Zwei Depressionsformen, ein Gen

Münchner Max-Planck-Forscher und kanadische Kollegen finden genetische Basis für unterschiedliche Depressionsformen

25. Juli 2006

Seit langem ist bekannt, dass sich Depressionserkrankungen auch vererben lassen. Nun belegt eine große humangenetische Studie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, dass eine bestimmte Form von Depression oft mit dem Auftreten eines gewissen Gens einhergeht. Eine kanadische Studie fand dieselbe genetische Veränderung bei einer anderen Form von Depression. Bislang galt eine gemeinsame genetische Grundlage für die beiden Depressionserkrankungen als ausgeschlossen; die Ergebnisse eröffnen daher neue Wege für Therapien (Human Molecular Genetics, Advance Online Publication, 5. Juli 2006).

Wer an Depressionen leidet, der erlebt immer wieder Episoden mit Symptomen von Traurigkeit und Schwermut. Während sich bei Patienten mit "unipolaren Depressionen" solche Tiefs mit normalen Zeiten abwechseln, erleben Patienten mit "bipolarer Depression" zusätzlich Phasen von Manie oder Hypomanie mit stark erhöhter freudiger Erregung bis zu Größenideen und Verschwendungssucht. Dass beide Formen erblich sind, ist seit langem bekannt. Bei bipolarer Depression geht man von einer Vererbung in 83 bis 93 Prozent der Fälle aus; bei unipolarer Depression schwanken die entsprechenden Zahlen zwischen 34 und 75 Prozent.

Die Münchner Max-Planck-Forscher untersuchten nun Gene von 1.000 Patienten mit unipolarer Depression und einer etwa ebenso großen Kontrollgruppe; ihre Kollegen am CHUL Research Center and Université Laval in Quebec erforschten Gene von 213 Patienten mit bipolarer Depression. Dabei zeigte sich, dass etwa 30 Prozent der Patienten mit Depression diese Variation im P2RX7 Gen zeigten. Zudem erhöht sich das Risiko, an einer unipolaren Depression zu erkranken, um 40 Prozent, wenn der heterozygote Genotyp im P2RX7 Gen vorliegt.

Das Gen P2RX7 bestimmt das Aussehen eines Kalzium-Ionenkanals für ATP in der Membran von Nervenzellen verschiedener Hirnregionen. Die gefundene Genvariation verändert den Rezeptor an der Schnittstelle zu anderen Zellen. Daher beeinflusst sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Interaktionen der Zellen und damit die Signalübertragung im Gehirn. Bislang wurde der Rezeptor mit Entzündungsreaktionen des Gehirns in Verbindung gebracht, er ist jedoch auch an Stressreaktionen beteiligt.

Eine gemeinsame genetische Grundlage für beide Depressionsformen wurde bisher ausgeschlossen. Die beiden unabhängigen Studien eröffnen daher völlig neue Wege in der Forschung: "Die identifizierte Assoziation der P2RX7 Nukleotidvariation mit der unipolaren Depression und der bipolaren Depression deutet daraufhin, dass verschiedene psychiatrische Erkrankungen gemeinsame genetische Ursachen teilen", sagt Bertram Müller-Myhsok vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Weil P2RX7 als Membrankomponente von Molekülen direkt erreichbar ist, bietet sie den idealen Angriffspunkt für zukünftige Antidepressiva, hoffen die Wissenschaftler. Prof. Florian Holsboer, Leiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie: "Die Möglichkeit genetisch bedingte Funktionsänderungen in Nervenzellen gezielt durch Medikamente korrigieren zu können, ist ein Neubeginn in der Depressionstherapie. Wir haben dank der humangenetischen Befunde einen völlig neuartigen Wirkmechanismus für die nächste Generation der Antidepressiva entdeckt. Diese werden vor allem schneller klinisch wirksam sein als die jetzt verfügbaren Medikamente."

Kommerzieller Partner des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie auf dem Entwicklungsweg zu neuen, direkter wirkenden Antidepressiva ist Affectis Pharmaceuticals AG, eine Ausgründung des Instituts seit 2003.

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