Nanostrukturen: Kohle nach Maß

Ein neues Syntheseverfahren ermöglicht es, gezielt verschiedene Nanostrukturen aus Kohlenstoff herzustellen

Sie sind klein und kommen als runde, schichtförmige oder faserartige Partikel daher. Und sie bestehen weitgehend aus dem chemischen Element Kohlenstoff. Die Rede ist von zum Teil ungewöhnlichen Kohlenstoffnanostrukturen, wie sie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam jetzt mit einem neuartigen Verfahren hergestellt haben. Die Forscher haben bereits besondere katalytische Eigenschaften ihrer Nanostrukturen nachgewiesen. So sind sie zum Beispiel in der Lage, den Energieaufwand für die elektrolytische Spaltung von Wasser zu reduzieren. Dies ist interessant, wenn es um die Speicherung etwa erneuerbarer Energien geht. Aufgrund der großen Hohlräume können sich die Wissenschaftler aber auch eine Verwendung ihrer Nanopartikel zur Speicherung von Gasen wie Kohlendioxid vorstellen.

Wenn man die Pizza zu spät aus dem Ofen holt, ist der Teig schwarz. Eine Verkohlung – aus den organischen Bestandteilen im Teig sind Moleküle mit hohem Kohlenstoffanteil geworden. Was in der heimischen Küche in aller Regel unerwünscht ist, kann bei manchen industriellen Prozessen gerade das Ziel sein. Die Gewinnung von Koks aus Kohle ist ein Beispiel für eine solche Karbonisierung, also einen Prozess, der den Kohlenstoffgehalt erhöht. Auch Industrieruße, wie sie etwa zum Einfärben von Autoreifen verwendet werden, weisen aufgrund gezielter unvollständiger Verbrennung hohe Kohlenstoffanteile auf.

Seit einigen Jahren arbeiten Wissenschaftler auch an der gezielten Synthese kohlenstoffreicher Nanomaterialien. Da solche Partikel sehr porös sind, mithin eine große spezifische Oberfläche besitzen und teilweise auch gut elektrischen Strom leiten, sind sie für viele Anwendungen interessant. Bisher erhält man bei gängigen Synthesen vor allem sphärische, also runde Kohlenstoffnanopartikel. Forschern am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm gelang es nun aber mit einem neuen Syntheseverfahren, nicht nur sphärische, sondern auch schicht- sowie faserförmige Strukturen zu erzeugen.

Die Wahl der Ausgangsstoffe bestimmt die Struktur der Partikel

Die Forscher gingen dabei von insgesamt zehn verschiedenen organischen Lösungsmitteln aus, die sie jeweils karbonisierten. „Dabei zeigte sich, dass wir die spätere räumliche Struktur der Partikel über die Wahl des Ausgangsstoffes steuern können“, so Tim Fellinger, der am Potsdamer Max-Planck-Institut die Gruppe „Carbon and Energy“ leitet.

Seine Gruppe erzeugte aber nicht nur vielfältige Nanostrukturen aus Kohlenstoff. Sie fand auch Wege, neben Kohlenstoff gezielt Atome anderer Elemente in ihren Produkten unterzubringen. So führten stickstoff- oder schwefelhaltige Lösungsmittel wie Pyridin oder Dimethylsulfoxid zu Nanokohlen, die bis zu 15 Massenprozent Stickstoff beziehungsweise Schwefel enthalten. Darüber hinaus haben die Forscher durch geeignete Zusätze auch Metalle wie Nickel, Kobalt oder Zink eingebaut – und sogenannte Nanokomposite erzeugt.

Nickel-Kohle-Komposite als Katalysatoren für die Wasserspaltung

Erste Versuche mit den Nanostrukturen bescheinigen vielen von diesen nützliche Eigenschaften. Weil die Gruppe um Fellinger sich auch mit Energiespeicherlösungen beschäftigt, untersuchten die Forscher beispielsweise die katalytischen Effekte der Nanokohlen auf die elektrochemische Spaltung von Wasser. Dabei erwiesen sich vor allem die Nickel-Kohle-Nanokomposite den gängigen Katalysatoren als ebenbürtig. „Sie wären aber vermutlich ökonomischer in der Herstellung als die bisher verwendeten auf Iridium-Basis“, sagt Fellinger. Mit einer katalytischen Wasserspaltung ließen sich zum Beispiel kurzfristig Überschüsse an elektrischer Energie in Form von Wasserstoff speichern. „Auch eine dezentrale und bedarfsorientierte Produktion von Wasserstoff ist mit wirtschaftlichen Katalysatoren denkbar“, so Fellinger. Potenziell gefährliche Transporte des Gases wären dann überflüssig.

Beeindruckt waren die Wissenschaftler auch davon, wie porös ihre Nanostrukturen sind und wie gut die Kohlenstoffpartikel etwa Gase aufnehmen. So adsorbieren einige Produkte Gase sogar besser als kommerzielle Aktivkkohle. Tim Fellinger findet das bemerkenswert: Anders als bei der Herstellung von Aktivkohlen üblich, werden keinerlei Maßnahmen in den Verkohlungsprozess integriert, die die Adsorptionseigenschaften fördern. Für Fellinger ergeben sich daraus vielfältige Einsatzgebiete. Unter anderem könnten die neuen Partikel bei der Entwicklung von Batterien der nächsten Generation Dienste leisten, also etwa bei Lithium-Schwefel- oder Lithium-Luft-Batterien.

