Diese Zellen sagen, wo’s lang geht

Neurobiologen charakterisieren Nervenzellen, die aus Lichtveränderungen Bewegungen machen

4. Februar 2016

Die Fähigkeit, Bewegungen und ihre Richtung zu erkennen, ist überlebenswichtig. Nur so können Feinde vermieden, Beute gefangen oder eine Straße sicher überquert werden. Bewegungen werden jedoch nicht direkt erkannt, sondern entstehen erst durch spätere Berechnungen. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried haben nun herausgefunden, dass an der Berechnung richtungsselektiver Signale vier Nervenzelltypen beteiligt sind – doppelt so viele als bisher angenommen. Diese weitere Parallele zum Sehsystem der Wirbeltiere zeigt, wie viel wir auch über unser eigenes Sehen von Fliegen lernen können.

Beim Überqueren einer Straße ist es von Vorteil zu erkennen, in welche Richtung sich die Autos in der Nähe bewegen. Die einzelnen Lichtsinneszellen der Augen nehmen jedoch nur punktuelle Helligkeitsveränderungen wahr: ein Punkt wird heller ("Licht an") oder dunkler ("Licht aus"). Erst im nachgeschalteten Nervenzellnetzwerk entsteht daraus eine Bewegung.

Wie das Gehirn aus Lichtveränderungen eine Bewegung berechnet, entschlüsseln Alexander Borst und sein Team am Max-Planck-Institut für Neurobiologie Zelle für Zelle. Ihr Untersuchungsobjekt ist die Fruchtfliege: ein Meister des Bewegungssehen mit vergleichsweise kleinem Gehirn. Zwar befinden sich in dem für das Bewegungssehen zuständigen Bereich des Fruchtfliegengehirns immer noch mehr als 50.000 Nervenzellen. Die Forscher vermuten jedoch, dass dies "übersichtlich" genug ist, um die Verschaltung auf Zellebene zu verstehen.

Nun ist es den Wissenschaftlern gelungen, die Nervenzellen im Fliegenhirn-Schaltkreis zu identifizieren, die als erste im Netzwerk die Richtung einer Bewegung wahrnehmen. Dabei handelt es sich um die sogenannten T5-Zellen. Hierfür haben sie die Antworteigenschaften von den vier vorgeschalteten Zellen analysiert, den sogenannten Tm-Zellen. Eine ganze Reihe von Versuchen mit Hilfe des Zwei-Photonen-Mikroskops, der Elektrophysiologie und Verhaltensanalysen zeigte, dass die Tm-Zellen nur auf bestimmte Helligkeitsänderungen ("Licht aus") reagieren. Die T5-Zellen werden dagegen nur durch Bewegungen in eine bestimmte Richtung aktiviert. Die Signale von allen vier Tm-Zellen sind notwendig, damit in einer T5-Zelle ein richtungsselektives Signal entsteht. "Das war ein überraschendes Ergebnis, denn die mathematischen Modelle gehen von Signalen aus nur zwei Eingangszellen aus", berichtet Etienne Serbe, einer der beiden Erstautoren der Studie. "Spannend ist, dass auch das Sehsystem der Wirbeltiere ähnlich von diesem Modell abweicht", ergänzt Matthias Meier, der andere Erstautor. Auch die richtungsselektiven Zellen von Wirbeltieren erhalten Information von mehr als zwei Zellen.

Erst vor kurzem zeigten Alexander Borst und ein Kollege die vielen Gemeinsamkeiten in den Sehsystem-Schaltplänen von Fliegen und Mäusen (Übersichtsartikel in Nature Neuroscience). "Auch die neu entdeckte Übereinstimmung zeigt, dass wir durch die Untersuchungen an der Fliege grundlegende Einblicke in die Schaltpläne des Gehirns bekommen", resümiert Alexander Borst. "Ich bin schon gespannt, welche Aufgaben wir für die nächsten Zellen im Schaltkreis entdecken."

 SM/HR

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