Kleine Moleküle bringen Pflanzen in Form

Deutsch-amerikanischem Forscherteam gelingt Nachweis, dass Entwicklung und Wachstum von Pflanzen durch winzige RNA-Moleküle kontrolliert wird

21. August 2003

Kleine RNA-Moleküle haben großen Einfluss auf die äußere Gestalt von Pflanzen, berichten jetzt Wissenschaftler um Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, sowie Jim Carrington, Direktor des Zentrums für Genforschung und Biotechnologie an der Oregon State University/USA in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" (Nature, Advance Online Publication, 20. August 2003). Bei ihren Untersuchungen an der Modellpflanze Arabidopsis thaliana konnten die Forschern erstmals nachweisen, dass winzige RNA-Moleküle, so genannte Micro-RNAs, die Entwicklung einer Pflanze durch den kontrollierten Abbau von wesentlich längeren Boten-RNAs ("Messenger RNA") regulieren. Die Micro-RNAs binden dabei an ganz bestimmte Boten-RNAs, deaktivieren dadurch die zugehörigen Gene und kontrollieren - in diesem Fall - die Struktur und Morphologie der Blätter. Diese neuen Erkenntnisse werden unser Verständnis revolutionieren, wie Pflanzen ihre Gestalt und ihr Wachstum kontrollieren. Für Pflanzen ist es lebensnotwendig, Strukturen in ganz bestimmten Formen ausbilden zu können, um Sonnenenergie einzufangen und diese letztlich auch in Produkte wie Früchte oder Fasern umzuwandeln. Von daher sind die neuen Befunde auch von großer Bedeutung für die Land- und Forstwirtschaft.

Seit der Entdeckung der DNA-Doppelhelix vor 50 Jahren haben sich Biologen hauptsächlich um die DNA und ihren Einfluss auf die Regulation der Gene gekümmert. Erst im letzten Jahr wurde klar, welch bedeutende Rolle auch Micro-RNAs dabei spielen, die Aktivitäten von Genen unter Kontrolle zu halten (vgl. PRI 10 / 2003 - "Kleine Moleküle kommen groß raus - Wissenschaftliches Glanzlicht des Jahres 2003"). Weniger als ein Jahr ist es her, als mehrere Gruppen, darunter die von Jim Carrington, entdeckten, dass Pflanzen eine Vielzahl winziger RNAs, so genannte Micro-RNAs, enthalten. Diese Micro-RNAs selbst sind wiederum Produkte größerer RNAs. "Da Pflanzen, die nicht genügend Micro-RNAs produzieren, nur schlecht wachsen, wussten wir, dass wir auf etwas ziemlich Wichtiges gestoßen waren. Doch die exakten Ursachen für die vielen Defekte, die wir sahen, konnten wir noch nicht ermitteln," sagt Carrington.

Micro-RNA's funktionieren wie ein digitales Radar, dass die Boten-RNA von ganz bestimmten Zielgenen auffindet. Die Boten-RNA, die eigentlich das kritische Molekül bei der genetischen Informationsübertragung ist, wird dann durch molekulare Prozesse, die von der Micro-RNA ausgelöst werden, entweder abgebaut oder aber deaktiviert. "Das Abschalten spezifischer Gene ist in Pflanzen sehr wichtig, zum Beispiel um abartige Pflanzenentwicklungen zu verhindern, genauso wie es Krebswachstum in Tieren verhindert," meint Weigel dazu.

Gemeinsam haben Weigel und Carrington deshalb das genaue Zusammenspiel einer ganz bestimmten Micro-RNA, die sie "Jaw" genannt haben, und seiner Zielgene analysiert. "Wir hatten schon seit ein paar Jahren eine Arabidopsis-Mutante, die eine größere RNA mit uns unbekannter Funktion im Übermaß produzierte. Überraschenderweise schien diese RNA nicht für ein Protein zu kodieren, wie es die meisten RNAs tun. Als wir dann letztes Jahr Carrington's Artikel über Micro-RNAs lasen, wurde uns plötzlich klar, dass diese RNA nicht in ein Protein übersetzt, sondern in Micro-RNAs geschnitten wird," so Weigel.

