Zülch-Preis 2014 – Gewichtige Auszeichnung für Mediziner

Stephen O’Rahilly und Jeffrey M. Friedman erforschen, wie Übergewicht entsteht

1. September 2014

Übergewicht steckt zum großen Teil in den Genen – dies ist die überraschende Erkenntnis biomedizinischer Forschung der letzten Jahre. Die Gertrud Reemtsma Stiftung ehrt denn auch zwei Mediziner mit dem K. J. Zülch-Preis 2014, die sich besonders um die Erforschung von Stoffwechselerkrankungen verdient gemacht haben. Jeffrey M. Friedman hat das Hormon Leptin entdeckt und herausgefunden, dass es unter anderem die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht maßgeblich beeinflusst. Sir Stephen O’Rahilly hat erkannt, dass Übergewicht eine erbliche Erkrankung sein kann, und verschiedene Genveränderungen als Ursache identifiziert. Mit ihren Erkenntnissen haben beide dazu beigetragen, dass Übergewicht und Fettleibigkeit heute nicht mehr als Folge von Willensschwäche und mangelnder Disziplin stigmatisiert werden. Der Preis wird am 12. September 2014 in Köln verliehen.

Die Zahl übergewichtiger Menschen nimmt weltweit so dramatisch zu, dass  Experten inzwischen sogar von einer Epidemie sprechen. Über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland ist heute übergewichtig, fast ein Viertel gilt als fettleibig. Auch in vielen Schwellenländern nimmt der Anteil übergewichtiger Menschen dramatisch zu. Dafür wird vielfach der moderne Lebensstil mit seiner kalorienreichen und übermäßigen Ernährung verantwortlich gemacht. Dies erklärt jedoch nicht, warum manche Menschen trotzdem schlank bleiben und andere so stark zunehmen. So wichtig Ernährung und Bewegung für das Körpergewicht auch sind – Veränderungen im Erbgut können folglich ebenfalls die Ursache von Übergewicht sein.

Jeffrey M. Friedman hat die Rolle des Leptins intensiv erforscht und herausgefunden, dass es die Schwankungen der Energiereserven in engen Grenzen hält. Leptin wird von den Fettzellen des Körpers gebildet, die das Hormon an die Blutbahn abgeben. Die Menge spiegelt dabei die zur Verfügung stehenden Fettreserven wider: Bei einem hohen Fettanteil wird bis zu 100-mal mehr Leptin ausgeschüttet, als Folge davon geht auch das Körpergewicht zurück. Verabreichten die Forscher Mäusen, denen das Leptin-Gen fehlt, das Hormon, verloren die Tiere ihren Appetit, die Blutzucker-Werte und das Körpergewicht sanken.

Ziel des Leptins ist das Gehirn, genauer der Hypothalamus. Dort hat Friedman Nervenzellen entdeckt, die mit einem Rezeptor für das Leptin ausgestattet sind. Bindet das Hormon an diese Rezeptoren, verändert es die Verschaltung von Nervenzellen, die das Essverhalten steuern, und verringert den Genuss, den das Essen hervorruft.

Dank der Forschung von Sir Stephen O’Rahilly und seiner Kollegen kennen wir heute eine Reihe von erblichen Stoffwechselerkrankungen, die auf der Veränderung einzelner Gene – manchmal nur eines einzelnen – beruhen. Übergewicht und Fettleibigkeit können demnach Folge einer einzigen Genveränderung sein. O’Rahilly hat beispielsweise nachgewiesen, dass Mutationen im Leptin- und dem Melanocortin-4-Rezeptor-Gen Fettleibigkeit hervorrufen können.

Viele dieser Gene sind in den Nervenzellen des Gehirns aktiv und regulieren dort deren Aktivität. Auf diese Weise steuern sie beispielsweise das Essverhalten. Übergewicht ist also nach heutiger Auffassung häufig eine erbliche Erkrankung, die von äußeren Faktoren wie Ernährung und Bewegung lediglich beeinflusst wird – eine Erkenntnis zu der O’Rahilly maßgeblich beigetragen hat.

Friedmans Entdeckung des Leptin-Gens in der Maus und O’Rahillys Erkenntnisse zur Bedeutung für den menschlichen Körper gelten manchen als wichtigste Meilensteine in der Stoffwechselforschung seit der Entdeckung des Insulins. Sie hat inzwischen auch zu neuen Therapien geführt: Leptin wird heute beispielsweise zur Behandlung von Patienten mit Lipodystrophie eingesetzt – eine Erkrankung, die zu schwerem Diabetes führen kann.

Jeffrey M. Friedman ist in Orlando, Florida, geboren und hat in Albany im Bundesstaat New York Medizin studiert. Er forscht und lehrt an der Rockefeller Universität und dem Howard Hughes Medical Institute in New York. Stephen O’Rahilly ist ebenfalls Mediziner. Er stammt aus Irland und hat an der National University of Ireland in Dublin studiert. Seit 2002 ist er Professor für Klinische Biochemie und Medizin an der Universität Cambridge, Großbritannien, und hat darüber hinaus verschiedene Forschungseinrichtungen am dortigen Addenbrooke’s Hospital geleitet.

Die Verleihung des K. J. Zülch-Preises 2014 findet am 12. September von 10:00 bis 12:00 Uhr im Hansasaal des Historischen Rathauses zu Köln statt. Im Anschluss an die Laudatio von Jens Brüning vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung  in Köln berichtet Jeffrey M. Friedman über die Rolle des Leptins für die Entstehung von Übergewicht. Die Laudatio auf Stephen O’Rahilly hält Matthias H. Tschöp vom Helmholtz Zentrum München. Der Preisträger spricht anschließend über Übergewicht als erbliche Erkrankung des Energiehaushalts.

HR

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