Rechnen mit Kohlenstoff

Computer und Smartphones, die sich rollen und falten lassen, Lampen, die als Folien auf Wände geklebt werden, und billige Chips auf Verpackungen, die Details zu einem Produkt speichern – das sind einige der Anwendungen, die molekulare Elektronik ermöglicht. Am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz optimieren Paul Blom und Dago de Leeuw die organischen Substanzen für diese Technik und entwickeln kostengünstige, flexible und druckbare elektronische Bauteile.

Text: Peter Hergersberg

Der Zufall steckt hinter so manchem wissenschaftlichen Durchbruch, aber oft genug mischt er auch schon mit, wenn ein Forscher sein Thema findet. Paul Blom verdankt diesen Zufall einer ungewöhnlichen Gepflogenheit seines ersten Arbeitgebers nach der Uni: Beim niederländischen Elektronikkonzern Philips sollte kein Forscher länger als sechs Jahre auf einem Gebiet arbeiten. Daher beschäftigte sich Blom irgendwann mit organischen Halbleitern und nicht mehr mit anorganischen Materialien, deren elektronische Eigenschaften er zuvor untersucht hatte.

„Wir sollten uns unvoreingenommen einem neuen Thema widmen“, sagt Blom, der seit gut einem Jahr Direktor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz ist. „Ich glaube, es ging aber auch darum, dass sich Wissenschaftler, die auf einem Gebiet unerfahren sind, besser kontrollieren lassen“, fügt er lachend hinzu. Inzwischen hat Philips diese Praxis geändert. Paul Blom aber gelangte ihretwegen vor 18 Jahren auf den Weg, den er anfangs recht unbelastet durch Vorwissen, inzwischen aber sehr erfolgreich verfolgt. Das Ziel seiner Forschung sind leichte, flexible Mikrochips, Leuchtdioden und Solarzellen, die sich mit einer Art Tintenstrahldrucker billig auf allen möglichen Materialien herstellen lassen. So wollen Wissenschaftler ebenso wie die einschlägigen Unternehmen der Elektronik weitere Anwendungen erschließen (siehe auch Max- PlanckForschung 2/2011, Seite 26): Bildschirme und Computer, die sich zusammenrollen oder falten lassen, Solarzellen auf Zelt und Rucksack, Kleidung mit Sensoren, die medizinische Daten aufzeichnen und bei Gefahr für die Gesundheit Alarm schlagen.

Einige dieser Ideen werden sich nur oder zumindest leichter verwirklichen lassen, weil sich organo-elektronische Bauteile nach einem Prinzip formen können, das sich bei der Fertigung von Chips – etwa aus Silicium – bisher nicht anwenden lässt: die Selbstorganisation. Dank ihrer ordnen sich entsprechend gebaute organische Moleküle von selbst zu den Strukturen, die für elektronische Bauteile gebraucht werden.

Das Design solcher Bauteile wird Paul Blom in Mainz ebenso beschäftigen wie der Ladungstransport in Molekülen – ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch Bloms bisherige wissenschaftliche Laufbahn zieht. Denn schon in seiner Doktorarbeit ging es um den Ladungstransport, damals in Galliumarsenid, seit seiner Zeit bei Philips dann in organischen Leuchtdioden und Solarzellen.

Da Ladungsträger durch organische Moleküle im Detail anders wandern als durch Silicium und Co, war das Gebiet, das Paul Blom betrat, Neuland – nicht nur für den Physiker. „Die Entwicklung von Materialien für die organische Elektronik beruht bisher weitgehend auf Versuch und Irrtum“, sagt er. Für die Suche nach organischen Halbleitern gab es lange nur ziemlich vage Anhaltspunkte, die Chemiker leiten konnten. Um die entsprechenden Moleküle gezielt zu entwerfen, fehlte das nötige Verständnis, wie in organischen Elektronikbauteilen im Detail Strom transportiert wird.

Löcher können schneller wandern als Elektronen

Für organische Leuchtdioden und Solarzellen hat Paul Blom diese Frage weitgehend beantwortet. „Einige Details sind noch offen, aber wir verstehen den Ladungstransport in diesen Bauteilen inzwischen sehr gut“, sagt der Max-Planck-Forscher.

