Veränderte Inselrinde im Gehirn autistischer Mäuse

Forscher entdecken Nervenzell-Schaltkreise, die eine Rolle bei Autismus spielen könnten

31. Juli 2014

In der Inselrinde des Gehirns werden Emotionen, Rückmeldungen der Sinnesorgane und kognitive Informationen miteinander verflochten. Kein Wunder, dass Veränderungen der Inselrinde mit einer Reihe von psychiatrischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Suchtkrankheiten und Autismus in Verbindung gebracht werden. Wissenschaftler der Harvard Universität und des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried bei München beschreiben nun deutliche Veränderungen in der Inselrinde von Mäusen mit Autismus-Symptomen. Das Verhältnis von hemmenden und erregenden Kontakten war aus dem Gleichgewicht geraten – es konnte jedoch medikamentös wieder hergestellt werden. Die Ergebnisse könnten für die Entwicklung verbesserter Diagnose- und Therapieansätze hilfreich sein.

Autismus ist eine angeborene Störung der Informationsverarbeitung des Gehirns. Die Diagnose erfolgt derzeit ausschließlich über die für die Krankheit typischen Veränderungen im Verhalten: Störungen der Sprache, stereotype Verhaltensweisen und Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion. Welche neurologischen Veränderungen diesen Symptomen zugrunde liegen, bleibt unbekannt. Die Entwicklung neuer und effektiver Therapeutika ist somit äußerst schwierig.  

Die zellulären Grundlagen können natürlich nicht im Gehirn autistischer Patienten untersucht werden. Um die Krankheit besser zu verstehen, haben Wissenschaftler daher verschiedene Mausmodelle entwickelt, die die für Autismus typischen Verhaltensstörungen zeigen.

Nadine Gogolla und ihre Kollegen im Labor von Takao Hensch an der Harvard Universität haben nun in den Mausmodellen nach neurologischen Gemeinsamkeiten gesucht. Dabei konzentrierten sie sich auf die Inselrinde, einen Teil der Großhirnrinde, der eine wichtige Rolle bei sozialen, emotionalen und kognitiven Funktionen spielt. "Wir wollten wissen, ob es Unterschiede in der Inselrinde autistischer und gesunder Mäuse gibt", berichtet Nadine Gogolla, die seit Januar eine Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried leitet.

Wie die Forscher nun berichten, reagiert eine bestimmte Inselrinden-Region im gesunden Gehirn stärker, wenn Informationen von zwei Sinnesorangen gleichzeitig eintreffen. Diese Signale verstärken sich gegenseitig. "Wenn wir zum Beispiel eine Rose sehen und gleichzeitig riechen, hinterlässt das einen stärkeren Eindruck, als wenn wir sie nur sehen oder riechen", erklärt Nadine Gogolla.

Diese Fähigkeit war in allen untersuchten Mausmodellen einheitlich gestört. So reagierte die Inselrinde autistischer Mäuse auf zwei kombinierte Reize genauso wie auf die einzelnen Reize. Interessanterweise war es meist so, dass schon ein einzelner Sinneseindruck die Inselrinde der autistischen Mäuse so stark aktivierte, dass die Kombination von mehreren Sinneseindrücken keine zusätzliche Information liefern konnte. Dies erinnert an die oft beschriebene Übersensibilität von Autisten auf einzelne Sinneswahrnehmungen.

Für eine optimale Verarbeitung im Gehirn ist nicht nur die Weitergabe von Informationen, sondern auch das gezielte Hemmen des Informationsflusses wichtig. In dem nun identifizierten Bereich der Inselrinde war das Verhältnis zwischen hemmenden und erregenden Nervenzellkontakten aus dem Gleichgewicht gekommen. So fanden die Forscher in einem der Mausmodelle eine deutliche Verringerung hemmender Moleküle.

Um den Einfluss dieser Veränderung zu überprüfen, gaben sie den Mäusen das Medikament Diazepam, das auch unter dem Handelsnamen Valium bekannt ist. Diazepam fördert die Hemmung im Gehirn. Tatsächlich verbesserte sich darauf die Fähigkeit der Inselrinde verschiedene Reize zusammenzuführen – allerdings nur kurzzeitig. Weil das Gleichgewicht zwischen Aktivierung und Hemmung nach der Geburt im Gehirn eingestellt wird, gaben die Forscher Jungtieren über mehrere Tage in einem frühen Zeitfenster der Entwicklung Diazepam. Diese Behandlung war so effizient, dass die Inselrinde der so behandelten Mäuse selbst in erwachsenen Tieren, die lange keine Medikamente mehr erhalten hatten, wie in gesunden Tieren verschiedene Sinneseindrücke verarbeitete. Auch das stereotype Verhalten der Tiere wurde permanent stark gemindert.

Auch alle anderen untersuchten Mausmodelle zeigten Abweichungen in den hemmenden Nervenzellkontakten der Inselrinde. Allerdings waren die Abweichungen sehr unterschiedlich. Bei manchen war die Hemmung deutlich reduziert, bei anderen deutlich erhöht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Kontakten in der Inselrinde ein wichtiger neurobiologischer Aspekt bei der Entstehung von Autismus ist.

"Das Wiederherstellen dieses Gleichgewichts zwischen Hemmung und Aktivierung in der frühen Kindheit könnte daher ein wichtiger Therapieansatz sein", hofft Nadine Gogolla. "Das künstliche Steigern der Hemmung wie zum Beispiel mit Diazepam kann aber auch große Nachteile haben." So ruft dies bei gesunden Mäusen Störungen in der Inselrinde erst hervor, da es das delikate Gleichgewicht stört. Bei einer Therapie müssten die eingesetzten Medikamente und Dosierungen daher genauestens auf den Bedarf des jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Wie dieser Bedarf ermittelt werden kann, das müsste durch weitere Studien und spätere vorklinische Tests erforscht werden.  

SM/HR

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