Epigenetischer Schalter für Übergewicht

Übergewicht kann manchmal abgeschaltet werden

28. Januar 2016

Dass Übergewicht in den Genen liegt, ist lange bekannt. Eine neue Studie von Freiburger Forschern des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik zeigt nun aber, dass es auch entscheidend ist, wie diese Gene reguliert werden. Die Wissenschaftler um Andrew Pospisilik entdeckten einen epigenetischen Schalter, der bei Menschen mit identischem Erbgut wie eineiigen Zwillingen zu Normal- oder Übergewicht führt. Der Schalter funktioniert dabei wie ein klassischer Lichtschalter und nicht wie ein stufenloser Dimmer. Die Ergebnisse der Studie verändern unser Verständnis wie der epigenetische Einfluss die Aktivität unserer Gene steuert und so zu Übergewicht führen kann.

Über eine halbe Milliarde Menschen auf der Erde sind zu dick. Übergewicht und Fettleibigkeit stellen ein bedeutsames Gesundheitsproblem dar, sind sie doch oftmals Ausgangspunkt für Folgeerkrankungen des Herzkreislauf-Systems, Krebs oder Diabetes. Für unser Gewicht ist maßgeblich die DNA verantwortlich, aber nicht nur. Auch Umweltfaktoren haben einen signifikanten Einfluss auf unser Gewicht.

Die Forschungsgruppe von Andrew Pospisilik am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg ist daran interessiert, wie epigenetische Effekte unsere Anfälligkeit für Krankheiten und deren Entwicklung beeinflussen können. Den Ausgangspunkt der Entdeckung bildeten Mäuse, bei denen nur eine Kopie des Gens Trim28 im Genom vorliegt. Die Mäuse zeigten in früheren Studien von Emma Whitelaw aus Brisbane selbst unter streng kontrollierten identischen Umweltbedingungen große Gewichtsschwankungen. Und das obwohl die Tiere genetisch identisch waren, d.h. sie exakt die gleiche DNA besaßen. „Wir waren fasziniert von den Daten, ließen sie doch auf ein epigenetisches Phänomen schließen“, so Andrew Pospisilik.

Entweder dick oder dünn

Als die Max-Planck-Forscher die Gewichtsverteilung einer großen Anzahl dieser genetisch identischen Tiere genauer betrachteten, wurde deutlich, dass sich die Gewichte mehrheitlich in zwei Gruppen einteilen ließen. Die untersuchten Mäuse waren entweder normalgewichtig oder litten an Übergewicht. Es gab jedoch kaum Zwischenstufen. „Wir waren überrascht, dass bei gleichem Genotyp zwei sehr verschiedene aber recht stabile Ausprägungen zum Vorschein kamen“, sagt Kevin Dalgaard, Erstautor der Studie.

Beim Vergleich der gesamten Genexpression dieser beiden Gewichtsgruppen stießen die Forscher auf ein Netzwerk sogenannter „imprinted genes“, die in den übergewichtigen Mäusen  weniger aktiv waren. „Imprinted genes“ sind Gene, bei denen entweder nur die von der Mutter stammende oder die vom Vater stammende Version aktiv ist. Als die Forscher eine der zwei Kopien der imprinted genes abschalteten und so die Aktivität der Gene des Netzwerks reduzierten, entstanden erneut entweder normal- oder übergewichtige Tiere. Diese Daten, die zusammen mit Teams aus Cambridge unter der Führung von Anne Fergusson-Smith, Steve O’Rahilly, Giles Yeo und Anthony Coll erhoben wurden, legen nahe, dass dieses Netzwerk als eine Art Schalter fungiert, der mit der Ausprägung eines entweder normal- oder übergewichtigen Phänotyps reagiert.

„Ist der Schalter erst einmal betätigt, so ist das Körpergewicht lebenslang vorgegeben“, so Andrew Pospisilik. Die Ausprägung des Übergewichts folgt nicht den Mendelschen Gesetzen der Genetik. „Von dem epigenetischen Schalter wissen wir nun, dass er anders funktioniert als erwartet: nicht wie ein Dimmer, sondern wie ein typischer Lichtschalter ­– entweder an oder aus, normal oder übergewichtig.“

Die Forscher wollten nun auch wissen, ob ein vergleichbarer Schalter beim Menschen existiert. Zusammen mit Antje Koerner und Kathrin Landgraf, Spezialistinnen für Übergewicht im Kindesalter an der Uniklinik Leipzig, untersuchten sie Fettgewebeproben von normal- und übergewichtigen Kindern. Die Resultate zeigen, dass etwa die Hälfte der übergewichtigen Kinder veränderte Expressionswerte von Trim28 und dem „imprinted gene“ Netzwerk zeigten. Als die Wissenschaftler auch öffentlich zugängliche Daten von Zwillingsstudien untersuchten fanden sie dort einen ähnlichen Trend. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der bei Mäusen gefundene Schalter auch in Menschen existiert.

Polyphänismus bei Säugetieren erstmals nachgewiesen

„Der von uns beschriebene Schalter kann nicht nur beim Verständnis des Zusammenspiels von genetischen und epigenetischen Faktoren bei Erkrankungen weiterhelfen. Er könnte auch den Blick auf die Evolution verändern“, sagt Andrew Pospisilik. Das Phänomen, dass bei identischem Genotyp deutlich abgrenzbare phänotypische Ausprägungen eines Organismus auftreten können, ist im Pflanzen- und Tierreich unter dem Begriff Polyphänismus bekannt. Ein typisches Beispiel sind etwa Honigbienen, bei denen ausgehend von der gleichen DNA entweder eine Königin oder Arbeitsbienen entstehen können.

Die Studie der Freiburger Forscher legt nun nahe, dass sich Polyphänismus auch bei Säugetieren und beim Menschen findet. Ein solcher epigenetischer Schalter, der bei gleicher DNA deutlich unterschiedliche Ausprägungen hervorbringt, könnte einen Selektionsvorteil in der Evolution bedeuten. „Möglicherweise stellt der Polyphänismus einen Puffer dar. Wenn etwa die eine Ausprägung auf schlechte Lebensbedingungen keine Antwort mehr bietet, ermöglicht der Polyphänismus vielleicht einen Plan B, der zum Überleben der Spezies beiträgt“, so Pospisilik.

Epigenetische Therapien gegen Übergewicht und andere Krankheiten denkbar

Die Ergebnisse der Studie eröffnen nicht nur ein Feld neuer evolutionstheoretischer Überlegungen. Gleichsam bieten sie auch neue Einsichten für epigenetische Therapien bei verschiedenen Erkrankungen. Für zukünftige Therapien ist es eine zentrale Erkenntnis, dass dieser epigenetische Schalter nicht wie ein Dimmer funktioniert, sondern sehr stabil zwei unterschiedliche Ausprägungen des Organismus hervorbringt. „Als nächstes wollen wir herausfinden, ob wir diesen Schalter entweder durch Ernährungsveränderung, Stressminimierung oder auch Medikamente beeinflussen können. Wir hoffen, dass wir so das System dauerhaft von über- auf normalgewichtig umstellen können“, sagt Pospisilik.

MR/HR

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