Taktgeber für Hirnwellen

Hemmende Nervenzellen und elektrische Synapsen bestimmen die Frequenz von rhythmischer Aktivität im Gehirn

18. November 2014

Schwingungen der Hirnaktivität beeinflussen unsere Aufmerksamkeit und viele weitere geistige Fähigkeiten. Tatjana Tchumatchenko vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und Claudia Clopath vom Imperial College London haben jetzt ein theoretisches Modell entwickelt, welches den Ursprung dieser Schwingungen in neuronalen Netzwerken erklärt. Hemmende Neuronen und elektrische Synapsen spielen dabei die Schlüsselrollen und könnten daher Zielscheibe für neue Medikamente werden.

Alpha- und Gamma-Gehirnwellen werden durch EEG-Messungen sichtbar gemacht und können dem diagnostizierenden Arzt Aufschluss über den geistigen Zustand des Patienten geben. Der mysteriöse Begriff Hirnwellen steht dabei für nichts weiter als synchrone Schwingungen der Aktivität vieler Neuronen, welche sich oft über große Teile des Gehirns ausbreiten. Die griechischen Buchstaben  bezeichnen dabei die Oszillationsfrequenz. Diese reicht von einem Hertz, bei den Alpha-Wellen, bis zu mehreren hundert Hertz, im Theta-Bereich. Die Wellen sind dabei ein Taktgeber für das menschliche Gehirn und kontrollieren Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Erinnerungsformation.

Die Ergebnisse vieler experimenteller Untersuchungen zeigen, dass bestimmte Klassen von Neuronen größeren Einfluss auf den Oszillationszustand des Netzwerkes nehmen als Andere. Hemmende Neuronen, welche etwa 20 Prozent der Nervenzellen in der Hirnrinde ausmachen, scheinen die Schlüsselrolle in der Entstehung von Gehirnwellen zu spielen. Wie die hemmenden Neuronen die Oszillation steuern ist allerdings nicht bekannt. Da Gehirnwellen ein Netzwerkphänomen sind, ist außerdem nicht klar, wie sich die Eigenschaften der einzelnen Zellen in der Netzwerkdynamik widerspiegeln, oder ob eventuell nur die synaptischen Verbindungen von Bedeutung sind.

Tatjana Tchumatchenko vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und Claudia Clopath vom Imperial College London sind der Überzeugung, dass sie mit Hilfe der Mathematik ein Phänomen wie die Gehirnwellen besser verstehen können. In ihrer gemeinsamen Arbeit entwickelten sie ein mathematisches Modell, welches die Aktivität der erregenden und hemmenden Nervenzellen eines Netzwerks  wie der menschlichen Hirnrinde bestimmen kann. „Es ist uns nicht nur gelungen, Ergebnisse aus bisherigen Experimenten zuverlässig analytisch sowie numerisch zu reproduzieren, das mathematische Modell enthüllte sogar die zwei notwendigen Bedingungen für die Entstehung von Gehirnwellen“, erklärt Tatjana Tchumatchenko. „Erstens müssen die einzelnen hemmenden Neuronen eine unterschwellige Resonanz des Membranpotenzials bei der gewünschten Netzwerkoszillationsfrequenz aufweisen- das heißt sie müssten im Takt schwingen ohne, dass ihre elektrische Impulse diese Schwingung notwendigerweise offenbaren.“ Aber auch die Art der synaptischen Konnektivität ist essenziell denn Oszillationen treten nur dann auf, wenn die hemmenden Neuronen durch elektrische Synapsen ausreichender Verbindungstärke vernetzt sind.

In der Hirnrinde waren elektrischen Synapsen bislang kaum bekannt, in den letzten Jahren haben Forscher diese jedoch in mehr und mehr Gehirnarealen gefunden. Es sind allerdings nur hemmende Neuronen elektrisch gekoppelt, zwischen erregenden Nervenzellen wurde diese Art der Signalübertragung bisher noch nicht beobachtet.

Die hemmenden Neuronen und deren synaptische Verbindungen besitzen den Wissenschaftlern zufolge also eine zentrale Rolle: „Erstaunlicherweise zeigt unser Modell, dass allein die Eigenschaften der hemmenden Neuronen und deren Verbindungen die Oszillationsfrequenz des gesamten Netzwerks bestimmen. Und das, obwohl die Mehrheit der Nervenzellen erregend sind“, sagt Claudia Clopath. Sie fügt hinzu: „Natürlich haben die Eigenschaften der erregenden Neuronen Einfluss auf die Dynamik des Netzwerks, allerdings bestimmen diese bei den Gehirnwellen nur die Amplitude nicht aber die Frequenz der Schwingung“.

Die gewonnen Erkenntnisse werden das Verständnis komplexer Systeme vertiefen und dabei helfen, den Zusammenhang zwischen einzelnen Netzwerkeinheiten und der entstehenden Netzwerkdynamik zu erklären. Des Weiteren können die Forschungsergebnisse dazu beitragen, zielgenauere Wirkstoffe zu entwickeln, welche die Erfolgschancen psychiatrischer Behandlungen verbessern.

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