Käfer, die nach Senf schmecken

Kohl-Erdflöhe tricksen Pflanzen mit ihren eigenen Waffen aus

8. Mai 2014

Fast alle pflanzenfressenden Insekten haben sich auf bestimmte Wirtspflanzen spezialisiert und an deren chemische Abwehrstoffe angepasst. Die zu den Flohkäfern gehörenden Kohl-Erdflöhe sind bedeutende Schädlinge an Kohlgemüse, aber auch anderen Kreuzblütengewächsen wie Senf, Meerrettich oder Raps. Diese Pflanzen nutzen sogenannte Senföl-Bomben als Abwehrsystem gegen Fraßfeinde: Wird pflanzliches Gewebe verletzt, kommen Senfölglycoside und das Enzym Myrosinase miteinander in Kontakt und es entstehen giftige, die meisten Insekten abschreckende Abbauprodukte. Dieser Verteidigungsmechanismus ist bei Kohl-Erdflöhen jedoch wirkungslos, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena nachweisen konnten. Kohl-Erdflöhe können die Senfölglycoside der Pflanze im Körper einlagern, ohne dass das pflanzliche Enzym die Senföl-Bombe aktivieren. Vielmehr besitzt das Insekt sogar eine eigene Myrosinase und kann somit diese Abwehrstoffe für eigene Zwecke nutzen.

Pflanzen wehren sich durch ein vielfältiges Arsenal an chemischen Substanzen gegen ihre Fraßfeinde, sogenannten sekundären Pflanzenstoffen,. Viele Insekten haben sich jedoch im Gegenzug an die Abwehr einzelner Pflanzen angepasst und können daher problemlos an ihnen fressen. Das „Wettrüsten“ von Pflanzen und Insekten ist der Grund dafür, dass im Laufe der Koevolution dieser beiden Großmächte eine erstaunliche Vielfalt von Arten entstanden ist. Manche Insekten machen sich sogar Pflanzeninhaltsstoffe für die eigene Verteidigung zunutze, wie beispielsweise Blattkäfer oder Tabakschwärmer.

Franziska Beran, Leiterin der Forschungsgruppe „Sequestrierung und Detoxifizierung von Insekten“ am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, erforscht mit ihren Kollegen Kohl-Erdflöhe (Phyllotreta). Die kleinen Käfer, deren Name auf ihr erstaunliches Sprungvermögen zurückzuführen ist, fressen viele kleine Löcher in die noch jungen Blätter sämtlicher Kohlgemüsearten und sind deshalb bei Gärtnern und Landwirten gefürchtet.

Für die aktuelle Arbeit verglichen die Forscher die Senfölglycoside in den Wirtspflanzen mit den flüchtigen Abbauprodukten, die durch die Verletzungen des Pflanzengewebes entstehen. Dieses Zwei-Komponenten-System, bestehend aus Senfölglycosid (Glucosinolat) und dem spaltenden Enzym Myrosinase, wird auch als Senföl-Bombe bezeichnet, weil die Abbauprodukte giftig sind. Das Glucosinolat-Myrosinase-System ist normalerweise eine hochwirksame Verteidigungsstrategie von Kohlpflanzen gegen ihre Fraßfeinde. Die Untersuchungen ergaben, dass bei Befall durch die Käfer zwar flüchtige Abbauprodukte vorhanden sind, diese allerdings nicht von der Pflanze stammen können. Die Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass die Käfer selbst imstande sind, flüchtige Glucosinolat-Abbauprodukte abzugeben.

In weiteren Analysen konnten die Forscher nachweisen, dass Kohl-Erdflöhe Senfölglycoside in ihrem Körper anreichern können, und zwar bis zu einer Menge, die fast zwei Prozent ihres Körpergewichts entspricht. Obwohl Kohlpflanzen viele verschiedene Senfölglycoside enthalten, nehmen die Käfer nur ganz bestimmte dieser Substanzen auf. Erstaunt hat Franziska Beran jedoch vor allem, dass die Insekten eine eigene Myrosinase besitzen: „Die Käfer haben ihr eigenes aktivierendes Enzym entwickelt, welches auch spezifisch die Senfölglycoside abbaut, die sie angereichert haben.“

Die Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Kohl-Erdflöhe nicht nur die Senföl-Bombe ihrer Wirtspflanze unbeschadet überstehen, sondern die selektiv angereicherten Senfölglycoside für eigene Zwecke nutzen können. Von Blattläusen ist eine solche Vorgehensweise bereits bekannt. Im Gegensatz zu Blattläusen, die Pflanzensaft aus dem Blatt saugen und dabei einzelne Zellen anstechen, sind Kohl-Erdflöhe jedoch kauende Insekten, die Pflanzengewebe verletzen und damit eigentlich die pflanzliche Senföl-Bombe aktivieren müssten. Die Wissenschaftler rätseln bislang noch, wie die Käfer intakte Senfölglycoside aufnehmen können und wodurch die pflanzliche Myrosinase möglicherweise außer Kraft gesetzt wird.

Sie wollen nun klären, wo die Käfer die Senfölglycoside speichern, wie sie ihre eigene Senföl-Bombe mit der Käfer-Myrosinase kontrollieren und warum sie Glucosinolat-Abbauprodukte bilden können, ohne dabei selbst vergiftet zu werden. Spannend ist insbesondere die Frage, warum die Käfer die Senfölglycoside aufnehmen und deren Abbau mit einem eigenen Enzym steuern: „Auf der einen Seite könnten entweder die Senfölglycoside selbst oder deren Abbauprodukte eine Rolle bei der Kommunikation mit Artgenossen spielen. Andererseits könnten sie auch eine wichtige Funktion bei der Verteidigung gegen eigene Fraßfeinde haben“, vermutet Franziska Beran. Sie denkt dabei auch an die Käferlarven, die im Boden leben und an den Wurzeln fressen. Dort sind sie einer Reihe von Feinden ausgesetzt, sodass eine gute chemische Verteidigung von Vorteil sein kann.

Welche ökologische Bedeutung die Anreicherung von Senfölglycosiden in diesem Schädling hat, sollen nun auch Verhaltensstudien mit den Käfern klären. Ein grundlegendes Verständnis der Anpassung von Schadinsekten an die chemische Verteidigung von Pflanzen soll dazu beitragen, das immer wieder vorkommende massenhafte Auftreten von Schädlingen in der Landwirtschaft besser zu verstehen und zu kontrollieren.

AO/FB/HR

Zur Redakteursansicht