Neue Gammaquellen in der Großen Magellanschen Wolke

Die Teleskopanlage H.E.S.S. spürt drei extrem leuchtstarke Objekte in der Nachbargalaxie der Milchstraße auf

22. Januar 2015
Einmal mehr hat das Gammastrahlen-Observatorium H.E.S.S. sein Entdeckerpotenzial unter Beweis gestellt: In der Großen Magellanschen Wolke registrierte das High Energy Stereoscopic System extrem leuchtstarke Höchstenergie-Gammastrahlenquellen. Es handelt sich um drei verschiedenartige Objekte: einen Pulsarwindnebel, einen Supernova-Überrest und eine 270 Lichtjahre große Schale, aufgeblasen von mehreren Supernovae und Sternen – eine sogenannte Superschale. Damit gelang es zum ersten Mal, in einer fremden Galaxie gleich mehrere sternähnliche Quellen bei höchsten Energien zu beobachten.

Kosmische Beschleuniger, vor allem Supernova-Überreste und Pulsarwindnebel, machen sich durch höchstenergetische Gammastrahlen bemerkbar. In diesen Endprodukten massereicher Sterne werden geladene Teilchen auf extreme Geschwindigkeiten beschleunigt. Wenn sie auf das umgebende Medium – entweder interstellares Gas oder Licht – treffen, entsteht Gammastrahlung.

Höchstenergetische Gammastrahlen aus dem Kosmos lassen sich am Erdboden messen. Denn beim Eintritt in die Atmosphäre verursachen sie Kaskaden geladener Sekundärteilchen, sogenannte Teilchenschauer. Diese emittieren extrem kurze bläuliche Lichtblitze (Tscherenkow-Licht), die man mit großen Spiegelteleskopen und schnellen Lichtsensoren beobachten kann.

Die Große Magellansche Wolke (LMC) ist eine Zwerg-Satellitengalaxie unserer Milchstraße in einer Entfernung von ungefähr 170.000 Lichtjahren. In ihr entstehen ständig neue massereiche Sterne; entsprechend beherbergt die Galaxie auch viele massereiche Sternhaufen. Die Rate, mit der neue massive Sterne entstehen und am Ende ihres Lebens als Supernovae explodieren, ist in der LMC im Verhältnis zu ihrer Sternmasse fünf Mal höher als in der Milchstraße.

Der jüngste Supernova-Überrest in unserer lokalen Galaxiengruppe, SN 1987A, befindet sich ebenfalls in der LMC. Nicht zuletzt deshalb beobachten die Wissenschaftler der H.E.S.S.-Kollaboration dieses kosmische Objekt ausgiebig. Dabei suchen sie nach höchstenergetischer Gammastrahlung, über die man den Aufbau der Teilchenbeschleunigung in der jungen Sternexplosion zu verstehen hofft.

Insgesamt 210 Stunden haben die Astrophysiker die H.E.S.S.-Teleskope auf die größte Sternbildungsregion in der LMC, bekannt als Tarantelnebel, gerichtet. Dabei gelang es ihnen zum ersten Mal, mehrere Quellen höchstenergetischer Gammastrahlung in einer Galaxie außerhalb der Milchstraße aufgelöst abzubilden.

Bei der sogenannten Superschale 30 Dor C handelt es sich um die größte bekannte, Röntgenstrahlung emittierende Schale, die wohl durch mehrere Supernova-Explosionen und starke Sternenwinde entstanden ist. Superschalen werden als Produzenten galaktischer kosmischer Strahlung diskutiert – zusätzlich oder alternativ zu einzelnen Supernova-Überresten. Die Ergebnisse von H.E.S.S. zeigen, dass diese Superschale eine Quelle hochenergetischer Teilchen ist. 30 Dor C ist der erste Vertreter einer neuen Klasse von Höchstenergie-Gammastrahlenquellen.

Pulsare sind schnell rotierende Neutronensterne, die einen Wind extrem schneller Teilchen aussenden und so einen Nebel bilden. Das bekannteste Exemplar ist der Krebsnebel, eine der hellsten Quellen am Gammahimmel. Der Pulsar PSR J0537−6910 mit seinem Nebel N 157B, den die H.E.S.S.-Teleskope jetzt in der LMC entdeckt haben, ist in vielerlei Hinsicht ein Zwilling des sehr starken Krebspulsars in unserer eigenen Galaxis. Allerdings leuchtet der Nebel N 157B im höchstenergetischen Gammalicht um eine Größenordnung heller als der Krebsnebel. Ursache dafür ist das schwächere Magnetfeld in N 157B und das intensive Sternenlicht aus benachbarten Sternbildungsgebieten.

Der Supernova-Überrest N 132D, als ein helles Objekt im Radiowellen- und Infrarotbereich bekannt, scheint einer der ältesten Supernova-Überreste zu sein, der noch im höchstenergetischen Gammalicht leuchtet. Er ist zwischen 2500 und 6000 Jahre alt und immer noch heller als die stärksten Supernova-Überreste in der Milchstraße – obwohl Modelle vorhersagen, dass in diesem Alter die Supernova-Explosionsfront schon so langsam sein sollte, dass sie kein effizienter Teilchenbeschleuniger mehr ist. Die Ergebnisse bestätigen die Vermutung aus anderen Beobachtungen mit H.E.S.S., dass Supernova-Überreste wesentlich leuchtstärker sein können als bisher angenommen.

Sich teilweise überlappend und an der Nachweisgrenze des Instruments, waren die drei Quellen eine Herausforderung für die H.E.S.S.-Wissenschaftler. Die Entdeckungen gelangen ihnen nur mit neu entwickelten Methoden zur Interpretation der von den Teleskopen aufgenommenen Tscherenkow-Bilder. So konnten sie insbesondere die Genauigkeit bei der Bestimmung der Richtung, aus der die Gammastrahlen kommen, verbessern.

„Sowohl der Pulsarwindnebel als auch der Supernova-Überrest sind energiereicher als ihre stärksten Verwandten in der Milchstraße. Offensichtlich sorgt die hohe Sternbildungsrate in der LMC dafür, dass dort äußerst extreme Objekte entstehen”, sagt Chia Chun Lu, die in ihrer Dissertation die LMC-Daten ausgewertet hat.

„Überraschenderweise zeigte sich der junge Supernova-Überrest SN 1987A jedoch nicht, trotz entsprechender theoretischer Vorhersagen. Aber wir werden weiter danach suchen”, ergänzt ihr Doktorvater Werner Hofmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und langjähriger Sprecher der H.E.S.S.-Kollaboration.

Das neue 28-Meter-H.E.S.S. II-Teleskop steigert die Leistungsfähigkeit des H.E.S.S.-Systems, und in Zukunft wird das geplante Cherenkov Telescope Array (CTA) noch empfindlichere und höher aufgelöste Gammalicht-Bilder der LMC liefern – in den Wissenschafts-Planungen für CTA ist unsere Satellitengalaxie bereits als ein wichtiges Projekt enthalten.

GH / HOR

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