Das turbulente Herz der Milchstraße

Mit dem Satelliten XMM-Newton beobachten Astronomen im Detail die Vorgänge um das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis

20. August 2015

Wer hat im Herzen unserer Milchstraße tiefe Narben hinterlassen? Auf der Suche nach dem Täter haben Astronomen am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik Röntgenbilder des Satelliten XMM-Newton durchkämmt. Der Hauptverdächtige ist das supermassereiche schwarze Loch, das im Zentrum der Galaxis lauert. Ebenfalls nicht unschuldig scheinen aber auch massereiche Sterne sowie Supernovae zu sein.

Die Untersuchung der Röntgenstrahlung aus dem galaktischen Zentrum ist von herausragender Bedeutung für die Astronomie. Eines der ersten großen Projekte, das der europäische Satellit XMM-Newton direkt nach seinem Start ausgeführt hatte, war daher ein Scan dieser Region. Ein internationales Team unter der Leitung von Wissenschaftlern des Garchinger Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik hat nun Beobachtungen des Observatoriums mit allen Archivdaten verknüpft. So erhielten die Forscher die bisher beste Karte für die Kontinuums-, aber auch die Linienemission im Röntgenbereich.

Damit war das Team in der Lage, die Auswirkungen von katastrophalen Ereignissen, die große Mengen an Energie freigesetzt haben, im Detail zu untersuchen. Die Astronomen gingen insbesondere der Frage nach, welche Auswirkungen riesige Plasmablasen mit Dutzenden Lichtjahren Durchmesser auf ihre Umwelt haben. Diese Blasen in der Mitte der Milchstraße senden Röntgenstrahlung aus und beinhalten inmitten von Gas, Staub und kühlerem Plasma riesige Hohlräume.

Massemonster auf frischer Tat ertappt

Einer der aufschlussreichsten Hinweise aus den Röntgenbildern sind zwei bipolare Flügel, die Dutzende von Lichtjahren oberhalb und unterhalb der galaktischen Ebene hinausragen und auf das supermassereiche schwarze Loch zentriert sind. Frühere Indizien hatten bereits auf dieses Massemonster hingedeutet. Die neuen Erkenntnisse ertappen es zusammen mit seiner stellaren Bande nun aber auf frischer Tat.

Denn Materie und Energie, welche die erwähnten bipolaren Flügel aus Gas produzieren, kommen offenbar aus drei möglichen Quellen: Abflüsse, die sehr nahe vom Ereignishorizont des schwarzen Lochs abgehen; Winde von massereichen Sternen in der Umlaufbahn um das Loch; oder katastrophale Ereignisse, die mit dem Tod von massereichen Sternen in seiner Nähe zusammenhängen.

Warmes Plasma im Außenbereich der abgebildeten Region

Das Team spürten außerdem die Fingerabdrücke von warmem Plasma in den Außenbereichen der auf den Karten abgebildeten Region auf. Dies deutet darauf hin, dass die Prozesse im Herzen der Milchstraße Auswirkungen haben, die weit über dieses zentrale Gebiet hinausgehen. Das entdeckte Plasma könnte mit einer Art inhomogener Atmosphäre aus heißem Gas zusammenhängen, welche die zentralen Regionen durchdringt und vielleicht durch (kontinuierliche oder episodische) Abflüsse von Masse und Energie aus dem galaktischen Kern gespeist wird.

Ähnliche Strukturen beobachtet man gelegentlich in den Herzen anderer Galaxien. Dank der relativen Nähe des rund 26.000 Lichtjahre entfernten Milchstraßenzentrums können die Karten von XMM-Newton dieses Phänomen jedoch hervorragend im Detail darstellen.

Superblasen im galaktischen Herz

Außerdem entdeckten die Astronomen eine weitere große Störung im galaktischen Herz: Superblasen – riesige Hohlräume mit vielen Lichtjahren Durchmesser aus heißem Plasma, das weiche Röntgenstrahlung aussendet. Eine einzelne solche Region enthält eine Energiemenge von mindestens 1051 erg; das entspricht in etwa der Gesamtenergie der Sonne, die sie im Laufe ihrer zehn Milliarden Jahre währenden Lebensdauer abstrahlt.

Die Daten zeigen, dass diese riesige Struktur in den vergangenen 10.000 Jahren durch starke Winde von den massereichsten Sternen des spektakulären Quintuplet-Sternhaufens und katastrophale Ereignisse wie Explosionen massereicher Sterne geformt wurde. Die Freisetzung von derart großen Mengen an Energie hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der interstellaren Materie im galaktischen Zentrum.

Dank der Röntgenbilder haben die Wissenschaftler jetzt eine viel klarere Vorstellung davon, was in den vergangenen Milliarden Jahren passiert sein dürfte – und wie sich unsere Milchstraße auch in Zukunft weiterentwickeln könnte. Eines ist klar: Die Turbulenz in der Nachbarschaft des galaktischen Zentrums wird zweifellos auch in Zukunft andauern.

HAE / HOR

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