Darmflora könnte Artbildung beeinflussen

Mischlingsmäuse besitzen andere Bakteriengemeinschaft im Darm als ihre reinerbigen Eltern

16. März 2015

Wir sind nicht allein. Und das waren wir auch nie: Bakterien besiedelten die Erde lange vor vielzelligen Organismen und beeinflussten deren Evolution von Anbeginn. Dabei könnten sogar neue Arten entstehen. In einer Studie des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön haben die Wissenschaftler Bakteriengemeinschaften im Darm zweier Mäuse-Unterarten und ihrer Mischlinge untersucht. Nicht nur die beiden Unterarten unterscheiden sich in der Zusammensetzung ihrer Darmflora, die Hybriden beider Unterarten besitzen eine eigene Bakteriengemeinschaft. Diese Unterschiede gingen mit einem veränderten Immunsystem einher. Dies könnte erklären, warum Mischlinge der beiden Unterarten weniger überlebensfähig sind als ihre reinerbigen Eltern. Die Darmflora trägt damit dazu bei, dass sich die beiden Unterarten zu vollständig getrennten Arten entwickeln.

Bakterien haben vielfach einen schlechten Ruf. Sie sorgen für Erkältung und Durchfall und andere unerfreuliche Begleiterscheinungen. Die meisten Menschen möchten deshalb möglichst wenig mit ihnen zu tun haben. Manche Bakterien sind aber durchaus nützlich. Für die Verdauung im Darm sind sie beispielsweise unersetzlich: Sie produzieren Vitamine und Fettsäuren, andere sorgen dafür, dass Ballaststoffe verdaut oder Stärke verwertet werden. Aufgenommen werden die Darmbakterien etwa bei der Geburt oder später durch den täglichen Kontakt zwischen Eltern und Nachkommen.

Das sogenannte Mikrobiom, also die mit einem Organismus zusammen lebenden Mikroorganismen, beeinflusst darüber hinaus aber auch maßgeblich seine Evolution. Wissenschaftler rund um John Baines vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, haben die Darmflora und das Erbgut zweier europäischer Mäuse-Unterarten analysiert: Mus musculus domesticus kommt westlich einer Linie vor, die durch die neuen Bundesländer, Bayern, das westliche Österreich und den Balkan zum Schwarzen Meer verläuft. Mus musculus musculus lebt östlich dieser Grenze. Die beiden Unterarten der Mäuse können sich zwar noch untereinander fortpflanzen, doch ihre Nachkommen sind weniger fruchtbar als reinerbige Tiere.

Die Forscher haben das Erbgut und Darmgewebe von Hybriden aus der rund 40 Kilometer breiten Überlappungszone untersucht, in der beide Unterarten gemeinsam vorkommen und sich miteinander kreuzen. Ihre Ergebnisse haben sie darüber hinaus mit Analysen von im Labor gezüchteten Tieren  der beiden Unterarten und ihren Hybriden verglichen. 

Die Wissenschaftler haben die Artenvielfalt der Darmbakterien mit genetischen Analysen bestimmt. Dabei zeigte sich, dass nicht nur Labor- und Wildmäuse jeweils eine deutlich andere Darmflora besitzen, sondern auch die beiden Unterarten und die Hybriden. Die Mischlinge unterscheiden sich sogar deutlicher von ihren reinerbigen Eltern, als diese voneinander. „Die Unterschiede zwischen Labor- und Wildtieren lassen sich durch die verschiedenen Lebens- und Ernährungsbedingungen leicht erklären. Auf die Differenzen zwischen den wilden Mäusen trifft das nicht zu, denn die Tiere kommen in der Natur im selben Lebensraum vor“, sagt John Baines, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.

Die Erklärung der Wissenschaftler: Der Grund sind die Gene – insbesondere die Gene für das Immunsystem. Mäuse mit unterschiedlichen Varianten von Immungenen besitzen demnach auch eine andere Bakterienzusammensetzung im Darm. Ein Beispiel dafür, wie das Immunsystem die Darmflora beeinflusst, sind die T-Zellen. Diese Immunzellen kommen auch im Darmgewebe  vor und unterscheiden sich bei den Hybridmäusen. Solche Unterschiede im Immunsystem der Mischlinge beeinträchtigt  offenbar die Bakterien im Darm.

Die Darmflora der Hybriden besteht also einerseits aus weniger Arten, gleichzeitig kommen die jeweiligen Arten unterschiedlich häufig vor. Hybriden haben etwa deutlich mehr Helicobacter-Bakterien als beide reinrassigen Tiere der Elterngeneration. Di zu dieser Gruppe gehörenden Arten gelten als Verursacher von Darmgeschwüren beim Menschen. Blautia-Bakterien dagegen kommen in den Mischlingen relativ selten vor.

Das ist anscheinend nicht zum Wohl der Mäuse, denn die Forscher haben festgestellt, dass das Darmgewebe der Hybriden häufiger entzündet ist als das der Elterntiere. „Dies ergänzt frühere Ergebnisse, wonach die Hybride der beiden Maus-Unterarten eine geringere Fitness aufweisen, also schwächer und kränker sind und weniger Junge bekommen“, so Baines.

Das Erbgut der beiden Mäuse-Unterarten hat sich also schon so weit auseinander entwickelt, dass Hybride ihren Darmbakterien keine optimalen Bedingungen mehr bieten können und die Tiere dadurch eine geringere Fitness besitzen.

LG/HR

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