Gefrorene Schmutzbälle

Der Anblick eines hellen Kometen hat die Menschen zu allen Zeiten fasziniert. Was aber steckt hinter einem solchen Himmelsschauspiel? Erst in der Neuzeit kamen Forscher dem Phänomen auf die Schliche – da hatten die Schweifsterne schon eine lange Karriere als Unglücksbringer oder göttliche Sendboten hinter sich.

Text: Helmut Hornung

Die ersten Beobachtungen von Kometen stammen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. In den alten Kulturen galten sie wegen ihres plötzlichen Auftauchens als Fingerzeig der Götter. Und weil sie die Harmonie des gestirnten Himmels störten, wurden sie bald als Unglücksbringer angesehen. Im antiken Griechenland versuchten die Naturphilosophen eine Erklärung für das Phänomen. Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.), der das astronomisch-physikalische Weltbild im Westen mehr als eineinhalb Jahrtausende dominieren sollte, hielt sie für Ausdünstungen der Erdatmosphäre.

Im Mittelalter erlebte die Furcht vor diesen „Zuchtruten Gottes“ ihren Höhepunkt, die schreckliche Naturereignisse wie Überschwemmungen oder Erdbeben ankündigten. Kometen wurden im 16. und frühen 17. Jahrhundert ein beliebtes Sujet für Einblattdrucke, die Vorläufer der Zeitungen. Ein Gedicht aus dem 15. Jahrhundert beschreibt das Wesen der Kometen eindrücklich: „Sie bringen Fieber, Krankheit, Pestilenz und Todt, schwere Zeiten, Mangel und große Hungersnoth.“

Die geschweiften Sterne fanden auch Eingang in der bildenden Kunst und wurden etwa auf dem berühmten Wandteppich von Bayeux dargestellt, der die Eroberung Englands durch William von der Normandie im Jahr 1066 zeigt. Oder auf einem Fresko des italienischen Renaissance-Malers Giotto di Bondone in der Cappella degli Scrovegni zu Padua (1304). Beide Darstellungen wurden durch das Erscheinen des berühmten Halleyschen Kometen inspiriert, wobei Giottos Fresko „Anbetung der Weisen aus dem Morgenland“ die noch heute verbreitete Vorstellung begründete, ein Komet sei der Stern von Bethlehem gewesen.

Das „Kometenfieber“ hält sich bis in unsere Zeit: Als Halley 1910 planmäßig am Himmel auftauchte, fürchteten viele, die Menschheit werde durch Blausäure vergiftet, die man als Bestandteil des Schweifs kurz zuvor entdeckt hatte. Clevere Geschäftemacher verkauften dagegen Kometenpillen. Und als der Komet Hale-Bopp im Jahr 1997 ein eindrucksvolles Stelldichein am irdischen Firmament gab, brachten sich 39 Mitglieder der Sekte Heaven`s Gate um, weil sie glaubten, dadurch die Erde zu verlassen und zu einem Alienraumschiff zu reisen, das Hale-Bopp angeblich begleitete.

Die astronomische Erforschung der Kometen kam zaghaft in Schwung. Immerhin beobachtete der Ingolstädter Peter Apian (eigentlich Peter Bienewitz, 1495 bis 1552) als erster Astronom der Neuzeit, dass Kometenschweife immer von der Sonne weg gerichtet sind. Apian beschreibt das in seinem im Jahr 1540 veröffentlichten und Kaiser Karl V. gewidmeten Werk Astronomicum Caesareum.

Einige Jahrzehnte später erkannte der dänische Astronom Tycho Brahe (1546 bis 1601), dass Kometen eigenständige Himmelskörper sind: Am hellen Schweifstern des Jahres 1577 maß er die Parallaxe und bestimmte auf diese Weise die Entfernung zu etwa 230 Erdradien, entsprechend 1,5 Millionen Kilometern. Damit war die Lehre des Aristoteles, Kometen seien Erscheinungen innerhalb der irdischen Atmosphäre, endgültig widerlegt. Ja, Kometen erwiesen sich sogar als translunare Objekte, hielten sich also jenseits des Mondes auf.

Aber auf welcher Bahn zogen Kometen durch den Weltraum? Auch darüber rätselten die Forscher lange. Tycho Brahe glaubte als Erster, dass Kometen periodisch wiederkehren könnten. Der berühmte Astronom Johannes Kepler (1571 bis 1630) hingegen hielt die Bahnen für Geraden – und stand damit im Widerspruch zu seinen eigenen Gesetzen, die den Planeten ja Ellipsenbahnen zumaßen!

Der Danziger Ratsherr und Astronom Johannes Hevelius (1611 bis 1687) wiederum glaubte – wahrheitsgemäß, wie wir heute wissen – an lang gestreckte Parabeln und Hyperbeln. Der Streit um die richtige Bahnform ziert das Titelblatt von Hevelius`Cometographia. Das 1665 veröffentlichte Werk befasst sich auch mit Aussehen und Gestalt der Kometen und unternimmt den Versuch einer Klassifizierung der Schweife.

Im Jahr 1680 beobachtete der 24-jährige Edmond Halley (1656 bis 1742) einen großen Kometen. Verzweifelt versuchte der spätere Astronomer Royal und Freund Isaac Newtons, den Kometen auf einer geradlinigen Bahn laufen zu lassen, wie es Kepler sechs Jahrzehnte zuvor gefordert hatte. Vergeblich! Bei einem Treffen mit Newton erklärte dieser, der Komet von 1680 habe wohl eine „scharf geschwungene“ Bahn.