Mit Hilfe von DNA-Chips kann man heute alle Boten-RNAs in einer Pflanze messen. Unter Einsatz solcher DNA-Chips entdeckten Weigel und Carrington, dass die Jaw-Micro-RNA spezifisch den Abbau einer Gruppe von mehreren TCP-Boten-RNAs koordiniert. Die TCP-Gene wiederum werden benötigt, um eine übermäßige Zellteilung in den Blättern zu verhindern. Ohne diese Gene gibt es zu viele Zellteilungen und die Blätter verziehen sich, anstatt flach zu bleiben. Genau so sahen die Pflanzen aus, die zu viel Jaw-Micro-RNA enthielten. Als nächsten Schritt veränderten die Wissenschaftler dann die TCP-Gene derart, dass ihre Boten-RNAs nicht mehr von "Jaw" erkannt werden konnten. Pflanzen, die diese veränderten TCP-Gene enthielten, kamen über das Keimlingsstadium nicht mehr hinaus. Damit war bewiesen, dass das Auffinden von TCP-Boten-RNAs durch Jaw-Micro-RNAs unerlässlich für die normale Pflanzenentwicklung ist.

Die Forscher haben sowohl die Jaw-Micro-RNA als auch ihre TCP-Zielgene in allen bis jetzt getesteten Blütenpflanzen gefunden, einschließlich in Getreidepflanzen. "Daraus schließen wir, dass diese Kontrolle der Blattform nicht nur in Arabidopsis genutzt wird, unserem Lieblingsobjekt im Labor, sondern auch in Pflanzen mit landwirtschaftlicher Bedeutung, wie Mais oder Sojabohne," sagte Weigel.

Je mehr Micro-RNAs entdeckt werden und je besser man ihre konkrete Rolle beim Pflanzenwachstum versteht, desto mehr Möglichkeiten könnten sich ergeben, um mit diesem Wissen auch effizientere und produktivere Pflanzen zu züchten. "Wir werden wahrscheinlich bald herausfinden, dass Micro-RNAs viele Prozesse der Pflanzenentwicklung kontrollieren, wie das Blühen, das Wurzelwachstum oder die Samenbildung, sagt Carrington. Weigel stimmt dem zu: "Tatsächlich haben wir in neueren Untersuchungen bereits herausgefunden, dass andere Micro-RNAs und deren Zielgene zum Beispiel eine wichtige Rolle dabei spielen, zu welchem Zeitpunkt Pflanzen blühen. Die potentielle Auswirkung dieser Befunde könnte beträchtlich sein, da dies völlig neue Wege bietet, um Pflanzen letztlich an ihre Umwelt besser anzupassen."

An der Studie waren ebenfalls beteiligt: Javier F. Palatnik, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und The Salk Institute, Edwards Allen, Oregon State University, Xuelin Wu, The Salk Institute, sowie Carla Schommer und Rebecca Schwab vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.

Experten, die die neuen Forschungsergebnisse kommentieren können:

Prof. Victor Ambros

Dartmouth College, USA
Tel.: +1 (603) 650 - 1939
E-Mail: victor.ambros@dartmouth.edu

Prof. Kathryn Barton
Carnegie Institution, USA
Tel.: +1 (650) 325 - 1521 x224
E-Mail: barton@andrew2.stanford.edu

Prof. Bonnie Bartel
Rice University, USA
Tel.: +1 (713) 348 - 5602
E-Mail: bartel@bioc.rice.edu

Prof. David Baulcombe
John Innes Centre, UK
Tel.: +44 (0) 1603 - 450420
E-Mail: david.baulcombe@bbsrc.ac.uk

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