Als Paul Blom noch an der Universität Groningen und am Holst Centre in Eindhoven arbeitete, untersuchte er systematisch, wovon die Mobilität der Ladungsträger in organischen Substanzen abhängt. Als Ladungsträger fließen zum einen die negativ geladenen Elektronen durch einen elektrischen Leiter oder Halbleiter, zum anderen die positiv geladenen Löcher, die bewegliche Elektronen an einem Atom oder Molekül hinterlassen. Denn auch Letztere können durch ein Material wandern – und das manchmal sogar schneller als die Elektronen, wie Paul Blom festgestellt hat.

In Leuchtdioden und in Solarzellen sind die beweglichen Elektronen und Löcher zudem die eigentlichen Funktionsträger: In Ersteren erzeugen sie Licht, in Letzteren fließen sie als elektrischer Strom ab. In beiden Fällen gilt als Voraussetzung, dass erst ein Energieschub die Elektronen beweglich macht, sodass die dann ebenfalls beweglichen Löcher zurückbleiben. Leuchtdioden und Solarzellen werden daher aus Halbleitern konstruiert, die diese Bedingung erfüllen. Eine molekulare Elektronik braucht organische Halbleiter; halbleitende Polymere haben sich da als Materialien der Wahl erwiesen.

In einer Leuchtdiode reißt eine elektrische Spannung die Elektronen aus ihrer angestammten Umgebung, in einer Solarzelle übernimmt das Sonnenlicht diese Aufgabe. In der Leuchtdiode sollen die Elektronen dann rasch ein passendes Loch finden. In dieses, aber nur in dieses, sollen sie hineinfallen und ihre überschüssige Energie dabei als Licht abgeben. In der Solarzelle darf genau das nicht passieren, stattdessen müssen die Ladungsträger möglichst schnell und vor allem möglichst zahlreich ins Stromnetz wandern.

Bei beiden Bauteilen kommt es also darauf an, wie beweglich die Ladungsträger sind, das heißt, wie stark der Strom ist, der, abhängig von einer äußeren Spannung, durch das Material fließt. In den halbleitenden Polymeren sind die Löcher schneller als die Elektronen, und daher tragen sie die Hauptlast des Ladungstransports. Und sie tragen daran recht schwer: Im Vergleich zu den Ladungen, die durch Silicium flitzen, kriechen sie geradezu durch Polymere, da sie es nur auf ein Milliardstel von deren Beweglichkeit bringen. Wie Paul Blom und seine Mitarbeiter herausgefunden haben, werden die Löcher und Elektronen immerhin desto mobiler, je mehr es von ihnen gibt.

Wenn die Zahl der Ladungsträger entscheidend ist, müssen Chemiker also dafür sorgen, dass sich in einem halbleitenden Polymer möglichst viele von ihnen erzeugen lassen. Oder dass die Stromtransporter, die ein Material aufzubieten hat, nicht zum großen Teil an den falschen Stellen verschwinden. Doch genau das passiert in organischen Halbleitern viel zu oft. Denn eine Unregelmäßigkeit in einer Polymerkette wird für die Elektronen zur Falle. Darin verschwinden sie – wie ein Läufer in eine Grube plumpst, die sich plötzlich vor ihm auftut.

Da die Fehler in Polymeren den Ladungsfluss drosseln, beschäftigte Paul Blom sich nun näher mit den Defekten. „Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ladungsträger in allen leitfähigen Polymeren an derselben Art von Defekt gefangen werden“, sagt der Physiker. „Wir wissen aber noch nicht genau, was dieser Defekt ist.“ Infrage kommen etwa Wasser- oder Sauerstoffmoleküle, die an den Kettenmolekülen haften.

Der Verlust der Ladungen lässt sich verhindern

Aber auch wenn noch nicht klar ist, wo genau die Ladungsträger verloren gehen, kann Paul Blom Chemikern einen Hinweis geben, wie sich ihr Verschwinden verhindern lässt. Um den Kniff zu verstehen, hilft ein Blick auf die Gründe, warum Defekte den Ladungsträgern zur Falle werden: In Halbleitern transportieren nur Elektronen Strom, die zuvor mit Energie aufgeladen wurden. Da in der Natur alles zu einem möglichst energiearmen Zustand strebt, wollen die Teilchen die überschüssige Energie aber so schnell wie möglich wieder loswerden. Die Gelegenheit dazu bieten ihnen die Fehlstellen. Denn sie haben in ihrer elektronischen Ordnung noch Plätze frei, an denen die leitenden Elektronen beim Hineinfallen überschüssige Energie abgeben. Die Möglichkeit, sich überflüssiger Energie zu entledigen, will Paul Blom den Elektronen nehmen oder, besser gesagt, nehmen lassen: „Chemiker müssen für organische Leuchtdioden Polymere suchen, in denen die Energie der leitenden Zustände kleiner ist als die der freien Zustände an den Defekten“, sagt er. Dann würde die Falle quasi über den Elektronen hängen, und in solch eine Falle stolpert man eher selten.

