Die Suche nach dem zarten Zittern

Gravitationswellen gehören zu den spektakulären Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie von 1915. Aber erst ein halbes Jahrhundert später versuchte der Physiker Joseph Weber sie aufzuspüren. Anfang der 1970er-Jahre stiegen auch Max-Planck-Wissenschaftler in dieses Forschungsfeld ein und entwickelten Detektoren der zweiten Generation. Dank der Vorarbeiten dieser Pioniere blieben die Wellen in der Raumzeit keine Hirngespinste: Im September 2015 gingen sie endlich in die Falle.

Text: Helmut Hornung

Albert Einstein zweifelte: Gravitationswellen werde man niemals nachweisen können, zu schwach sei das Zittern der Raumzeit! Dabei hatte er selbst ihre Existenz postuliert, denn sie ergibt sich aus seiner im November 1915 vorgelegten Allgemeinen Relativitätstheorie. Wenig später – 1916 und 1918 – widmet er diesem Phänomen jeweils eine Veröffentlichung.

Nach zwei Jahrzehnten plötzlich die Wende: „Ich habe zusammen mit einem jungen Mitarbeiter [Nathan Rosen] das interessante Ergebnis gefunden, daß es keine Gravitationswellen gibt“, schreibt Einstein an seinen Kollegen Max Born. Und reicht 1936 bei der renommierten Zeitschrift Physical Review ein Manuskript ein – das ein Gutachter als unbrauchbar an den Autor zurücksendet. Albert Einstein kocht vor Wut ob dieser Blamage, muss aber einsehen, dass seine Argumentation tatsächlich fehlerhaft ist. Seine Zweifel waren unberechtigt.

Und die Fachwelt? Die nimmt von den Gravitationswellen kaum Notiz. Das gilt für die Allgemeine Relativitätstheorie insgesamt, die schon seit den 1920er-Jahren ein eher kümmerliches Dasein fristet. Erst nach Einsteins Tod 1955 wächst das Interesse an ihr. Schwarze Löcher oder Quasare rücken jetzt ins Blickfeld der Astrophysiker: exotische Objekte, die sich ohne Einsteins Formeln nicht erklären lassen. Von dieser Renaissance der Relativität profitieren letztlich auch die Gravitationswellen. Wenigstens bei einem Physiker bringen sie eine Saite zum Schwingen: Joseph Weber.

Der 1919 in New Jersey geborene Wissenschaftler forscht an der Universität von Maryland und hat die Idee zu einem simplen Experiment: Er hängt einen tonnenschweren Aluminiumzylinder – etwa eineinhalb Meter lang und 60 Zentimeter dick – in einer Drahtschleife auf und versieht ihn in der Mitte mit Piezosensoren, die Schwingungen registrieren sollen. Die gesamte Versuchsanordnung steckt in einer Vakuumkammer.

Warum aber können Gravitationswellen einen massiven Metallzylinder erzittern lassen? Weil sie den Raum senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung dehnen und stauchen. Stellen wir uns vor, Gravitationswellen würden auf einen kugelförmigen Ballon treffen: Innerhalb von tausendstel Sekunden würden sie ihn zunächst zu einem Ei verformen und anschließend zu einer Wurst auseinanderziehen.

Als Quellen für Gravitationswellen denkt Weber vor allem an kosmische Katastrophen innerhalb unserer Milchstraße, an eine Supernova etwa. Dabei explodiert ein Stern und schleudert große Massen ins Weltall, während gleichzeitig seine inneren Bereiche in sich zusammenstürzen. Übrig bleiben ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch. Heute wissen wir, dass diese Objekte auch selbst Gravitationswellen erzeugen können – und zwar immer dann, wenn sie als Paare in engen Umlaufbahnen entstehen und miteinander verschmelzen. Die im September 2015 registrierten Wellen stammen von einem derartigen Ereignis: von zwei schwarzen Löchern mit 29 und 36 Sonnenmassen, die sich in einer rund 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie vereint haben.

Die Reichweite der Weber-Zylinder umfasste nur einen kleinen Bereich innerhalb unserer Milchstraße. Unwahrscheinlich, dass darin eine Supernova hochgeht. Zumal es in der gesamten Galaxie nur zwei bis vier solcher Ereignisse pro Jahrhundert geben sollte. Dennoch: 1969 meldet Joseph Weber einen Erfolg. Seine Detektoren in Maryland und am 1000 Kilometer entfernen Argonne National Laboratory sollten tatsächlich Gravitationswellen registriert haben, sogar mehrere pro Woche!

Andere Wissenschaftler bleiben skeptisch. Auch die am Münchner Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik. Hier schlägt im Jahr 1970 die Geburtsstunde der Gravitationswellenforschung in Deutschland. „Damals beschlossen wir, Webers Experiment mit verfeinerter Technik und ausgeklügelter Datenverarbeitung möglichst exakt zu wiederholen“, erinnert sich Walter Winkler, der zu den ambitionierten Max-Planck-Forschern gehörte. Die Gruppe um Heinz Billing baut in München und im italienischen Frascati die empfindlichsten Zylinderdetektoren weltweit. Mit ihnen lassen sich noch Längenänderungen von 10-15 Zentimeter registrieren. Die Versuche laufen von 1972 bis 1975. Ergebnis: nichts!

