umsetzender Biomasse intakt überstehen. Eine aus der Bioraffinerie entstehende Chance ist der Zugang zu unkonventionellen chemischen Bausteinen, der in der Materialwissenschaft neue funktionale Polymere und Kolloide ermöglichen könnte.

Unsere moderne Gesellschaft ist bei der Herstellung von Treibstoffen, Chemiegrundstoffen und Pharmazeutika immer noch stark auf fossile Rohstoffe angewiesen. Zum einen werden solche fossilen Stoffe nicht immer zur Verfügung stehen und irgendwann zur Neige gehen. Zum anderen nimmt durch die exzessive Nutzung nicht nachwachsender Rohstoffe die Umweltverschmutzung beständig zu und treibt schließlich den Klimawandel voran. In den letzten Jahrzehnten hat die wissenschaftliche Gemeinschaft Rohbiomasse sowie landwirtschaftliche Seitenprodukte als vielversprechende Edukte für die Erzeugung von Treibstoffen und Feinchemikalien als Alternative identifiziert. Die Wertschöpfung aus nachwachsenden Rohstoffen, wie sie in einer Bioraffinerie abläuft, ähnelt der klassischen Raffinerie. Während dort fossile Rohstoffe (üblicherweise Rohöl) zu hochwertigen Produkten (Treibstoffe und Chemikalien) veredelt werden, stellt man in Bioraffinerien entweder direkt Energie (mit thermischen Methoden) oder Treibstoffe (durch biotechnologische Prozesse) her.

Hingegen steckt die Entwicklung von Fein- oder Plattformchemikalien durch alternative chemische Methoden noch in den Kinderschuhen. Ein möglicher Erfolg auf dem Markt hängt stark von der Verfügbarkeit entsprechender Katalyseschemen ab. Zentrales Thema der „Bioraffinerie-Gruppe“ am MPI für Kolliod- und Grenzflächenforschung ist daher die Entwicklung neuer, erfolgreicher Strategien zur Veredelung von breit verfügbarer Biomasse in wertvolle Chemikalien, etwa für die Erzeugung von Polymeren und Kolloiden. Die aktuelle Forschung strukturiert sich um drei größere Themenbereiche (siehe Abb. 1):

  • Entwicklung hydrothermaler Methoden zur Zerlegung von Biomasse, welche die Umsetzung von Polysacchariden und Lignin in eine Kaskade von Bausteinen und Plattformchemikalien erlaubt.
  • Entwicklung neuartiger kolloidaler Katalysatoren, die die Veredelung von Biomasse abgeleiteten Substanzen ermöglicht.
  • Synthese von wertvollen Materialien aus solchen nachhaltigen Bausteinen, die dann das Endprodukt von solchen Biomasseumwandlungen darstellen könnten.

Hydrothermale Zerlegung von Biomasse

Lignocellulosische Stoffe wie Holz sind eher heterogen in ihrem Aufbau und bestehen im Wesentlichen aus Polysacchariden (üblicherweise 70 bis 85 Gewichtsprozent) und Lignin (restliche 15 bis 30 Gewichtsprozent). Die Eintrittsstufe einer Umsetzungskaskade für Rohbiomasse sollte daher die Trennung der Zuckerfraktion von der Ligninfraktion erlauben. In diesem Zusammenhang haben sogenannte Organosolv-Prozesse, bei denen die Biomasse mit organischen Lösemitteln bei erhöhten Temperaturen behandelt wird, breite Anwendung gefunden. Dieser Ansatz dient in erster Linie der Isolierung der Ligninfraktion. Um solche Prozesse im Hinblick auf ihre Effizienz zu verbessern, wurde eine neue Methode entwickelt, die gleichzeitig die Isolierung einer Polysaccharid-Fraktion erlaubt (siehe Abb. 2). Dabei wurden Bedingungen für die alkalische hydrothermale Behandlung von Zuckern und Biomasse identifiziert, die den hochselektiven Abbau der Zucker zu Milchsäure vorantreiben. Dies ist ein wichtiger Grundstoff für die Herstellung von biologisch abbaubaren Plastikmassen [1]. Diese Strategie ließ sich im Labor auch auf einer Skala von 40 Gamm Rohbiomasse durchführen. Zusätzlich zur Umwandlung in Milchsäure konnte der Ligninanteil, im Verbund mit anderen organischen Säuren, isoliert werden. Dieses Verfahren könnte also ein möglicher Eintrittspunkt zu einer neuartigen Bioraffinerie sein.

