Quark-Brei im Teilchen-Zoo

Der Teilchenbeschleuniger HERA stellte am 30. Juni 2007 seinen Betrieb ein

5. Juli 2007

Kleiner geht fast immer - zumindest in der Teilchenphysik. Der Atomkern setzt sich aus Protonen und Neutronen zusammen. Die bestehen wiederum aus einem Brei von Quarks und Gluonen. Das zeigten die Messungen im Elektron-Proton-Speicherring HERA und widerlegten damit das alte Modell mit nur drei Quarks im Proton. HERA ist Teil des Deutschen Elektronen-Synchrotons (DESY). Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Physik in München und Kernphysik in Heidelberg zeichneten hier 15 Jahre lang die Kollision von Protonen und Elektronen auf, um die kleinsten Bestandteile des Protons sichtbar zu machen und so das Standardmodell der Elementarteilchen genau zu überprüfen. Der Teilchenbeschleuniger hat nun am 30. Juni seinen Betrieb eingestellt.

An frontalen Zusammenstößen haben Teilchenphysiker ihre Freude. Indem sie Teilchen aufeinander prallen lassen, fahnden sie nach den kleinsten Bausteinen des Universums. Wenn Teilchen miteinander kollidieren, sprengt die Energie des Zusammenpralls sie in ihre Einzelteile oder verwandelt sie sogar in neue Teilchen. Am DESY in Hamburg schickten Forscher der Max-Planck-Institute für Physik in München und Kernphysik in Heidelberg seit 1992 Protonen und Elektronen auf Kollisionskurs. Sie ließen die Teilchen dabei mit vorher nicht erreichter Energie aufeinanderprallen.

Am Samstag, den 30. Juni 2007, stellte nun HERA (Hadron-Elektron-Ring-Anlage) seinen Betrieb ein. Kurz vor Mitternacht wurden die letzten Daten aufgezeichnet und der Beschleuniger für immer abgeschaltet. Der Vorbeschleuniger für HERA wird nun zu einer Synchrotronstrahlungsquelle umgebaut.

Mit einem Festakt feierten weltweit führende Wissenschaftler der Elementarteilchenphysik die einmalige Forschung mit HERA, die die Struktur des Protons wie noch nie zuvor auflöste. Die Wissenschaftler der Max-Planck-Institute haben mit ihren Messungen das Wissen über das Proton revolutioniert. "Die Welt der Elementarteilchen ist deutlich komplizierter als wir je dachten", sagt Christian Kiesling vom Max-Planck-Institut für Physik: "Wir haben in unseren Experimenten den detaillierten Aufbau des Protons sichtbar gemacht und haben somit unser Wissen über die kleinsten Bestandteile der Atomkerne, die Quarks und Gluonen, erheblich vertieft."

Die Geschwindigkeit, mit der die Wissenschaftler in HERA Elektronen und Protonen aufeinander jagten, verdeutlicht ein fiktives Wettrennen mit einem Lichtstrahl: "Auf 1000 Kilometer Rennstrecke - von Schleswig-Holstein bis in die Alpen - kommt das Elektron nur mit einem zehntel Millimeter Abstand nach dem Lichteilchen durchs Ziel, das Proton nur mit einem Meter", erklärt Kiesling: "Auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigte der Speicherring HERA die Teilchen auf einer 6,4 Kilometer langen Kreisbahn und nutze die Energie beim Aufeinandertreffen, um die innere Struktur des Protons auszuleuchten." Dabei gilt: Je höher die Energie, mit der die Elektronen und Protonen im HERA-Ring aufeinander prallen, desto besser wird das räumliche Auflösungsvermögen.

So haben die Detektoren von HERA - H1, Zeus - erstmals die Struktur des Protons bis auf ein Tausendstel seines Durchmessers aufgelöst. "Das brachte völlig überraschende Ergebnisse", so Kiesling. "Unsere Experimente haben gezeigt, dass Protonen aus einem Brei von Quarks und Antiquarks bestehen, und nicht nur wie bisher vermutet aus nur drei Quarks." Als die Forscher versucht haben diese Quarks aus dem Proton herauszuschießen, veränderte sich das Proton in neue Formen, so zum Beispiel in das das Proton-artige Baryon oder zusätzlichen Mesonen. Bei diesen Teilchen sind die Quarks unterschiedlich angeordnet. "Durch die verschiedenen Quark-Konstellationen entstand also ein wahrer Teilchen-Zoo", sagt Kiesling. Die Quarks sortierten sich zwar neu an, konnten aber nie aus dem Proton herausgeschleudert werden, denn etwas hielt sie zusammen.

So konnten die Forscher im Inneren des Protons erstmals die komplizierten Gluonen direkt nachweisen, die die Quarks zusammenhalten. Die Gluonen haben ihren Namen vom Englischen Wort "glue" für Kleber. Diese kleinen Klebeteilchen vermitteln zwischen den Quarks die Starke Kernkraft, die 100 mal stärker ist als die elektrischen Kräfte zwischen Protonen und Elektronen. "Sie funktioniert wie ein Gummiband, das gespannt wird", sagt Kiesling: "Paradoxerweise wird die Kraft zwischen den Quarks mit zunehmendem Abstand immer stärker. Das macht keine andere Kraft, die wir kennen. Wir warten noch auf die schlauen Theoretiker, die das in allen Details beschreiben können". Das versuchten die Forscher Gross, Politzer und Wilczek. Für ihre Theorie der Quantenchromodynamik, die die starken Wechselwirkungen zwischen den Quarks bei kleinen Abständen sehr gut beschreibt, erhielten sie 2004 den Nobelpreis für Physik. Die HERA-Experimente haben somit experimentell geholfen, die Quantenchromodynamik als die Standardtheorie der Starken Wechselwirkungen zwischen den Quarks und Gluonen zu etablieren.

Mit der Theorie ist die Arbeit aber noch nicht abgeschlossen. "Wir müssen nun die bisher gewonnene Datenmenge auswerten und vollständig analysieren", so Kiesling: "Eine Aufgabe, die noch einige Jahre dauern wird". Die Ergebnisse von HERA sind wichtig, um die Daten des neuen Teilchenbeschleunigers "Large Hadron Collider" (LHC) am CERN in Genf zu verstehen. Denn ohne die Struktur des Protons genau zu kennen, werden die Forscher in Genf viele der LHC-Messungen nicht deuten können.

Daher arbeiten die Physiker der HERA- und LHC-Experimente am Max-Planck-Institut schon seit einiger Zeit intensiv zusammen. Die Max-Planck-Forscher planen aber schon weiter. In einer weltweiten Kooperation soll der International Linear Collider (ILC) entstehen. "Wir wollen mit dem ILC eine Weltmaschine bauen, die Elektronen und Positronen bei vielfach höherer Energie als bisher auf Crashkurs schickt. Mit dem ILC soll unter anderem das letzte Puzzleteil des Standardmodells - das Higgs-Boson, das hoffentlich am LHC gefunden wird - auf seine physikalischen Eigenschaften hin untersucht werden. Dies wird mit dem LHC allein nicht möglich sein", sagt Kiesling. Das Higgs-Boson ist ein hypothetisches Bindeteilchen des Standardmodells, das aber als einziges bisher noch nicht nachgewiesen werden konnte.

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