Die Weber-Detektoren kommen aus der Mode – und machen einer neuen Methode Platz: der Interferometrie. Die Idee dazu stammt von dem deutsch-amerikanischen Physiker Albert A. Michelson. Im Jahr 1881 wollte er mit einem solchen Gerät in Potsdam die Geschwindigkeit der Erde relativ zum damals vermuteten Äther messen. 90 Jahre später schlagen Philip Chapman, Robert Forward und Rainer Weiss ein derartiges Instrument als Detektor für Gravitationswellen vor. Als Lichtquelle soll ein Laser dienen. Doch die drei US-Forscher kommen wegen Geldmangels nicht weiter.

Wieder tritt die Gruppe aus dem Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik auf den Plan. Als einzige weltweit beginnt sie, mit dieser neuen Technik zu arbeiten. Deren Prinzip ist einfach: Ein Laserstrahl trifft auf einen Strahlteiler und wird dort in zwei Strahlen aufgespalten; einer läuft geradeaus weiter, der andere wird zur Seite abgelenkt. Am Ende einer jeder Strecke sitzt ein Spiegel, der das Licht auf den Strahlteiler zurückreflektiert.

Dieser lenkt die Strahlen nun so um, dass sie sich überlagern, also interferieren. Die auf einer Photodiode ankommenden Lichtwellen schwingen jedoch nicht im Gleich-, sondern im Gegentakt: Wellenberg trifft auf Wellental, die Lichtwellen löschen sich gegenseitig aus. Läuft eine Gravitationswelle durch das System, quetscht und dehnt sie den Raum und verändert so die Messstrecken. Die Lichtwellen geraten aus dem Takt. Der Empfänger bleibt nicht länger dunkel – ein Signal erscheint.

Im Jahr 1975 bauen die Münchner Forscher – neben Heinz Billing sind das Walter Winkler, Albrecht Rüdiger, Roland Schilling, Lise Schnupp und Karl Maischberger – einen Prototyp mit einer Armlänge von drei Metern. Das Licht eines drei Watt starken Argon-Lasers wird darin 150-mal reflektiert. Doch auch dieser Detektor der zweiten Generation hat seine Tücken: Die Lichtfrequenz des Lasers muss extrem stabil sein, außerdem ist seine Grundleistung zu schwach. Zudem verursachen Schwankungen in der Geometrie des Strahls unerwünschte Fehlsignale und lassen Bodenerschütterungen die Spiegel erzittern.

Um alle diese missliebigen Effekte zu reduzieren, entwickeln die Physiker innovative Techniken, ohne die heute keine Gravitationswellenfalle mehr auskommt. Ihre Pionierarbeit setzen sie ab dem Jahr 1983 an einem zweiten Prototyp mit 30 Meter Armlänge fort. Das ist recht kurz. Denn in der tausendstel Sekunde, in der eine Gravitationswelle die Messstrecke durchquert, legt das Licht 300 Kilometer zurück. Der Laserstrahl müsste also genau so weit unterwegs sein, um die Welle vollständig zu beobachten. Die Forscher bedienen sich eines Tricks, den sie delay line nennen und der darin besteht, dass der Strahlengang „gefaltet“ und, wie oben erwähnt, der Strahl mehrfach zwischen den Spiegel hin und her geworfen wird.

Trotzdem: je länger die Messstrecke, desto besser. „Im Jahr 1985 stellten wir daher den Antrag zum Bau eines Detektors mit drei Kilometer Armlänge“, sagt Walter Winkler. „Aber das Projekt stieß in Deutschland auf keinerlei Interesse und wurde folglich nicht genehmigt.“ Genauso ergeht es einer britischen Gruppe. Seit 1977 befasste sie sich an der Universität Glasgow mit ähnlichen Untersuchungen und konstruierte 1980 einen Detektor mit zehn Metern Armlänge. 1986 fand der Antrag der Schotten auf ein großes Interferometer kein Gehör.

Ähnliche Schicksale schweißen zusammen, und so beschließen beide Teams drei Jahre später zu kooperieren. Schon kurz darauf legen sie gemeinsam die Planungen für einen Detektor vor, der im Harz entstehen soll – wiederum erfolglos. Im Jahr 1994 endlich der Durchbruch: Nahe Hannover wird der Bau eines deutsch-britischen Detektors mit einer Armlänge von jeweils 600 Metern endlich Realität. „Herbert Welling von der Universität Hannover schaffte es, seine Kollegen zu überzeugen, die Anlage nach Niedersachsen zu holen“, sagt Winkler.

Karsten Danzmann, erst Gruppenleiter in Garching und heute Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, wird berufen und erhält Mittel vom Land Niedersachsen, der Universität sowie der VW-Stiftung. Mit wenig Geld und großem Einsatz – auch von den Kollegen aus Großbritannien – bringen die Forscher das Projekt auf den Weg.

Am 4. September 1995 erfolgt der erste Spatenstich. Seit 2002 wird der Detektor vom Zentrum für Gravitationsphysik, dem auch das Max-Planck-Institut angehört, gemeinsam mit der Leibniz Universität Hannover und den Universitäten in Glasgow und Cardiff betrieben. Die Anlage dient vor allem als Testlabor für Techniken, die in anderen Detektoren weltweit Eingang finden. Nicht zuletzt gehörte David Shoemaker, der Projektleiter von Advanced LIGO, zeitweise der Max-Planck-Gruppe an. Nun hat diese US-amerikanische Anlage mit deutscher Technologie erstmals Gravitationswellen gemessen und damit die jahrzehntelange, hartnäckige Suche nach dem zarten Zittern aus dem All gekrönt.

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