Die Ladungsträger, die den Strom transportieren, nicht vorzeitig an Fehlstellen zu verlieren ist auch bei Molekülen für organische Solarzellen entscheidend. Schließlich will man mit den fotovoltaischen Elementen möglichst viele von ihnen als elektrischen Strom ernten. Wie effektiv die Elemente arbeiten, hängt also ebenfalls entscheidend von der Art und der Verteilung der Defekte ab.

„Wenn die beweglichen Ladungsträger vom Licht erzeugt wurden, legen sie im Mittel sechs Nanometer zurück, bevor sie auf einen Defekt stoßen“, erklärt Blom. Die Ladungsträger – Elektronen und die dazugehörenden Löcher – entstehen in langen Kettenmolekülen, wenn diese von Licht mit ausreichender Energie getroffen werden. Damit sie aus der Solarzelle herausfließen, müssen die Elektronen auf eine zweite Substanz springen, die man in organischen Solarzellen verwendet. Diese Moleküle ähneln den Laternen, die Kinder beim Martinsumzug vor sich hertragen: An einem stabförmigen Molekülteil hängt ein Buckyball, in dem die Struktur der Fünf- und Sechsecke aus Kohlenstoff dem Muster eines Fußballs älterer Machart ähnelt.

Nach sechs Nanometern gehen Elektronen verloren

„Für die Stromerzeugung stehen die Elektronen nur zur Verfügung, wenn sie einen Buckyball finden, ehe sie zu einem Defekt gelangen“, sagt Paul Blom. Dafür müssen die Moleküle, die mit Licht bewegliche Ladungsträger erzeugen, und diejenigen, die den Strom abtransportieren, in einer Solarzelle so gemischt sein, dass ein Elektron deutlich weniger als sechs Nanometer laufen muss, bevor es von einem Buckyball in Empfang genommen wird – andernfalls geht es wahrscheinlich in einer Fehlstelle verloren.

In welchem chemischen Baufehler die Ladungsträger verschwinden, die für die Arbeit von Leuchtdioden und Solarzellen nötig sind, werden Blom und seine Mitarbeiter am Mainzer Max-Planck-Institut künftig zu klären versuchen. Die dafür notwendigen Substanzen liefern ihnen die Chemiker aus der Abteilung von Klaus Müllen. Die theoretischen Studien, mit denen sich ihre Messungen erklären lassen, steuern Kurt Kremer und seine Mitarbeiter bei.

Erst aber brauchen die Forscher aus Bloms Gruppe die nötigen Laboratorien für ihre diffizilen Untersuchungen. Einen Reinraum etwa, in dem sie die Materialien möglichst sauber herstellen können, damit sie in die Bauteile keine zusätzlichen Defekte einbauen und dann nicht wissen, was sie eigentlich messen. Der Reinraum entsteht in einem Gebäudeteil, den Bloms Vorgänger nutzte und der inzwischen völlig entkernt ist. Übrig geblieben ist nur ein Rohbau, der etwa so hoch ist wie eine Turnhalle und ungefähr die Fläche eines Tennisfeldes einnimmt.

Paul Blom eilt durch das Labyrinth der Institutsgänge weiter in ein anderes Labor. Hier installieren Techniker eben drei Handschuhkästen, die das Format stattlicher Aquarien haben und durch Schleusen miteinander verbunden sind. Die Forscher können durch armlange Gummihandschuhe in der Glasfront in die luftdichten Kammern hineingreifen. So werden sie in einem der Kästen in einer Edelgas- oder Stickstoffatmosphäre luftempfindliche Substanzen zu elektronischen Bauteilen verarbeiten und in den beiden anderen Kästen deren Eigenschaften charakterisieren.