Neben dem alkalischen Aufschluss wurden auch ergänzende saure Verfahren untersucht, die üblicherweise zu C5-Einheiten führen. So wurde beispielsweise die Umsetzung von Cellulose zu Laevulinsäure optimiert, welche eine bereits bekannte und geschätzte Plattformchemikalie ist. Anschließend wurde diese konsekutiv direkt mit Raney-Nickel zu g-Valerolacton hydriert. Darunter versteht man ein grünes Lösemittel mit exzellenten Eigenschaften, das bereits als Treibstoffzusatz genutzt wird [2]. Die Funktionalisierung von g-Valerolacton mittels einer a-Methylenierung wiederum führt zu einem Monomer, welches sich mittels radikalischer Polymerisation oder in der Emulsionspolymerisation umsetzen lässt. So wurden in Zusammenarbeit mit der Gruppe für Heterophasenpolymerisation (Dr. Tauer, Kolloidchemie) Polymer-Nanopartikel mit einem sehr hohen Erweichungspunkt hergestellt. Auf diese Weise ließ sich ein mögliches integriertes Veredlungsschema illustrieren: Angefangen von ligno-cellulosischer Rohbiomasse über mehrere Stufen bis hin zu wertvollen Nanomaterialien.

Entwicklung neuer, nachhaltiger Katalysatoren

Viele Primärprodukte der hydrothermalen Umsetzung von Biomasse lassen sich im Prinzip einfach in verschiedene andere Massenchemikalien durch katalytische Umwandlungen erzeugen. Allerdings sind viele dieser Prozesse an teure und auch seltene Edelmetalle der Platingruppe geknüpft. Im direkten Vergleich mit Rohölprodukten fällt auf, dass Biomasse inhärent chemisch hochgradig funktionell und polar ist. Das führt zum Auswaschen des Katalysators oder auch zur kompletten Deaktivierung des Katalysators in Kontakt mit realen Biomasse-Hydrolysaten. Die Nutzung von preiswerten und häufigen Elementen wie Eisen und Nickel ist daher für die Synthese heterogener Katalysatoren anzuraten. Zusätzliche Verkapselungs- oder andere Schutzmaßnahmen beeinflussen positiv die nachhaltige Umsetzung von Biomasse in neue Chemikalien. In diesem Zusammenhang haben wir zahlreiche Kohlenstoff-geträgerte Metallsysteme für die Hydrierung und Hydrogenolyse entwickelt. So wurden Kohlenstoff-unterstützte Ni-Fe Legierungen durch einfache Imprägnierung von Cellulose, gefolgt von carbothermaler Reduktion, hergestellt [3]. Bei geeigneter Reaktionsführung führt dies zu Kohlenstoff-verkapselten Metall-Nanopartikeln, die erfolgreich Biomasse durch Einlagerung von Wasserstoff spalten können (sogenannte Hydrogenolyse). Die Nanopartikel sind dabei zugleich ungewöhnlich stabil und funktionstolerant, besonders im Vergleich zu ihren kommerziellen Entsprechungen.

Ein weiterer Ansatz erkundet das Design und die Herstellung von heterogenen Katalysatoren mit präziser Kontrolle der Nanostruktur. Metallnitride sind dabei keramische Systeme, die sowohl edel als auch metallisch sind, aber nicht auf den klassischen Edelmetallen basieren. Die Hybridisierung von solchen keramischen Trägern mit klassischen Metall-Nanopartikeln führt zu einer vollständig neuen Klasse von Verbundkatalysatoren, bei denen sich die Aktivitäten der beiden Metalle durch den direkten elektronischen Kontakt gegenseitig modulieren.

So konnte kürzlich gezeigt werden, dass Titannitrid ein sogenanntes nicht-unschuldiges Substrat und Promotor zur Aktivitäts- und Stabilitätssteigerung von Nickel-Nanopartikeln ist [4]. Diese Hybride ließen sich beispielsweise bei hoher Reaktivität für die Hydrogenolyse von Arylethern als Modellverbindung und schließlich von Kraftlignin nutzen.

