Erpresser sind nur kurz erfolgreich

Ein spieltheoretisches Experiment zeigt, dass sich Menschen nur begrenzt ausbeuten lassen

29. Mai 2014

Die Netten sind nicht immer die Guten. Wer dieses Gefühl intuitiv schon immer hatte, kann sich durch eine kürzlich erschienene theoretische Studie bestätigt fühlen: Für das sogenannte Gefangenendilemma gibt es raffinierte Strategien, die den Gegenüber zur Kooperation drängen, nur um diese Kooperationsbereitschaft dann systematisch auszunützen. Aber wie erfolgreich sind solche ausbeuterischen Verhaltensweisen im realen Leben? Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön haben nun ein Experiment entwickelt, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Dabei zeigt sich, dass Erpresser nur kurzfristig Erfolg haben: Viele Menschen lassen sich nicht auf Dauer ausbeuten.

Das sogenannte Gefangenendilemma ist ein unter Spieltheoretikern beliebtes Experiment, mit dem sie menschliches Sozialverhalten untersuchen können. Dabei können zwei Mitspieler ohne Wissen des anderen sich entweder für Zusammenarbeit oder für egoistisches Verhalten entscheiden. Benehmen sich beide egoistisch, haben sie wenig davon. Wollen beide kooperieren, profitieren sie zusammen. Den größten Gewinn aber streicht der ein, der auf Egoismus setzt, wenn der andere kooperieren möchte.

Treffen die Spieler nur einmal aufeinander, ist Egoismus am erfolgreichsten. Da man sich jedoch im wahren Leben meist zweimal sieht, ist es realistischer, wenn die Paare mehrere Runden gegeneinander spielen. Nun schneidet Kooperation besser ab. Von allen bislang getesteten Spielstrategien war lange Zeit die sogenannte „win stay – loose shift“-Strategie am erfolgreichsten. Bei dieser kooperativen Strategie wiederholen die Spieler erfolgreiches Verhalten aus der Runde zuvor und wechseln nur, wenn das Verhalten zuvor nicht erfolgreich war. Seit 20 Jahren gilt deshalb unter Spieltheoretikern die Maxime: Ein unfairer Spieler kann nicht gewinnen, Kooperation ist Egoismus überlegen. Im wirklichen Leben sieht dies jedoch oft anders aus.

Kürzlich entdeckten amerikanische Wissenschaftler allerdings eine noch erfolgreichere, moralisch aber verwerfliche Strategie. Dabei kooperiert ein Spieler zwar mit seinem Mitspieler, aber nur, um im richtigen Moment den eigenen Vorteil zu suchen. „Ein solcher Spieler kooperiert ganz bewusst gelegentlich und verleitet sein Gegenüber dadurch, häufiger zu kooperieren. Er zwingt ihn förmlich zur Zusammenarbeit, um dann gezielt zuzuschlagen und seinen eigenen Vorteil zu suchen“, sagt Christian Hilbe, der inzwischen in Harvard forscht.

Zunächst nur ein Resultat theoretischer Berechnungen, haben die Max-Planck-Forscher diese erpresserischen Strategien nun einem Praxistest unterzogen. In dem Experiment der Plöner Wissenschaftler spielten Probanden das Gefangenendilemma über 60 Runden gegen einen unbekannten Mitspieler – nicht wissend, dass es sich dabei um ein Computerprogramm handelte, das verschiedenen Spielstrategien folgte.

Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass ein Spieler, der die Kooperationsbereitschaft des anderen ausnützt, zunächst tatsächlich viel erfolgreicher ist. „Ein solcher Spieler füttert den anderen regelrecht an und sahnt dann ab“, so Hilbe. Und das perfide daran: Der Mitspieler muss darauf eingehen und kooperieren, um selbst zumindest ein wenig zu profitieren. „Es ist regelrecht Erpressung: Man wird zu immer mehr Kooperation gezwungen, wenn man seinen Gewinn auch nur ein bisschen steigern will“, erklärt Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie. „Viele Probanden in unseren Experimenten waren extrem frustriert nach dieser Erfahrung und entwickelten regelrechte Hassgefühle auf den ihnen unbekannten Mitspieler. Sie wussten ja nicht, dass ihr Gegner ein Computer war.“

Das Vorgehen des Erpressers ist darauf angelegt, gerade so viel zu kooperieren, dass der Mitspieler nicht mit völliger Verweigerung reagiert. Früher oder später bemerken aber die meisten die böse Absicht und hören auf zu kooperieren. Sie verzichten damit auf einen kleinen Zugewinn, wodurch dem Erpresser ein großer Gewinn entgeht. Er wird bestraft, was in der Realität wohl zum Einlenken führen dürfte - allerdings nicht bei der stupiden Computerstrategie.

Auf lange Sicht schaden sich Erpresser dadurch selbst: Über alle Runden des Experiments hinweg gerechnet erzielten erpresserische Strategien einen relativ geringen Gewinn. Stattdessen ist Großzügigkeit wesentlich erfolgreicher. Versuchte der virtuelle Spieler nicht, seinen menschlichen Mitspieler übers Ohr zu hauen, sondern den Erfolg zu gönnen, dann führte das letztendlich auch für den Computer zu höheren Gewinnen. „ Wir haben wohl schon die richtigen Strategien parat, ausbeuterisches Verhalten nach einiger Zeit zu erkennen und darauf zu reagieren“, so Milinski. „Wir verlieren zwar gegenüber Ausbeutern ein Stück weit, bestrafen sie dann aber, um sie zu disziplinieren. Man muss eben auch bei netten Leuten auf der Hut sein.“

HR

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