Die Mittel der Wahl, um Solarzellen, Leuchtdioden oder Chips aus organischen Halbleitern herzustellen, sind Metallbedampfungsanlagen und Spincoater. Erstere erzeugen die Kontakte, um die organischen Materialien zu Forschungszwecken mit der metallischen Welt heutiger Elektrik und Elektronik zu verbinden. Letztere verteilen Lösungen der organischen Substanzen völlig gleichmäßig auf einer rotierenden Scheibe.

Das eigentliche Arbeitspferd von Bloms Gruppe jedoch ist ein Stromspannungsmessgerät. Mit ihm charakterisieren die Forscher die physikalischen Eigenschaften winziger elektrischer Bauteile, vor allem untersuchen sie damit die Logistik der elektrischen Ladungen in den Strukturen. In einer Metallkammer von annähernd der Größe einer Tortenform kontaktieren die Wissenschaftler ihre Testbauteile mit nadelförmigen Elektroden, die an krakenartigen, beweglichen Armen befestigt sind. Damit messen sie etwa, wie viel Strom die Probenmaterialien – abhängig von der angelegten Spannung – passieren lassen.

Stromspannungsmesser, Spincoater und Metallbedampfungsanlagen stehen auch in den Laboren, in denen bereits die ersten Mitarbeiter Paul Bloms forschen, weil sie dafür weniger anspruchsvolle Bedingungen brauchen, als in einem Reinraum herrschen. Dago de Leeuw ist einer von ihnen. Er leitete das erste Projekt, das in der neuen Abteilung abgeschlossen wurde: die Entwicklung eines nichtflüchtigen Speichers aus organischen Ferroelektrika.

Nichtflüchtige Speicher bilden den Kern jeder Festplatte, sie vergessen ihren Speicherinhalt nicht, wenn der Computer abgeschaltet wird, lassen sich aber nicht beliebig dicht packen und nicht schnell umprogrammieren. Die flüchtigen Arbeitsspeicher erlauben dagegen eine hohe Packungsdichte und einen raschen Zugriff, wenn Computerprogramme Daten schnell brauchen. Sie behalten Information allerdings nur so lange im Gedächtnis, wie sie unter Strom stehen.

Ein raffiniertes Design für organische Speicher

Ferroelektrika vereinigen die Vorteile beider Materialien: Sie machen Daten schnell zugänglich und behalten sie auch ohne Strom in Erinnerung. Wie sich Ferromagnete, denen nichtflüchtige Speicher heute ihr gutes Gedächtnis verdanken, durch ein Magnetfeld dauerhaft umpolen lassen, so kann man Ferroelektrika mit einem elektrischen Feld zwischen der Null und der Eins eines Datenbits hin und her schalten. Derzeit untersuchen Materialwissenschaftler verschiedene solcher Materialien (siehe MaxPlanckForschung 2/2011, Seite 34). Organische Ferroelektrika stechen unter ihnen heraus, weil sie sich wie organische Halbleiter viel leichter und kostengünstiger zu den vielseitigen Speichern verarbeiten lassen, als das derzeit mit anorganischen Materialien gelingt. Denn auch aus Silicium und Co lassen sich schnell auszulesende, nichtflüchtige Datenspeicher herstellen, bisher aber nur in einer aufwendigen Prozedur mit vielen einzelnen Schritten.

Um nichtflüchtige Speicher auf einfachere Art aus organischen Ferroelektrika zu bauen, haben Dago de Leeuw und Paul Blom ein raffiniertes Design für einen solchen Speicher entworfen. Ihr Konzept könnte sich nicht zuletzt deshalb als Blaupause für Speicher mit breiter technischer Anwendung eignen, weil die Forscher eine denkbar einfache Route zu einem solchen Material entdeckt haben. Andere organische Ferroelektrika, mit denen die Wissenschaftler das Funktionsprinzip des nichtflüchtigen Speichers erstmals nachwiesen, sind entweder teuer oder explosiv – nicht die Eigenschaften, die einen Stoff für massenhafte Anwendung empfehlen.

