Zuckerwettstreit im Maisfeld

Eulenfalterraupen binden ein Zuckermolekül verkehrt herum an einen Abwehrstoff von Maispflanzen und machen das Insektengift so unschädlich

25. September 2014

Pflanzen und Insekten speichern Zuckerverbindungen als Energievorräte. Zucker können jedoch auch Teil eines tödlichen Wettkampfs zwischen der Pflanze und ihrem Schädling werden, wie Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena jetzt herausgefunden haben. Viele Getreidearten und Gräser binden Zucker an ihre Abwehrstoffe, sogenannte Benzoxazinoide, und schützen sich so davor, von ihren eigenen Pflanzenschutzmitteln vergiftet zu werden. Sobald aber ein Insekt die Pflanze anknabbert, spaltet ein Enzym aus der Pflanze den Zucker ab und aktiviert das Gift. Die Max-Planck-Wissenschaftler haben nun entschlüsselt, warum diese Pflanzenabwehr bei Raupen der Gattung Spodoptera versagt. Die Forscher fanden im Kot der Insektenlarven, die als Maisschädlinge erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen, Moleküle der ursprünglichen pflanzlichen Verbindung, die sich lediglich durch eine räumlich anders angebundene Zuckergruppe unterscheiden. Im Gegensatz zum Pflanzenabwehrstoff kann die neue Verbindung nicht mehr enzymatisch in ein Gift umgewandelt werden. Die verkehrte Wiederanbindung des Zuckers stellt somit eine sehr einfache, aber effektive Entgiftungsstrategie dar, mit deren Hilfe Eulenfalterraupen als Landwirtschaftsschädlinge so erfolgreich werden konnten.

Viele Pflanzen verteidigen sich gegen Insektenfraß, indem sie Gifte oder Abwehrstoffe produzieren. Allerdings haben sich viele Insekten an die pflanzliche Verteidigung angepasst und können sich ungehindert an vermeintlich giftigen Pflanzenblättern gütlich tun. Die Überwindung der Pflanzenabwehr kann darin bestehen, dass die schädlichen Stoffe aus der Pflanzennahrung vom Insekt rasch ausgeschieden, im Gewebe eingelagert oder entgiftet werden. Durch solche Anpassungen ist im Laufe der Evolution nicht nur die enorme Insektenvielfalt entstanden, es haben sich auch viele auf bestimmte Pflanzen spezialisierte Schädlingsarten entwickelt, die jedes Jahr die landwirtschaftliche Produktion gefährden.

Als weltweit großflächig angebautes Getreide wird Mais von vielen Schädlingen bedroht, darunter auch Raupen der Gattung Spodoptera. In Nord- und Südamerika ist der Heerwurm Spodoptera frugiperda ein wichtiger Maisschädling, der beträchtlichen Schaden verursacht. Mais wehrt sich wie viele andere Gräser und Getreide mit Chemie. Die Blätter junger Maispflanzen enthalten große Mengen eines Benzoxazinoids namens (2R)-DIMBOA-Glycosid. Die Pflanzen produzieren zusätzlich ein Enzym, das im Raupendarm aktiv wird und dort das DIMBOA-Glycosid spaltet und den Zucker freisetzt. Das freie DIMBOA-Molekül, das bei der Spaltung entsteht, hat auf viele Schädlinge eine toxische Wirkung: Die Schädlinge sterben oder hören auf zu wachsen. Der Heerwurm ist jedoch immun gegen dieses Gift.

Forscher um Daniel Giddings Vassão und Jonathan Gershenzon aus der Abteilung Biochemie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie sind jetzt einer bisher unbekannten Entgiftungsstrategie dieser Schädlinge auf die Schliche gekommen. Raupen des Heerwurms und zwei weiterer Spodoptera-Arten haben in ihrem Darm ein Enzym, das die Wiederanbindung des Zuckers an das giftige DIMBOA-Molekül katalysiert. Um eine erneute Abspaltung auszuschließen, wird der Zuckerrest allerdings umgedreht gebunden. Dies fanden die Wissenschaftler bei der chemischen Analyse von Raupenkot heraus. Modernste und hochsensible Verfahren der Massenspektrometrie und Kernresonanzspektroskopie ergaben, dass das Benzoxazinoid aus dem Raupenkot nicht mehr der Substanz aus den Maisblättern entsprach und es sich vielmehr um eine Art Spiegelbild handelt (nunmehr (2S)-DIMBOA-Glycosid genannt).

„Wir waren überrascht, dass der Unterschied lediglich in der geänderten dreidimensionalen Anbindung der Zuckergruppe besteht. Entscheidend ist dabei, dass das pflanzliche Enzym den Zucker nicht mehr abspalten kann und somit das giftige DIMBOA auch nicht mehr zum Einsatz kommt. Die Eleganz dieses Mechanismus besteht in seiner Einfachheit, aber er schützt die Raupen davor, vergiftet zu werden“, fasst Felipe Wouters, der als Doktorand am Institut die Untersuchungen durchgeführt hat, die Ergebnisse zusammen.

In Brasilien vernichtete der Heerwurm  vor dem Anbau von Bt-Mais große Teile der Maisernte. Wie die Nachrichtenagentur Reuters diesen Sommer berichtete, beobachten brasilianische Farmer jedoch eine zunehmende Resistenz des Schädlings gegenüber Bt, ein Grund mehr, das Verständnis ihrer natürlichen Anpassungsmechanismen an die pflanzliche Abwehr zu vertiefen. „Wenn wir mehr darüber erfahren, wie ein Darm-Enzym aus dem Heerwurm einen so gefährlichen Schädling gemacht hat, können wir dieses Wissen vielleicht zu unserem Vorteil einsetzen, indem wir beispielsweise das Enzym deaktivieren und die natürliche Maisabwehr vollständig wiederherstellen“, meint Daniel Giddings Vassão.

Die Wissenschaftler wollen jetzt die Enzyme und die beteiligten Gene identifizieren, die für den Entgiftungsprozess in Spodoptera-Raupen verantwortlich sind. Darüber hinaus werden sie nach ähnlichen Enzymen in verwandten Arten suchen und diese miteinander vergleichen. DIMBOA ist nur eine Verbindung aus einer Vielzahl toxischer Benzoxazinoide, die in Gräsern zu finden sind. Ziel der Forschung ist ein umfassendes Bild des Benzoxazinoid-Stoffwechsels in Insekten, das dazu beitragen soll, bessere Strategien zu entwickeln, um Ernteschädlinge in Schach zu halten.

AO/HR

Zur Redakteursansicht