Aktuatoren – bewegt wie die Mittagsblume

Materialien nach dem Vorbild mancher Pflanzen könnten Robotern künftig zu natürlichen Bewegungen verhelfen

24. Juni 2015

Wenn Ingenieure bewegliche Komponenten von Robotern entwickeln, können sie sich demnächst vielleicht der Kniffe von Pflanzen bedienen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und der Harvard University in Cambridge (USA) stellen jetzt poröse Materialien vor, die als Aktuatoren, also als sich bewegende Teile, dienen könnten. Der Bewegungsmechanismus der Materialien ähnelt dabei dem mancher Pflanzengewebe. Erhöht sich in den Poren des Polymermaterials der Druck, quillt dieses in eine bevorzugte Richtung und dehnt sich damit aus. Die Forscher ahmen auf diese Weise den Mechanismus nach, durch den sich manche unbelebte Pflanzenteile wie etwa die Deckel der Samenkapseln der Mittagsblume bewegen. Die Forscher analysierten auch, wie das Ausdehnungsverhalten entsprechender Materialien von deren Struktur abhängt und überprüften zugleich ein dazu entwickeltes theoretisches Modell. Anhand der neuen Erkenntnisse könnten sich bewegliche Komponenten mit besonders natürlichen Bewegungseigenschaften etwa für Roboter konzipieren lassen.

Waldspaziergänger kennen das Bild. Bei Regen sind die Kiefern- und Tannenzapfen, die auf dem Boden liegen, verschlossen. Ist es dagegen trocken, öffnen sich die Zapfen. Auf diese Weise verhindern die Nadelgewächse, dass die Samen durch Feuchtigkeit zu schwer würden, um durch den Wind weit verbreitet zu werden. Die Mittagsblume macht es genau anders herum: Sie setzt ihren Samen gerade bei Feuchtigkeit frei. Ihr geht es dabei um perfekte Bedingungen zum Keimen. Eine ausgeklügelte Deckschicht auf den Samenkapseln sorgt daher dafür, dass die Kapseln bei Trockenheit verschlossen bleiben, sich aber bei Nässe öffnen.

In beiden Beispielen sorgt die Feuchtigkeit dafür, dass sich pflanzliche Zellen in markanter Weise verformen. Unter Aufnahme von Wasser dehnen sie sich – und damit das Gewebe – so aus, dass sich ganze Pflanzenteile in einer definierten Weise bewegen. Bei den Zapfen schließen sich die Schuppen, während Feuchtigkeit den Deckel der Mittagsblumen-Samenkapsel öffnet.

Ein Antrieb, der allein auf physikalischen Mechanismen basiert

Für Forscher ist besonders spannend, dass sich der energetische Antrieb für diese Bewegungen nicht aus Stoffwechselvorgängen speist, sondern allein auf physikalischen Mechanismen beruht. Aus biologischer Sicht muss das auch so sein – immerhin ist das Material, etwa im Fall der abgefallenen Zapfen, bereits tot.

Wie Materialeigenschaften, Geometrie und Anordnung der Zellen die makroskopische Bewegung im Detail beeinflussen, haben nun Forscher vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam näher untersucht. Sie entwickelten dafür sowohl ein Computersimulation als auch gewebeähnliche Materialien aus einem porösen Polymer, in dem die Poren etwa den Zellen im biologischen Material entsprachen.

Ein interessanter Befund: Nicht nur die Form der einzelnen Zelle entscheidet über die Art der Ausdehnung. Entscheidend ist auch, wie die Zellen zueinander angeordnet sind. In einem Fall testeten die Wissenschaftler drei unterschiedliche wabenartige Strukturen aus ein und derselben Basiszelle. Für diese hatten sie eigens eine achteckige Form konstruiert – eine Art Rechteck, bei dem die beiden Hälften stufenförmig gegeneinander verschoben sind. Die zusätzlichen Ecken, die so an zwei Seiten der Zelle entstehen, sollten wie Scharniere wirken, an denen sich die Zelle besser verformen lassen müsste – so die Idee. Denn aus einer früheren Studie wussten die Potsdamer Forscher, dass sich eher Winkel in der Wand von Zellen ändern, wenn diese sich ausdehnen, als dass sich die Zellwände strecken. Letzteres erfordert nämlich deutlich mehr Energie.

