Freundschaft geht durch den Magen

Schimpansen, die ihre Nahrung mit anderen teilen, haben mehr Oxytocin-Hormon im Urin

15. Januar 2014

Soziale Beziehungen tragen maßgeblich zum biologischen Erfolg des Menschen bei. Über ihre Entstehung und die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen ist jedoch wenig bekannt. Das Hormon Oxytocin spielt dabei aber eine Schlüsselrolle. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben die Oxytocin-Werte im Urin frei lebender Schimpansen gemessen. Die Hormonkonzentration ist nach dem Teilen von Nahrung bei Spender und Empfänger höher als nach einer Nahrungsaufnahme in Gesellschaft, bei der nicht geteilt wurde. Der Oxytocinspiegel war sogar höher als nach der gegenseitigen Fellpflege, was darauf hindeutet, dass das Teilen von Nahrung für den Auf- und Ausbau sozialer Beziehungen sogar noch wichtiger sein könnte. Den Forschern zufolge sind beim Futterteilen möglicherweise dieselben neurobiologischen Mechanismen beteiligt, die die Mutter-Kind-Bindung während des Stillens bilden und fördern. Nahrung mit anderen zu teilen könnte also kooperative Beziehungen unter nicht miteinander verwandten erwachsenen Schimpansen sogar erst auslösen.

Menschen und einige andere Säugetiere bauen zu nicht verwandten Erwachsenen kooperative Beziehungen auf, die mehrere Monate oder Jahre dauern können. Aktuellen Studien zufolge ist daran das Hormon Oxytocin beteiligt, das die Mutter-Kind-Bindung herstellt und aufrechterhält. So steigt bei Schimpansen nach der gegenseitigen Fellpflege zwischen Kooperationspartnern der Oxytocinspiegel, egal ob diese miteinander verwandt sind oder nicht.

Um herauszufinden, ob es zwischen dem Teilen von Futter und der Ausschüttung des Hormons Oxytocin bei unseren nächsten Verwandten einen Zusammenhang gibt, haben Roman Wittig und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie 79 Urinproben von 26 frei lebenden Schimpansen aus dem Budongo Forest in Uganda gesammelt und analysiert. Die Forscher fingen die Proben innerhalb der ersten Stunde nach dem beobachteten Verhalten (Futter teilen oder Futter essen ohne zu teilen) auf, denn nur innerhalb dieses Zeitfensters ist das Oxytocin im Urin nachweisbar. Das Ergebnis:  Der Oxytocinspiegel im Urin von Schimpansen, die mit anderen Gruppenmitgliedern Futter geteilt hatten, war wesentlich höher als bei denen, die, obwohl in Gesellschaft, Essen nicht teilten. „Dabei spielte es keine Rolle, wer Futter gegeben und empfangen hat oder ob die Tiere miteinander verwandt waren oder nicht. Auch ob sie Kooperationspartner waren oder nicht oder ob sie Fleisch oder anderes Futter miteinander teilten, hatte keinen Einfluss auf die Oxytocinwerte”, sagt Wittig.

Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass der Oxytocinspiegel nach dem Teilen von Nahrung sogar noch höher war als nach der gegenseitigen Fellpflege, einem häufigen kooperativen Verhalten unter Schimpansen. Das könnte bedeuten, dass das Teilen von Futter einen noch stärkeren positiven Effekt auf den Aufbau und Erhalt von sozialen Bindungen hat als die Fellpflege. „Futter mit anderen zu teilen könnte ein Schlüsselverhalten für den Aufbau sozialer Beziehungen unter Schimpansen sein“, sagt Wittig. „Da es für Spender und Empfänger gleichermaßen von Vorteil ist, ist dieses Verhalten möglicherweise sogar ein Auslöser oder ein Anzeichen für den Beginn einer kooperativen Beziehung.“

Die Forscher vermuten, dass das Teilen von Nahrung möglicherweise  neurobiologische Mechanismen aktiviert, die ursprünglich der Festigung der Mutter-Kind-Bindung während des Stillens dienten. „Zunächst entstand dieser Mechanismus, um die Mutter-Kind-Bindung über das Abstillen hinaus zu festigen”, sagt Wittig. „Die Funktion, kooperative Beziehungen zwischen nicht miteinander verwandten Individuen aufzubauen und zu erhalten, könnte dann später hinzugekommen sein.“

Die lateinischen Wurzeln des Wortes Kumpan (“com=mit”, “panis=Brot”) deuten unter Umständen auf einen ähnlichen Mechanismus beim Aufbau von Freundschaften beim Menschen hin. Ob der Oxytocinspiegel beim Menschen nach dem Teilen einer Mahlzeit tatsächlich höher ausfällt als beim „alleine Essen“, wird Gegenstand zukünftiger Studien sein.

SJ, RW/HR

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