Mit der Erkenntnis machte sich Edmond Halley an neue Rechnungen und kam zu dem Ergebnis, dass der Komet offenbar auf einer lang gezogenen Ellipse läuft und im Jahr 1758 wiederkehren sollte. Halley starb 1742 – und erlebte den Triumph der Himmelsmechanik und nicht mehr: Denn am Abend des 25. Dezember 1758 entdeckte der sächsische Bauer und Amateurastronom Johann Georg Palitzsch (1723 bis 1788) im Sternbild Fische einen blassen Lichtfleck… Der sogenannte Halleysche Komet kehrt alle 76 Jahre ins innere Sonnensystem und damit in Erdnähe zurück, zuletzt 1985/86.

Damit war die Bahnform der Kometen geklärt. Wo aber kommen sie her? Und was verbirgt sich hinter diesen bisweilen prächtigen Erscheinungen? Der niederländische Astronom Jan Hendrik Oort (1900 bis 1992) vermutete 1950, dass die langperiodischen Kometen aus einem Reservoir stammen, das unser Planetensystem schalenförmig bis in eine Entfernung von 1,6 Lichtjahren einhüllt. Neben dieser noch nicht durch Beobachtung bestätigten Oortschen Wolke – im Jahr 1932 hatte der estnische Astronom Ernst Öpik ein ähnliches Gebilde vermutet – existiert offenbar noch eine weitere Heimstatt für mittelperiodische Kometen, der Kuipergürtel.

Dort draußen, an der Grenze des Sonnensystems, treiben vielleicht 100 Milliarden tiefgefrorene Brocken aus Eis und Gestein mit Durchmessern von einigen Metern bis etwa 100 Kilometern. Das sind die Kerne der Kometen. Eine Nahansicht eines solchen Kerns gewann erstmals die europäische Raumsonde Giotto, als sie im März 1986 in nur knapp 600 Kilometern an Halley vorbeiflog.

Auf den Bildern zeigte sich eine ungefähr 15 mal 6 Kilometer große kosmische Erdnuss, die extrem dunkel und von einer Staubschicht mit geringer Albedo überzogen war. Lediglich an einigen diskreten Stellen zeigten sich Fontänen aus verdampfendem Eis. Das Material, mit Staub vermischt, wies einen hohen Anteil von organischen Verbindungen auf – unter anderem Aminosäuren, die ein wesentlicher Bestandteil des irdischen Lebens sind. Zudem verlor Halley pro Sekunde etwa 60 Tonnen Wasserdampf.

Spätere Missionen zu anderen Kometen – etwa zu Wild 2 – bestätigten diesen Eindruck: Die Bilder zeigen stets kraterzerfurchte „Weltraum-Kartoffeln“, an deren Oberfläche Material ins All spritzt. Diese Materie stammt aus der Zeit, als das Planetensystem vor 4,5 Milliarden Jahren geboren wurde und ist dank der Tiefkühlung praktisch unverändert. Kometen sind also willkommene Boten aus der Vergangenheit.

Begleiten wir einen solchen eisigen Schmutzball, der aus der Oortschen Wolke katapultiert wurde, auf seiner Reise Richtung Sonne. Mit schrumpfendem Abstand steigt die Temperatur an. Die Kometengase verdampfen und bilden eine ausgedehnte, dünne Atmosphäre: die Koma. Sie erreicht einen Durchmesser von mehreren 100.000 Kilometern. Der Komet befindet sich jetzt etwa in Höhe der Saturnbahn und kann von der Erde aus entdeckt werden.

Schließlich bildet sich ein Schweif, das charakteristische Merkmal eines Kometen. Ursache ist der Sonnenwind – ein Strom elektrisch geladener Teilchen –, den das Zentralgestirn mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 400 Kilometern pro Sekunde ständig ins All bläst. Der Schweif weht wie ein Windsack im Weltraum und zeigt daher stets von der Sonne weg. Kometen erreichen Schweiflängen von mehreren 100 Millionen Kilometern.

Bilder von hellen Kometen wie etwa Hale-Bopp zeigen, dass es im Prinzip zwei unterschiedliche Schweifarten gibt: den gerade verlaufenden, bläulich leuchtenden Gas- oder Plasmaschweif und den oftmals aufgefächerten, gelblich schimmernden Staubschweif; Letzterer wird vor allem durch den Lichtdruck der Sonnenstrahlung verursacht. Bei manchen Kometen erkennt man gelegentlich noch einen Gegenschweif, wobei es sich um beleuchteten Weltraumschutt handelt, den der Komet auf seiner Bahn verteilt und der unter günstigen Licht- und Projektionsverhältnissen für kurze Zeit als heller Strich erscheint.

Der Weltraumschutt besteht aus feinsten Teilchen aber auch größeren Brocken, die der Sonnenwind ständig aus dem Kometen herausbläst. Wie bereits erwähnt, verteilt sich die gelöste Kometenmaterie gleichsam als „Sandbahn“ im All. Durchquert die Erde eine solche Geröllhalde, dringen die Teilchen in die Atmosphäre ein und huschen als Sternschnuppen über das Firmament.

Darunter können auch größere Brocken sein, die während ihres feurigen Ritts durch die irdische Lufthülle nicht einfach zerplatzen, sondern als Meteoriten zu Boden fallen. Und da kommen die Kometen als echte „Unglücksboten“ ins Spiel: Unser Planet ist nämlich einem ständigen Kugelhagel kosmischer Geschosse ausgesetzt. Kraterbecken wie das Nördlinger Ries künden von Treffern solcher Bomben. Der Absturz eines kilometergroßen Trumms aus dem Weltraum – eines Kometenkerns oder Asteroiden – hätte katastrophale Folgen. Von 67P/Churyumov-Gerasimenko, dem Ziel der Raumsonde Rosetta, geht allerdings keine Gefahr aus, er fliegt in vielen Millionen Kilometern Abstand an der Erde vorbei.

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