Steigt durch Luft oder eine Flüssigkeit der Druck im Inneren der Zellen, dehnten sich zwei der drei Wabenstrukturen bevorzugt in eine Raumrichtung aus, bildeten dabei aber jeweils unterschiedliche neue Zellgeometrien aus. Bei der dritten Anordnung dehnte sich die Struktur schräg aus, es kam also sozusagen zu einer Scherwirkung auf den Zellverbund. Für alle drei Anordnungen galt: Während der anfängliche Druckanstieg unmittelbar zu einer recht großen Ausdehnung führte, nahm das Ausmaß der zusätzlichen Expansion mit steigendem Druck immer mehr ab.

Ein flexibler Hebel, um Bauteile gezielt zu bewegen

„Wir können die Art der makroskopischen Ausdehnung über die Form der Zellen und über ihre Anordnung sehr gut kontrollieren“, sagt John Dunlop, der am Potsdamer Max-Planck-Institut im Bereich Biomaterialien die Arbeitsgruppe „Biomimetic Actuation and Tissue Growth“ leitet und an den aktuellen Arbeiten maßgeblich beteiligt war. „Wir haben damit einen sehr flexiblen Hebel an die Hand bekommen, um zum Beispiel bestimmte Bauteile sehr definiert und charakteristisch zu verformen und damit zu bewegen.“

Noch seien diese Forschungen sehr grundlegend, langfristig können sich die Wissenschaftler aber zum Beispiel einen Einsatz in der Robotik vorstellen. Statt über Motoren mit recht kantigen und starren Bewegungsmustern seien dann möglicherweise Bewegungsabläufe denkbar, die sehr viel weicher, abgestufter und letztlich natürlicher wären, so Dunlop. Bewegliche Teile eines solchen Roboters, die Aktuatoren, bestünden dabei vielleicht aus einem porösen Polymer mit definiert eingestellten Poreneigenschaften. „Die eigentliche Bewegung ließe sich dann zum Beispiel über Druckluft oder eine quellfähige Flüssigkeit in den Poren steuern“, erklärt Dunlop. Eventuell wären solche Konstruktionen sogar robuster und weniger fehleranfällig als elektronisch gesteuerte Roboter, so der Wissenschaftler. Entsprechende praktische Anwendungstests in der Robotik-Industrie müssten all dies aber erst noch zeigen.  

Für die Forscher war nebenbei noch etwas anderes erfreulich: dass nämlich die theoretischen Befunde aus der Computersimulation und die experimentellen Messreihen an den gezielt hergestellten porösen Polymermaterialien fast identisch waren. Lediglich das Ausmaß der Ausdehnung fiel im Experiment etwas kleiner aus als in der virtuellen Simulation. „Wir haben damit die Möglichkeit, solche Materialien beliebig am Computer zu designen und das Verhalten dann im Experiment zu testen“, so Dunlop.

Künstliche Polymerwaben aus dem 3-D-Drucker

In den entsprechenden Zellen von Tannenzapfen und Samenkapseln der Mittagsblume spielt die Zusammensetzung der Zellwände eine wichtige Rolle beim Ausdehnungsprozess. Sie setzen sich nämlich vor allem aus dem nicht quellfähigen Lignin und der gut quellenden Cellulose zusammen. Für ihr praktisches Experiment simulierten die Forscher diesen Aufbau, indem sie zwei unterschiedlich quellfähige Polymerschichten miteinander verbanden. Hergestellt haben das Material Wissenschaftler der Harvard University in Cambridge, USA, mit einem Multimaterial-3-D-Drucker. Für den Quellvorgang nutzten die Potsdamer Forscher ein Lösungsmittel.

Für spätere praktische Anwendungen können sich die Potsdamer zum Beispiel poröse Polymermaterialien vorstellen, deren Poren mit einer wasseranziehenden Flüssigkeit gefüllt sind, zum Beispiel einem sogenannten superabsorbierenden Hydrogel.

Offen ist noch, wie sich die Bewegung solcher Zellstrukturen in einem technisch genutzten Aktuator zuverlässig umkehren lässt. Aber vielleicht können sich die Forscher auch in dieser Frage noch etwas bei den Tannenzapfen oder den Samenkapseln der Mittagsblume abschauen. Schließlich beherrschen die es, sich beliebig zu öffnen – und wieder zu schließen.

KH

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