Neuronale Signalcluster steuern unsere Bewegungen

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken neue Signalfunktion bei Schlüsselenzymen für den Aufbau neuronaler Netze

18. August 2005

Dass wir nicht wie Kängurus hüpfen, sondern beim Laufen abwechselnd das rechte und das linke Bein nach vorne setzen, haben wir der richtigen Entwicklung jenes Teils unseres Nervensystems zu verdanken, welches die Abfolge von Bewegungsabläufen steuert. Dabei spielen Signalfaktoren eine wichtige Rolle: Sie sorgen dafür, dass sich die "richtigen" Nervenzellen während der Entwicklung zu Netzwerken zusammen finden. Eine bedeutende Gruppe von Signalfaktoren sind Ephrine und ihre Rezeptoren. In ihrer neuesten, gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Schweden, Belgien und den USA durchgeführten Studie (Neuron, 18. August 2005) konnten Forscher vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried zeigen, dass die Steuerung der Ephrin-Aktivität in einem zweistufigen Prozess erfolgt, und dass es dabei zur Cluster-Bildung, also zu einer größeren Ansammlungen von Rezeptoren kommt. Erst dadurch wird die volle Signalleistung erreicht. Und das heißt, dass die Steuerung der Ephrin-Rezeptor-Aktivität deutlich anders funktioniert als die Steuerung von Rezeptoren für Wachstumsfaktoren.

Ein kleines rhythmisch pulsierendes Nervenzell-Netzwerk im Rückenmark hilft, unsere Bewegungsabläufe zu steuern. Solche neuronalen Netze entstehen durch Verknüpfung von Nervenzellen während der Entwicklung eines Organismus. Dabei spielen zelluläre und molekulare Mechanismen eine entscheidende Rolle: Die langen Ausläufer von Nervenzellen werden Axone genannt. Sie besitzen am Ende einen Wachstumskegel, über den die Nervenzelle Kontakt mit einer anderen Nervenzelle aufnimmt. Ob es dabei dann zu einer dauerhaften Verknüpfung oder zu einer Abstoßung und damit Richtungsänderung im Wachstum des Axons kommt, wird durch Signalfaktoren und ihre Liganden bestimmt.

Eine große Gruppe von Liganden stellen die Ephrine dar - Proteine, die in der Zellmembran von Nervenzellen verankert sind. Sie sind essenziell für die Entwicklung des Nervensystems. Ephrine binden an spezifische Rezeptoren, Empfangsantennen, die an der Zelloberfläche u.a. des axonalen Wachstumskegels sitzen, und können dadurch ganz bestimmte Signalketten in der Zelle starten: Die Ephrin-Rezeptoren besitzen ein Enzym, Tyrosin-Kinase, das durch Ephrine aktiviert wird und Kommandos ins Zellinnere sendet. Das führt dazu, dass der umher wandernde axonale Wachstumskegel abgestoßen wird und sich neu orientieren muss. Nur dadurch findet er schließlich seinen "richtigen" Weg.

Bereits vor längerer Zeit haben Rüdiger Klein und seine Kollegen am Max-Planck-Institut für Neurobiologie festgestellt, dass das "Eph-Rezeptor/Ephrin-Signalsystem" wesentlich am Aufbau der neuronalen Netze beteiligt ist, die unsere Bewegungsabläufe steuern. Wird nämlich der Ephrin-Rezeptor bei Axonen ausgeschaltet, so kann dessen Wachstumskegel nicht mehr von Ephrin präsentierenden Zellen abgestoßen werden.

Einen Rezeptor kennen die Martinsrieder Wissenschaftler dabei ganz genau: EphA4 ist unter anderem für die Direktion von Axonen über die Mittellinie im Rückenmark verantwortlich. Normalerweise hat ein Teil der Axone aus der linken Hälfte des Rückenmarks Verbindung mit den Neuronen der rechten Köperhälfte, die die Muskeln steuern. Die abstoßende Signalwirkung des EphA4-Rezeptors verhindert, dass zu viele Axone mit ihren Wachstumskegeln über die Mittellinie wachsen oder mehrfach die Mittellinie überkreuzen; denn das würde zu "neuronalen Kurzschlüssen" führen. Wird der EphA4-Rezeptor durch Mutation im Mausmodell ausgeschaltet, so kann die Maus nicht mehr abwechselnd rechts-links die Schritte setzen (Abb. 2), sondern bewegt sich hüpfend wie ein Kaninchen fort.

