Ordnung ist das halbe (Mutanten-)Leben

Regelmäßige Netzwerke fördern die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Mutationen

1. September 2014

Manche Abläufe in der Natur sind für eine exakte Beschreibung zu komplex. Der Wissenschaftler erstellt in solchen Fällen gerne ein Modell, also eine abstrakte Abbildung der Wirklichkeit, die komplizierte Vorgänge auf ihre wesentlichen Bestandteile reduziert. Und manchmal reicht auch das noch nicht aus, weshalb Forscher ihre Modelle weiter abstrahieren und modifizieren. Laura Hindersin und Arne Traulsen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön haben jetzt ein Modell untersucht, das die Ausbreitung und Festsetzung eines genetisch veränderten Individuums in einer Population von herkömmlichen Artgenossen auf einem Netzwerk beschreibt. Dabei betrachteten sie, ob verschiedene Abwandlungen des Netzwerks die Überlebenschancen der Mutation verbessern oder verschlechtern könnten.

Wer besser vernetzt ist, kann sich auch besser einbringen – oder? Was vielleicht in einer Bürohierarchie zutreffen mag, ist bei Tierpopulationen nicht so einfach anzuwenden: Das haben die Max-Planck-Forscher aus Plön jetzt anhand von Modellberechnungen herausgefunden. „Wir wollten ursprünglich beweisen“, berichtet Laura Hindersin, „dass es eine genetische Veränderung stets schwerer hat, sich durchzusetzen, wenn eine Population schlechter vernetzt ist.“ Die Wissenschaftler stellten aber schnell fest: Manchmal kann eine bessere Vernetzung unter den Tieren auch dazu führen, dass es die Mutation schwerer hat. Wie ist das zu erklären?

Das Modell, das den Forschungen zugrunde lag, nimmt an, dass jedes Individuum einen Lebensraum besitzt und sich von dort ausbreiten kann. Zur Veranschaulichung kann man sich beispielsweise vier ringförmig angeordnete Seen vorstellen, die mit Wasserläufen verbunden sind. In jedem der Seen lebt eine bestimmte Fischart. Wenn sich ein Fisch fortpflanzt, wandert ein identischer Nachkomme in eines der beiden benachbarten Gewässer aus und verdrängt den dort bisher ansässigen Bewohner. Den See, der im Ring genau gegenüber liegt, kann der Jungfisch nicht auf direktem Wege erreichen. Dies ändert sich, wenn durch die Mitte des Seenrings ein zusätzlicher Wasserlauf gezogen wird. Die Fischpopulation wird „vernetzter“ und die Möglichkeiten zur Ausbreitung steigen.

Die Forscher interessierte nun, wie schnell sich eine genetische Veränderung in verschiedenen Netzwerken von Lebensräumen ausbreitet. Dabei gingen sie davon aus, dass das Individuum irgendwann die nicht veränderten Artgenossen komplett vertreiben kann.  Die entscheidende Frage war, wie lange es wohl dafür brauchen würde. Die Forscher stellten fest: Es hängt in der Hauptsache nicht von der Anzahl der Verbindungen im Netzwerk ab, sondern von deren genauer Anordnung.

Im Seenbeispiel bedeutet das: Ein Fisch mit einer Mutation profitiert nicht unbedingt davon, wenn er die anderen Seen besser erreichen kann. Denn je leichter er sich ausbreiten kann, desto größer ist auch die Gefahr, dass er versehentlich einen Artgenossen mit derselben genetischen Veränderung aus dessen See verdrängt. Haben sich die mutierten Fische in drei der vier Seen ausgebreitet, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich gegenseitig verdrängen und ersetzen als  den verbliebenen, genetisch „normalen“ Rivalen zu vertreiben.

Die Forscher fanden heraus, dass Netzwerke, bei denen an jeden Lebensraum die gleiche Anzahl an Verbindungen anschließt, die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Mutation am stärksten fördern. Das ist bei den ringförmig angeordneten Seen der Fall, da jedem Fisch sich die beiden direkten Nachbargewässer zur Ausbreitung anbieten. Wird das System unregelmäßig, schließen also an manche Seen drei, an andere Seen vielleicht nur ein Wasserlauf an, hat der Mutant es im Allgemeinen schwerer, sich zu behaupten.

Die maximale Ausbreitungsgeschwindigkeit verspricht der Erwartung entsprechend zwar die Variante, in der jeder Lebensraum mit jedem verbunden ist. Der wesentliche Faktor dabei ist aber nicht die große Anzahl der Verbindungen, sondern deren Regelmäßigkeit – zumindest in den einfachsten Modellen, bei denen jeder Lebensraum genau ein Individuum beherbergt. Und unter dem Strich lässt sich sagen: Nicht die Masse an Verknüpfungen in einem Netzwerk macht also den entscheidenden Unterschied, es ist (wie vieles im Leben) eine Frage der Ordnung.

MMG/HR

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