Erbgut des Kanarienvogels entschlüsselt

Hormone regulieren Gene saisonal singender Vögel

4. Februar 2015

Bald ist es wieder soweit: In wenigen Wochen beginnen in unseren Breiten die Vögel wieder zu singen. Nicht nur Naturfreunde sind davon fasziniert, auch Wissenschaftler. Denn anhand des Vogelgesangs können sie herausfinden, wie solche saisonalen Vorgänge gesteuert werden. Nun hat ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin erstmals das Genom des Kanarienvogels entschlüsselt. Mit den Gendaten können sie untersuchen, wie die hormonabhängige Steuerung von Genen bei saisonal singenden Vögeln entstanden ist.

Kanarienvögel werden seit dem 15. Jahrhundert als Haustiere gehalten. Sie sind die Nachfahren wildlebender Populationen auf den Azoren, Madeira und den Kanarischen Inseln im Nordatlantik.  Seitdem ist der Kanarienvogel zu einem der beliebtesten Modelltiere für die Erforschung des Vogelgesangs geworden, denn die Tiere singen im Laufe des Jahres unterschiedlich und vermehren sich nur zu bestimmten Zeiten im Jahr. Hormone und Gehirnareale, die für die Steuerung des Gesangs verantwortlich sind, schwanken bei den Vögeln ebenfalls im Laufe des Jahres.

Einem Team aus Forschern der Abteilung Verhaltensneurobiologie um Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und von der Servicegruppe Sequenzierung des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin um Bernd Timmermann haben nun mit Kollegen aus Brasilien und England  untersucht, wie sich bei Singvögeln die Steuerung von Genen durch Hormone entwickelt hat. Sie haben dafür erstmals das Kanarienvogel-Erbgut mit hoher Genauigkeit komplett entschlüsselt. „Wir haben uns auf das Genom weiblicher Vögel konzentriert, da bei den Vögeln, anders als bei den Säugetieren, die Weibchen unterschiedliche Geschlechtschromosomen, Z und W, besitzen“, sagt Heiner Kuhl vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik.

Beim Abgleich des Kanarien-Erbguts mit den bekannten Genomen anderer Vogelarten zeigte sich, dass diese sich im Großen und Ganzen recht ähnlich sind. Unterschiede treten erst bei detaillierteren Vergleichen auf: Zum Beispiel unterscheiden sich Vogelarten in einzelnen Grundbausteinen des genetischen Codes. Dies kann sich auf die Bindungsstellen von Hormonrezeptoren für Östrogene und Androgene auswirken. „Solche Unterschiede können selbst bei sehr nah verwandten Arten dazu führen, dass die Gene verschieden stark aktiv sind“, sagt Carolina Frankl-Vilches vom Max-Planck-Institut für Ornithologie.

Die Wissenschaftler haben zudem in männlichen Vögeln Schwankungen in den beiden Hormon-empfindlichen Gehirnregionen HVC und RA untersucht. Diese dienen der Gesangskontrolle. Ein Vergleich mit dem relativ nahe verwandten Zebrafink, der im Gegensatz zum Kanarienvogel keinen saisonalen hormonsensitiven Gesang besitzt, ergab, dass  in den Gesangskontrollregionen viele Gene aktiv sind, die nur beim Kanarienvogel, aber nicht beim Zebrafinken durch Steroidhormone reguliert werden können. Diese Gene scheinen wichtig bei der Neuverdrahtung der Neurone zu sein, die für die saisonalen Änderungen im Gesang verantwortlich sind. “Unsere Ergebnisse belegen, dass der Kanarienvogel zu Recht ein zuverlässiges Modelltier für die molekulare Neurobiologie darstellt. Bei vergleichenden Studien sind sehr exakte Genomanalysen erforderlich, um die Evolution von Genen und ihrer RNA-Abschriften zu untersuchen“, sagt der Koordinator der Studie, Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie.             

SL/HR

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