Kleben ohne Klebstoff

Vier Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Metallforschung erhalten Wissenschaftspreis des Stifterverbandes

22. Juni 2005

Für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der klebstofffreien Verbindung von Werkstoffen wurden Prof. Eduard Arzt, Prof. Huajian Gao und Dr. Stanislav Gorb, Max-Planck-Institut für Metallforschung, sowie Prof. Ralf Spolenak, Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich, der Wissenschaftspreis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft verliehen. Der Vizepräsident des Stifterverbandes, Dr. Wulf H. Bernotat, überreicht den Preis am 23. Juni im Rahmen der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock. Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung honoriert die außergewöhnlichen Erfolge der Stuttgarter Wissenschaftler bei der Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in technische Anwendungen. Sie haben herausgefunden, warum Fliegen, Spinnen und sogar Geckos selbst auf Glas sicheren Halt finden und daraus technisch einsetzbare Haftsysteme entwickelt.

Verbindungstechniken wie Schweißen oder Kleben sind kostenintensive Prozesse, und einmal auf diese Weise verbundene Bauteile lassen sich bei Reparaturen oder einem späteren Recycling nicht mehr ohne Materialverlust voneinander lösen. Herkömmliche Klettverschlüsse benötigen einen Haftpartner und verfilzen mit der Zeit. Die Haftsysteme der Stuttgarter dagegen erlauben reversible, feste Verbindungen von Werkstoffen ohne Schweißen oder Kleben.

Die Max-Planck-Wissenschaftler untersuchen Haftungsphänomene biologischer Systeme, bilden sie in mathematischen Modellen ab und entwickeln daraus technisch einsetzbare Systeme. Ausgangspunkt sind die Forschungsarbeiten des Biologen Dr. Stanislav Gorb über die Fähigkeit von Fliegen und Eidechsen, kopfüber selbst auf glatten Flächen laufen zu können. Die Laufflächen dieser Tiere sind mit feinsten Härchen überzogen, die extrem hohe Adhäsionskräfte besitzen. Aus der Analyse der Zusammenhänge zwischen Struktur und Haftverhalten auf glatten und rauen Flächen entwickelten die Materialwissenschaftler um Eduard Arzt allgemeine Gesetze für das Verhalten solcher Verbindungssysteme. Bevor er als Professor an die ETH Zürich berufen wurde, war auch Spolenak Materialwissenschaftler in der interdisziplinären Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart.

"Der Vergleich verschiedener Tiere von Fliegen bis hin zu Geckos zeigt, dass die Härchen an den Laufflächen um so feiner und zahlreicher sind, je schwerer das Tier ist," sagt Arzt. Kleineren Fliegen und Käfer reichen einfache, sphärische Härchen mit Durchmessern von ein paar Mikrometern, während die sehr viel schwereren Geckos fein verzweigte Härchen mit Enddurchmessern von 200 Nanometern (millionstel Millimeter) ausbilden. "Auch die Form der Härchen spielt eine wichtige Rolle. In der Natur haben sich vor allem kugelförmige, kegelförmige und haarartige Endstrukturen bewährt. Für technische Systeme sind hierbei der Fantasie kaum Grenzen gesetzt."

In Versuchen mit den unterschiedlichsten biologischen Vorbildern überprüften die Forscher ihre theoretischen Ergebnisse und entwickeln nun Verfahren, mit denen sich technische Oberflächen mit den entsprechenden Eigenschaften erzeugen lassen. Die Wissenschaftler modifizieren die Kontaktflächen so, dass ein Wald kleiner Säulen entsteht. Abhängig von strukturellen Eigenschaften dieser modifizierten Oberflächen -wie Dicke der Säulen, Abstände, Elastizität und Form - lassen sich die Hafteigenschaften exakt einstellen. Ähnlich wie beim natürlichen Vorbild können sogar keulenförmige Säulen hergestellt werden, die wie Streichhölzer einen leicht verdickten Kopf besitzen.

Das patentierte Verfahren ist für die Industrie hoch interessant, da der Verbindung von Werkstoffen in der modernen Technologie eine immer stärkere Bedeutung zukommt. Wie beim Vorbild Libelle, die ihren Kopf mit einem speziellen "Klettverschluss" stabilisiert, lassen sich mit den neuen Haftsystemen Verbindungen tausendfach fixieren und wieder lösen. Im Gegensatz zu konventionellen Klebebändern verschmutzen die neuen Haftstrukturen nicht so leicht. Und im Vergleich zu herkömmlichen Klettverschlüssen benötigen sie kein speziell strukturiertes Gegenüber mehr. Schließlich können die Stuttgarter Max-Planck-Forscher die Haftkräfte in einem breiten Bereich genau auf die technischen Anforderungen einstellen - was ihrer Technik vielfältige Einsatzmöglichkeiten im Alltag erschließt.

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