„Es ist aber schon länger bekannt, dass das Polymer PDVF, das häufig für Membranen verwendet wird, einen ferroelektrischen Zustand einnehmen kann“, erklärt Dago de Leeuw. „Wir haben herausgefunden, wie es sich mithilfe eines elektrischen Feldes in diesen Zustand bringen lässt.“ Außerdem fand das Team einen Weg, das Material, das im üblichen Herstellungsverfahren raue Schichten bildet, zu dünnen, völlig ebenen
Filmen zu verarbeiten.

Mit diesem Kunststoff allein – mit vollem Namen heißt er Polyvinylidenfluorid – lassen sich aber noch keine praxistauglichen Speicher bauen. Denn sie behalten Information zwar gut im Gedächtnis, verraten sie jedoch nicht ohne Weiteres. „Deshalb haben wir das Material mit dem organischen Halbleiter P3HT kombiniert“, sagt de Leeuw. P3HT bezeichnen Chemiker auch als Poly(3-hexylthiophen-2,5-diyl). Diesen Stoff betten die Mainzer Forscher in eine Matrix aus PDVF ein – und zwar so, dass er feine Kanäle füllt, die eine dünne Schicht PDVF von oben nach unten durchziehen.

Das mit dem Halbleiter durchsetzte Ferroelektrikum packen die Wissenschaftler zwischen zwei dünne Elektroden: unten Silber und oben eine Mischung aus Aluminium und Lithiumfluorid. Dahinter steckt eine pfiffige
Idee: Ladungsträger können nur aus dem Silber in den Halbleiter eintreten, nicht jedoch aus der Kombination von Aluminium und Lithiumfluorid. In Letztere können sie aber hineinströmen. Die Halbleiter werden somit zu Dioden: elektrischen Einbahnstraßen.

Zum Ziel führen elektrische Einbahnstrassen

Wie gut ein Strom durch die Dioden fließt, hängt von der Polung des Ferroelektrikums ab, das die einzelnen Halbleiterkanäle ummantelt. So lässt sich mithilfe des Ferroelektrikums der Widerstand in den Poren schalten. Und genau darin besteht die Speicherfunktion: Ein hoher Widerstand steht für die Eins eines Datenbits, ein niedriger für die Null oder umgekehrt. Da die Polung des Ferroelektrikums selbst dann erhalten bleibt, wenn kein Strom fließt, gerät die Information auch nicht in Vergessenheit, wenn sie nicht ständig elektrisch aufgefrischt wird. Mit einer Spannung, die zu klein ist, um das Ferroelektrikum umzupolen, lässt sie sich zudem einfach auslesen.

Das funktioniert aber nur gut, weil Dago de Leeuw und Paul Blom auf die Idee der elektrischen Einbahnstraßen verfielen. „Diese Anordnung verhindert den elektrischen Crosstalk – ein Problem anderer Speicher, die mit dem elektrischen Widerstand arbeiten“, sagt de Leeuw. Der elektrische Crosstalk, zu Deutsch sinngemäß eine Art elektrisches Stimmengewirr, bewirkt, dass sich die Bits mit hohem elektrischem Widerstand nicht zuverlässig lesen lassen.

Das Problem ergibt sich, da heutige und erst recht künftige Elektronik in derart winzige Dimensionen vorstößt, dass die Kontakte der Speicher zur Außenwelt besonders platzsparend angeordnet werden müssen. Geschrieben und gelesen werden die Datenbits in den mehr oder weniger gut leitenden Kanälen daher über zwei Gitter paralleler Leiterbahnen, zwischen denen die Schicht des eigentlichen Speichermaterials liegt. Die Leiter des unteren und des oberen Gitters laufen dabei senkrecht zueinander und kreuzen sich jeweils an einem der stromdurchflossenen Kanäle. So lässt sich jeder Speicherkanal theoretisch mit einer Spannung ansprechen, die an einem unteren und einem oberen Leitfaden anliegt.

Praktisch ist die Antwort eines Kanals mit hohem Widerstand jedoch nicht einfach zu erkennen, wenn das obere und das untere Gitter etwa aus Silber bestehen, das einen Stromfluss in beide Richtungen der Kanäle ermöglicht. Dann sucht sich der Strom, den die Spannung an einem Kanal mit hohem Widerstand fließen lassen soll, einfach einen Weg über benachbarte Kanäle mit geringem Widerstand. Den Umweg kann er allerdings nur nehmen, wenn er nach oben und unten durch die Kanäle gelangt. Die elektrischen Einbahnstraßen im Mainzer Speicherkonzept vereiteln genau das.