Ein neuartiger Syntheseweg ermöglicht die Strukturvielfalt

Ausschlaggebend für die besondere Strukturvielfalt und die nützlichen Eigenschaften waren vor allem zwei Vorgehensweisen, mit denen Fellinger und seine Mitarbeiter jeweils Neuland betraten. Zum einen wählten die Forscher ein ungewöhnliches Reaktionsmilieu: Sie verwendeten über 500 Grad heiße Salzschmelzen, zum Beispiel flüssiges Zinkchlorid. Zum anderen karbonisierten sie flüssige Ausgangsstoffe. Bisher werden in der Regel Feststoffe karbonisiert, da dafür hohe Temperaturen nötig sind, bei denen sich organische Flüssigkeiten schlicht verflüchtigen. Wie sich zeigte, ermöglichen die Salzschmelzen dagegen die Karbonisierung direkt aus dem flüssigen Medium. Die Forscher injizierten dazu kostengünstige und laborübliche Lösungsmittel einfach in das flüssige Salz.

„Offenbar werden die Flüssigkeitsmoleküle beim Kontakt mit der Schmelze gespalten, noch bevor sie verdampfen können“, erklärt Tim Fellinger. „Die Spaltprodukte wiederum setzten sich dann vermutlich binnen weniger Nanosekunden zu größeren kohlenstoffreichen Molekülen zusammen.“ Die umgebende Zinkchlorid-Schmelze scheine diese zu stabilisieren. Weil es sich bei geschmolzenen Salzen um heiße ionische Flüssigkeiten handelt, nennen Chemiker Synthesen in solch einem Milieu auch Ionothermalsynthesen. In der Anorganik haben sich diese bereits bewährt. Die Potsdamer Max-Planck-Forscher waren die Ersten, die sie nun auch als Karbonisierungsvariante nutzten.

Nach der Reaktion gaben sie einfach verdünnte Salzsäure in ihr erkaltetes Gemisch. Während sich das Salz darin löste, blieb die Nanokohle als schwarzes, luftiges Pulver zurück und ließ sich einfach herausfiltern. Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen zeigten die unterschiedlichen Nanostrukturen der jeweiligen Produkte. So führten Acetonitril, Benzonitril und Dimethylsulfoxid zu sphärischen Strukturen, wie sie auch von bereits gängigen Industrierußen bekannt sind. Tropften die Wissenschaftler aber zum Beispiel Ethylenglykol oder Glycerin in ihre Salzschmelze, so entstanden schichtartige Kohlen. Für andere Flüssigkeiten wie Ethanol, Aceton oder Pyridin ergaben sich faserige Produkte, die zudem noch verzweigt und vernetzt waren. Kugelförmige Kohlenstoffpartikel wiesen dabei einen Durchmesser von zehn Nanometern auf, die faserartigen Strukturen waren bis zu 120 Nanometer lang.

Salzschmelzen wirken wie Schmier- und Spülmittel

Obwohl die genauen Mechanismen noch Spekulation seien, findet Tim Fellinger die neue Vielfalt an Partikelstrukturen recht plausibel: „Wir vermuten, dass die Salzschmelze als eine Art Schmiermittel fungiert und so die Mobilität der organischen Fragmente erhöht.“ Diese Beweglichkeit wiederum führe zu mehr Möglichkeiten für die Bausteine, sich zu arrangieren. Wie rasch dies geschehe, könne sich von Lösungsmittel zu Lösungsmittel unterscheiden – und damit ein Grund für die unterschiedlichen Strukturen sein. Und noch etwas hält der Chemiker und Nanostrukturwissenschaftler für wichtig: „Das Salz setzt die Grenzflächenspannung herab.“ Daher würden sich die Kohlefragmente nicht mehr unbedingt zu kugelförmigen Gebilden zusammenziehen, um so ihre Oberfläche zu minimieren. Genauso, wie Wasser auf Oberflächen keine Tropfen mehr bildet, wenn man ihm Spülmittel zusetzt.

Auch die große Porosität führten die Forscher auf die Anwesenheit der Salzionen zurück: Aufgrund der geringen Grenzflächenspannung hätten Salz und Kohle während der Synthese große Kontaktflächen. „Trennt man das Salz anschließend ab, bleiben viele Hohlräume zurück“, so Fellinger.

Mit vielen Ideen befinden sich die Forscher erst am Anfang. Bedenkt man zudem die große Anzahl anorganischer Salze und organischer Lösungsmittel, die sich bei dem Ansatz kombinieren lassen, sind noch viele maßgeschneiderte Kompositvarianten mit nützlichen Anwendungen vorstellbar. Einige der Kombinationen von Salz und Lösungsmitteln wollen die Forscher nun ausprobieren. Außerdem möchten sie genauer untersuchen, ob die Kohlenstoffschichten und -fasern, die jetzt zugänglich sind, für bestimmte Verwendungen Vorteile gegenüber sphärischen Strukturen bringen. „Auf jeden Fall haben wir mit der Heißinjektion gut verfügbarer Lösungsmittel und der Ionothermalsynthese ein neues, vielseitiges Instrument für die Karbonisierung“, sagt Tim Fellinger.

KH

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