Pluto – ein Zwerg in der Finsternis

Der Himmelskörper scheint ein großer Bruder von Ceres zu sein und erhält bald Besuch von einer Raumsonde

Im Sonnensystem wimmelt es von winzigen Brocken – aber Zwerge gibt es offiziell nur fünf: Ceres, Eris, Haumea, Makemake und Pluto. Während die Raumsonde Dawn derzeit Ceres erkundet, soll die Mission New Horizons am 14. Juli am großen Bruder Pluto vorbeirasen und en passant Daten und Bilder dieser fernen Welt aufzeichnen. Damit hätten die Forscher zwei ganz unterschiedlich weit entfernte Zwergplaneten näher untersucht.

Text: Helmut Hornung

Neben sieben wissenschaftlichen Instrumenten trägt die Raumsonde New Horizons eine besondere Fracht an Bord: einige Gramm Asche des 1997 gestorbenen Astronomen Clyde Tombaugh, der Pluto im Jahr 1930 entdeckte. Tombaugh, Sohn eines Farmers, war begeisterter Sterngucker. Mit seinem selbstgebauten Fernrohr hatte er als Jugendlicher Mars und Jupiter beobachtet und Zeichnungen dieser Planeten an den Direktor der Lowell-Sternwarte im US-Bundesstaat Arizona geschickt. Der war von den Arbeiten so angetan, dass er Tombaugh eine Stelle anbot.

Mit Eifer ging der Neue ans Werk, um den „Planeten X“ aufzuspüren. Denn Percival Lowell, der Gründer des Observatoriums, hatte nicht nur an die Existenz von Marsianern geglaubt, sondern auch an einen bisher unentdeckten Himmelskörper jenseits der Bahn des Neptun. Am Nachmittag des 18. Februar 1930 verglich Clyde Tombaugh fotografische Platten einer Region im Sternbild Zwillinge. Da sprang ihm ein schwaches Lichtpünktchen ins Auge, das innerhalb von drei Tagen um 3,5 Millimeter gewandert war: der „Planet X“.

Am 14. März 1930 berichteten die Zeitungen von dem sensationellen Fund. Noch am selben Tag schrieb ein Bibliothekar aus Oxford an den englischen Astronomen Herbert Hall Turner, dass seine elfjährige Enkelin von der Entdeckung gehört und spontan den Namen Pluto vorgeschlagen habe. Tatsächlich leitete Turner diese Idee ans Lowell-Observatorium weiter – und die dortigen Astronomen willigten sofort ein.

Der Name fügte sich gut in die mythologischen Bezeichnungen der anderen Planeten ein: Pluto ist der römische Gott der Unterwelt, bei den Griechen hieß er Hades oder Aidoneus. Außerdem sind die Anfangsbuchstaben auch die Initialen des Sternwartengründers Percival Lowell. Die Namensgeberin war Venetia Burney, verheiratet Phair. Die Degradierung ihres Täuflings zum Zwergplaneten im Jahr 2006 hat sie noch erlebt – sie starb 90-jährig im April 2009.

Aufgrund seiner großen Distanz – er ist im Mittel 5,9 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt, 40-mal weiter wie die Erde – ist Pluto ein weißer Fleck auf der astronomischen Landkarte. Selbst in Opposition, wenn er in größte Erdnähe gerät, trennen uns immer noch rund 4,7 Milliarden Kilometer von dem Zwergplaneten. Das von ihm reflektierte Sonnenlicht braucht dann nicht weniger als gut vier Stunden, um zu uns zu gelangen.

Pluto benötigt für einen Sonnenumlauf knapp 248 Jahre. Seine Bahn ist  stark gegen die Ebene des Planetensystems geneigt. Außerdem hat die Schwerkraft die Umlaufszeit von Pluto und seinem Nachbarn Neptun auf das Verhältnis zwei zu drei eingestellt. Diese Eigenschaften weisen auch die Anfang der 1990er-Jahre entdeckten Plutinos auf – kleine Körper am Rand des Sonnensystems.

Der Zwergplanet besitzt einen Durchmesser von etwa 2390 Kilometern. Er rotiert in 6 Tagen 9 Stunden und 18 Minuten einmal um seine Achse. Im Jahr 1988 fanden Forscher eine dünne Methanatmosphäre und schätzten ihre Dicke auf mindestens 100 Kilometer. Außerdem wiesen sie in der Gashülle auch noch Kohlenmonoxid nach.

