Auf der Suche nach Orientierung

Warum wir im Kreis gehen, wenn wir uns verirren

20. August 2009

Wer in unbekanntem Terrain ohne äußere Orientierungshilfen unterwegs ist, läuft häufig im Kreis und landet wieder an seinem Ausgangspunkt. Dass nicht nur Hollywood-Schauspieler in Spielfilmen diese Erfahrung machen, haben nun Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik erstmals im Experiment nachgewiesen. Für ihren Befund haben sie eine überraschende Erklärung gefunden. (Current Biology, 20. August 2009)

Mithilfe von GPS-Empfängern untersuchten die Tübinger Wissenschaftler Jan Souman und Marc Ernst die Wege von Probanden in einer natürlichen Umgebung. Die Sahara in Tunesien und ein Waldgebiet im Rheintal dienten dabei als Versuchsgelände. In beiden Umgebungen gelang es den Probanden nur dann, einen geraden Weg einzuschlagen, wenn sie sich am Sonnenstand orientieren konnten. War die Sonne von Wolken verdeckt, begannen sie, im Kreis zu laufen. "Es ist tatsächlich wie im Film: Einige unserer Versuchsteilnehmer haben mehrmals ihren Pfad gekreuzt, ohne es zu merken. Sobald Bewölkung am Himmel aufzog und die Sonne verdeckte, beschrieben sie mitunter scharfe Kurven und wichen vom geraden Weg ab", sagt Jan Souman vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen.

Dass orientierungslose Menschen im Kreis laufen, wenn sie die Orientierung verlieren, wurde bislang beispielsweise auf Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte oder auf unterschiedlich lange und kräftige Beine zurückgeführt. So würde ein Mensch mit einem schwächeren linken Bein eher nach links, mit einem schwächeren rechten Bein nach rechts neigen. Die Max-Planck-Forscher konnten diese Erklärung in einem weiteren Experiment jedoch widerlegen: Aufgefordert, auf einem freien Feld mit verdeckten Augen geradeaus zu laufen, wichen die Laufwege der meisten Probanden mehr oder weniger zufällig von der angepeilten geraden Linie ab. Immer wieder durchliefen die Probanden enge Kreise - manchmal sogar mit weniger als 20 Meter Durchmesser. "Fast jeder der Probanden lief aber manchmal links, manchmal rechts herum. Sie wichen also nicht immer in derselben Richtung vom geraden Weg ab. Fehlerhafte Informationen aus den Sinnesorganen summieren sich auf. Dadurch können die beobachteten Kreisbahnen entstehen", erklärt Jan Souman. Unterschiedliche Beinlängen oder -stärken hatten in den Experimenten dagegen keinen Einfluss auf die Laufrichtung. Offenbar weiß das Gehirn von diesen Unterschieden und berücksichtigt sie bei der Berechnung des Weges.

Gefangen im Raum

Die sich anhäufenden kleinen Fehler in den Sinneseindrücken führen dazu, dass es Menschen mit verbundenen Augen kaum schaffen, mehr als 20 Meter geradeaus zu gehen. Die Wissenschaftler haben in ihren Experimenten festgestellt, dass sich ein Mensch mit verbundenen Augen und ohne äußere Orientierungshilfen im Durchschnitt nicht weiter als 100 Meter von seinem Startpunkt entfernt. Die Richtungsinformationen aus den Sinnesorganen sind also ungenau. Souman:"Wir können den Sinneseindrücken aus Augen, Ohren und Gleichgewichtsorganen nicht bedingungslos vertrauen. Vielmehr nutzen wir zusätzliche äußere Orientierungshilfen, wie z.B. Berge, Sonne oder Gebäude, mit denen unsere Wahrnehmung abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert wird."

In weiteren Experimenten wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche Rolle die verschiedenen Sinneseindrücke und Orientierungshilfen spielen. Künftig werden sie die Probanden dazu allerdings nicht mehr durch Wüsten und Wälder begleiten müssen, sondern können sie ganz bequem im Labor beobachten. Moderne Computertechnik kann mithilfe einer Datenbrille virtuelle Landschaften vor dem Auge eines Probanden entstehen lassen. Ein neu entwickeltes Laufband ("Cyber-Teppich", www.youtube.com/watch?v=bmWD1bIKc44), das sich in alle Richtungen bewegen kann, macht es möglich, dass die Probanden virtuelle Umwelten durchwandern, ohne sich vom Platz zu bewegen. Dadurch lässt sich noch gezielter untersuchen, welche Faktoren die Orientierung beeinflussen.

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