„Auf diese Weise haben wir einen Speicher konstruiert, der nichtflüchtig ist, sich leicht auslesen lässt und zudem sehr dicht gepackt werden kann“, sagt Dago de Leeuw. Das Limit für die Datendichte setzen nur die Breite der Leiterbahnen und der Mindestabstand, den sie zueinander haben. Ein Speicherpunkt braucht da kaum mehr als 20 Nanometer.

Nun möchten Paul Blom und Dago de Leeuw die Produktion des Speichermaterials vereinfachen, und zwar mithilfe eines ureigenen Prinzips der Nanotechnik: der Selbstorganisation. Die Halbleiterindustrie ziseliert heute Transistoren, Dioden oder Leiterbahnen aus Materialien heraus. Das wird aber immer schwieriger, je kleiner die Strukturen sind. Daher setzt das Mainzer Team auf die natürliche Tendenz vieler Stoffe, sich selbst zu ordnen. Triebkraft sind dabei die chemischen und physikalischen Eigenschaften, dank derer die Moleküle manche Positionen zueinander favorisieren.

Paul Blom und Dago de Leeuw haben die Selbstfindung der Moleküle bereits ausgenutzt, um organische Substanzen zu Transistoren und Dioden zu versammeln. Nun wollen sie das Prinzip auch auf die anspruchsvollere Struktur der nichtflüchtigen Speicher aus organischen Halbleitern in einem ferroelektrischen Mantel anwenden. Und nicht nur darauf: „Wenn wir komplexe Strukturen in Zukunft mittels Selbstorganisation erzeugen, können wir die Produktion elektronischer Bauelemente deutlich vereinfachen“, sagt Blom. Spätestens dann wird die organische Elektronik im großen Stil bisher unrentable Anwendungen
ermöglichen.


Auf den Punkt gebracht

  • Molekulare Elektronik ermöglicht es, Leuchtdioden, Solarzellen und Chips aus kostengünstigen und flexiblen Materialien herzustellen, die sich mit einer Art Tintenstrahldrucker verarbeiten lassen.
  • Die Beweglichkeit von Elektronen und den dazugehörenden Löchern in organischen Halbleitern und somit die Effizienz entsprechender Bauteile lassen sich mit Materialien erhöhen, deren elektronische Struktur verhindert, dass die Ladungsträger in Defekten verloren gehen.
  • Aus der dünnen Schicht eines organischen Ferroelektrikums, das senkrecht von Halbleiterkanälen durchzogen wird, lässt sich ein nichtflüchtiger Speicher konstruieren, der sich dicht packen sowie schnell und zuverlässig beschreiben und auslesen lässt.
  • Elektronische Bauteile von wenigen Nanometern Größe lassen sich aus organischen Molekülen nach dem Prinzip der Selbstorganisation herstellen, weil diese aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften von selbst geordnete Strukturen bilden.

Glossar

  • Ferroelektrikum: Der Name stellt eine Analogie zum Ferromagneten her: In diesem lassen sich magnetische Momente mit einem Magnetfeld ausrichten und behalten diese Polung auch außerhalb des Magnetfeldes. In einem Ferroelektrikum verschiebt ein elektrisches Feld negative und positive Ladungen gegeneinander; auch diese Polung bleibt ohne das elektrische Feld bestehen.
  • Ladungsträger: In Metallen und generell Leitern handelt es sich bei den Ladungsträgernum Elektronen, die etwa den elektrischen Stromtransport ermöglichen. In Halbmetallen tragen Elektronen und die Löcher zum Strom bei. Letztere entstehen, wenn die Elektronen mit Energie angeregt und damit beweglich werden und sich dann bewegen. Sie lassen ein Loch zurück, das sich ebenfalls bewegen kann. Wenn ein Elektron wieder in ein Loch fällt, wird Energie in Form elektromagnetischer Strahlung frei.
  • Molekulare Elektronik: Sie wird aus organischen Materialien hergestellt und daher auch organische Elektronik genannt. Organische Substanzen bestehen aus Molekülen, deren charakteristischer Baustein Kohlenstoff ist. Bei den Molekülen kann es sich auch um Polymere handeln, in denen sich viele baugleiche Einheiten zu Ketten oder Netzen verbinden.

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