Beobachtungen mit einem Radioteleskop auf Hawaii zeigten, dass die Atmosphäre bis in mehr als 3000 Kilometer Höhe reicht. Aufgrund seiner stark elliptischen Umlaufbahn – zwischen 1979 und 1999 befand er sich sogar innerhalb der Neptunbahn – ist Pluto erheblichen Schwankungen der Sonneneinstrahlung ausgesetzt.

Vor einigen Jahren fanden Hermann Böhnhardt und Silvia Protopapa vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung erste Hinweise darauf, dass die Atmosphäre während des Plutowinters komplett ausfrieren könnte, auf die vereiste, rötlich schimmernde Oberfläche schneit und dort zu Methaneis wird. Für ihre Beobachtungen nutzten die Wissenschaftler das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. 

Pluto ist vermutlich ähnlich aufgebaut wie seine kleinere Schwester Ceres: Er besitzt einen felsigen Kern, der allerdings im Gegensatz zu Ceres vergleichsweise klein ausfallen dürfte. Daran schließt sich ein Eismantel an, auf dem eine Kruste aus gefrorenem Methan und Stickstoff liegt. Die Oberfläche weist unterschiedliche Färbungen auf. Zwar ist sie im Grundton rötlich, aber offenbar gibt es vereinzelt schneeweiße Stellen ebenso wie pechschwarze Regionen. Insgesamt besteht Pluto wohl zu ungefähr zwei Drittel aus Gestein und zu einem Drittel aus Wassereis.

Mit Spannung erwarten die Wissenschaftler die Ergebnisse der beiden Missionen Dawn und New Horizons. Denn ein direkter Vergleich der Daten könnte unter anderem die Frage klären, ob Pluto und Ceres tatsächlich miteinander verwandt sind und eine ähnliche Genese haben, obwohl sie an ganz unterschiedlichen, weit voneinander entfernten Orten im Planetensystem um die Sonne laufen.

Im Jahr 1978 fand man den Plutomond Charon. Er ist mit einem Durchmesser von 1207 Kilometer halb so groß wie sein Mutterplanet. Mittlerweile haben die Astronomen noch vier weitere, lediglich einige Kilometer große kartoffelförmige Trabanten entdeckt: Nix, Hydra, Kerberos und Styx. Vermutlich umkreisen aber noch mehrere, bisher unbekannte Brocken den Zwergplaneten.

Der Gott der Unterwelt und sein Reich liegen buchstäblich im Dunkeln. Das soll sich am 14. Juli 2015 ändern. An jenem Tag wird die Raumsonde New Horizons in 9600 Kilometer Abstand am Pluto und in 27000 Kilometer an seinem größten Mond Charon vorbeirasen. Es wird ein sehr flüchtiges Rendezvous, denn die im Januar 2006 gestartete Sonde fliegt mit gut 50000 Kilometer pro Stunde – an ein Einschwenken in eine Umlaufbahn und damit ein längeres Verweilen ist bei diesem Höllentempo nicht zu denken. In nur wenigen Stunden muss sich automatisch ein geballtes wissenschaftliches Beobachtungsprogramm abspulen. Aufgrund der langen Signallaufzeit können die Wissenschaftler auf der Erde nicht eingreifen.

New Horizons trägt sieben Instrumente an Bord, unter anderem Lorri, den Long Range Reconnaissance Imager. Dahinter verbirgt sich ein Teleskop mit 21 Zentimetern Durchmesser und einer hochempfindlichen CCD-Kamera. Dieses elektronische Auge soll Bilder liefern, auf denen noch 25 Meter große Details erscheinen. Andere Detektoren sollen die chemische Zusammensetzung Plutos und Charons herausfinden, Moleküle wie Methan aufspüren, Druck und Temperatur der hauchdünnen Atmosphäre messen oder die Dichte des interplanetaren Staubs bestimmen.

Die Reise des Kleinwagen-großen Spähers endet nicht am Zwergplaneten. Denn jenseits von Plutos Reich tun sich neue Horizonte auf, beginnt der mit unzähligen Weltraumbrocken besiedelte Kuipergürtel. Das ist die größte bekannte Struktur aus der Entstehungsphase des Sonnensystems – eine flache, ringförmige Ansammlung von etwa 100.000,  mindestens 100 Kilometer großen Objekten und unzähligen kleineren Trümmern. Der Kuipergürtel erstreckt sich jenseits der Neptunbahn in einer Sonnenentfernung von 4,5 bis 7,5 Milliarden Kilometern. New Horizons soll wenigstens zwei Vagabunden des Kuipergürtels ansteuern. Sie wird dann unter dem neuen Namen Icy Hunters firmieren.

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