EphA4-Rezeptoren konnten bereits in Zellkulturen durch Zugabe von künstlich hergestellten Ephrinen erfolgreich studiert werden - mit einem interessantem Ergebnis: Diese Signalfaktoren unterscheiden sich deutlich von den bisher bekannten Rezeptor-Tyrosin-Kinasen, die von löslichen Wachstumsfaktoren aktiviert werden. Ephrine werden nämlich durch zwei Prozesse aktiviert: durch Aktivierung der Kinase und durch Cluster-Bildung - anders als herkömmliche Rezeptor-Tyrosin-Kinasen bilden Ephrin-Rezeptoren in Abhängigkeit von der Zunahme an gebundenen Ephrinen Komplexe aus vielen Rezeptoren (Abb. 1).

Joaquim Egea ist es in dem Projekt unter Leitung von Rüdiger Klein gelungen, das Gen für den EphA4-Rezeptor in Mäusen zu verändern und die Ergebnisse zu untersuchen. Zusätzliche Unterstützung bekamen die beiden von Neurowissenschaftlern des Karolinska Instituts in Stockholm, der Universität von Uppsala, der Harvard Universität und aus dem eigenen Institut. Der veränderte Rezeptor - von den Wissenschaftlern EphA4EE genannt - besitzt eine permanente Kinase-Aktivität. Das sollte zur Folge haben, dass ein Wachstumskegel, der mit diesem Rezeptor ausgestattet ist, auch ohne die Bindung von Ephrinen permanent abstoßende Kommandos empfangen müsste. Seine Wegfindung und Bildung von Netzwerken sollte damit stark gestört sein.

"Die mutierten Mäuse konnten keine thalamocorticalen Projektionen entwickeln und zeigten Defekte in bestimmten Aspekten des zentralen Mustergenerators. Zu unserer Überraschung wurden andere Funktionen des EphA4 Rezeptors jedoch normal gesteuert - und zwar vor allem die Entwicklung des neuronalen Netzwerks im Rückenmark und das damit gekoppelte Laufverhalten", erzählt Joaquim Egea. Trotz permanenter Kinase-Aktivität konnte der mutierte Rezeptor durch Ephrine zu Clustern angehäuft und zur Signalgebung aktiviert werden. "Offensichtlich ist die Kinase-Aktivierung für die Signalwirkung von Ephrinen nicht allein verantwortlich", erklärt Rüdiger Klein. "Wir nehmen an, dass die Cluster-Bildung aktivierter Ephrin-Rezeptoren weitere Signalmoleküle rekrutiert, die dann erst als Ensemble die volle Signalleistung erbringen."

Ephrine und Ephrin-Rezeptoren sind nicht nur bei der Entstehung von Nervensystemen, sondern auch bei der Bildung von Blut- und Lymphgefäßen wichtig. Bei Krebserkrankungen ist häufig die Regulation der Tyrosin-Kinasen gestört, wodurch Zellvorgänge permanent aktiviert werden und sich die Krebszellen ungebremst teilen. Krebsforscher sind deshalb sehr daran interessiert, die Details dieser Regulation zu kennen, um Therapeutika entwickeln zu können. Neben der Kinase-Aktivität könnte somit auch der regulierende Eingriff in die Cluster-Bildung eine Möglichkeit darstellen, um z.B. das Wachstum von Tumorgeweben zu stoppen. "Wir werden uns jetzt in unserer Forschung verstärkt auch der Frage widmen, wie genau die Clusterbildung der Ephrin-Rezeptoren reguliert wird. Der Vergleich mit der Steuerung von Rezeptoren für Wachstumsfaktoren wird sehr aufschlussreich sein und unser Verständnis der verschiedenen Funktionen voranbringen. Fehlentwicklungen, die zu Krebsentstehung oder neurodegenerativen Erkrankungen führen, werden dadurch auch besser erkannt werden", sagt Rüdiger Klein, der für seine Forschung erst kürzlich mit einem hoch dotierten medizinischen Forschungspreis, dem Familie-Hansen-Preis, ausgezeichnet wurde.

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