Neue hochwertige, nachhaltige Chemikalien

Dank der Vielfalt von Grundstoffen, die aus der Zerlegung von Biomasse entstehen, lassen sich außerdem neuartige Verbindungen herstellen, die nicht einfach auch auf der Basis petrochemischer Fragmente zugänglich sind. Dazu wählen wir aufgrund unserer Expertise Moleküle, die in der Polymer- und Materialchemie Anwendung finden.

Eines der ersten Ziele war die Entwicklung einer nachhaltigen Synthesemethode für die Herstellung von Imidazolium-Ionen und grünen ionischen Flüssigkeiten.

Während der Synthese von Milchsäure aus Zuckern wurde auch Pyruvaldehyd als mächtiger Synthesebaustein identifiziert [1]. Auf dieser Basis und in Kombination mit natürlichen Aminosäuren wurde die Synthese einer ganzen Bibliothek von disubstituierten Imidazolium-Ionen unter Verwendung einer grünen Modifikation der Debus-Radziszewski-Reaktion untersucht [5]. Die so erhaltenen Verbindungen sind vielfältige Intermediate für die Herstellung von sogenannten „task specific ionic liquids”. Aufgrund ihrer Funktionalitäten finden sie in vielen Bereichen Anwendung, so etwa bei der Herstellung von biologisch abbaubaren, poly-ionischen Flüssigkeiten, welche in Zusammenarbeit mit der PILS Gruppe (Dr. Yuan, Kolloidchemie) erforscht wurden. Weiterhin ließ sich durch die direkte hydrothermale Decarboxylierung eine ganz neue Familie von ionischen Flüssigkeiten ausschließlich aus nachwachsenden Grundstoffen herstellen. Einige dieser ionischen Flüssigkeiten fungierten dann wiederum als Medium zur Auflösung und Konversion von Cellulose und Rohbiomasse. Damit ließ sich der Kreis der Bioraffinerie konzeptionell schließen [6, 7, 8].

Interessanterweise sind Imidazolium-Ionen auch bekannte Vorläuferverbindungen für N-heterocyclische Carbene. Auf der Basis von aus natürlichen Aminosäuren abgeleiteten Substitutionsmustern wird im Moment der mögliche Nutzen der biobasierten Imidazolium-Verbindungen als chelatisierende N-heterocyclische Carbene bewertet. So lassen sich stabile organometallische Komplexe für die Katalyse produzieren. Alternativ können solche Verbindungen auch auf festen Trägern immobilisiert werden, um interessante reaktive Oberflächen für einen ganzen Bereich von Anwendungen zu erzeugen.

Literaturhinweise

Esposito. D. and Antonietti, M.
Chemical Conversion of Sugars to Lactic Acid by Alkaline Hydrothermal Processes
ChemSusChem, 6, 989-992, (2013)
Molinari, V., Antonietti, M., Esposito, D.
An integrated strategy for the conversion of cellulosic biomass into gamma-valerolactone
Catal. Sci. Technol., 4, 3626-3630 (2014)
Chieffi, G., Giordano, C., Antonietti, M., Esposito, D.
FeNi nanoparticles with carbon armor as sustainable hydrogenation catalysts: towards biorefineries

J. Mat. Chem. A, 2, 11591-11596 (2014)

Molinari, V., Giordano, C., Antonietti, M., Esposito, D.
Titanium Nitride-Nickel Nanocomposite as Heterogeneous Catalyst for the Hydrogenolysis of Aryl Ethers
J. Am. Chem. Soc., 136, 1758-1761 (2014)
Esposito, D., Kirchhecker, S., Antonietti, M.
A Sustainable Route towards Imidazolium Building Blocks Based on Biomass Molecules
Chem. Eur. J., 19, 15097-15100 (2013)
Kirchhecker, S., Antonietti, M., Esposito, D.
Hydrothermal decarboxylation of amino acid derived imidazolium zwitterions: a sustainable approach towards ionic liquids
Green Chem., 16, 3705-3709 (2014)
Kirchhecker, S., Esposito D.
Amino Acid-Derived Imidazolium Zwitterions: Building Blocks for Renewable Ionic Liquids and Materials, in Green Technologies for the Environment
American Chemical Society, 1186, 4, 53-68 (2014)
Krannig, K. S., Esposito, D., Antonietti, M.
Highly Efficient Transfer of Amino Groups to Imidazolium Entities for Polymer Coupling and Cross-Linking
Macromolecules, 47, 2350-2353, (2014)
Zur Redakteursansicht