Open Access ist nicht zu stoppen

7. Oktober 2013

Zehn Jahre nach Abschluss der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen blickt Peter Gruss auf die Fortschritte bei Open Access und benennt Herausforderungen, die gemeinsam anzugehen sind.

Facebook existierte nicht, an den Kurznachrichtendienst Twitter, der nun ganz selbstverständlich im Fernsehen zitiert wird, dachte niemand. Doch das Internet war im Jahr 2003 bereits ein wichtiger Faktor. Eben weil es erstmals ermöglichte, Informationen allumfassend für jedermann frei verfügbar zu machen, unterzeichnete die Max-Planck-Gesellschaft vor zehn Jahren mit den deutschen Wissenschaftsorganisationen und weiteren nationalen wie internationalen Institutionen die Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Seither entfaltet sie große Wirkmacht und ist ein Grundpfeiler der Open-Access-Bewegung. Nicht nur das Ziel des offenen Zugangs wurde formuliert, sondern auch konkrete Maßnahmen. Waren es anfangs 19 Institutionen, wird sie nun von mehr als 440 getragen. Das ist eine beeindruckende Entwicklung. Und doch nutzt die Wissenschaft, die das Medium maßgeblich geschaffen und mitentwickelt hat, nicht alle Potenziale. Sie bleibt – anders als etwa Social-Media – noch hinter den Möglichkeiten zurück.

Dennoch hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel getan. Beim Ziel der Berliner Erklärung, „das Internet als Instrument für eine weltweite Basis wissenschaftlicher Kenntnisse zu fördern“, sind wir trotz bestehender Hürden entscheidend vorangekommen. Open Access, wonach veröffentlichte Forschungsergebnisse grundsätzlich kostenlos frei zugänglich, für jedermann erreichbar und weiterverwendbar sein sollen, ist unumkehrbar etabliert. Auf dem goldenen Weg, also der direkten Veröffentlichung in Open-Access-Journals, sind mittlerweile etwa zehn Prozent der Fachpublikationen eines Jahres verfügbar – mit steigender Tendenz. Auf dem grünen Weg, bei dem die Beiträge nach einem Erstabdruck in einer freien Onlinedatenbank  erscheinen, kommen etwa zwölf Prozent dazu. Die Zahl dieser Datenbanken ist auf 2400 gestiegen, im Directory of Open Access Journals sind mehr als 9900 Titel gelistet. Das ist im Vergleich zum Mai 2012 ein Plus von fast 30 Prozent.

Die anhaltende Dynamik ist sehr erfreulich, schließlich ist Open Access von enormer Bedeutung für die Wissenschaft. Erstens ist unsere „Mission, Wissen weiterzugeben nur halb erfüllt, wenn diese Informationen für die Gesellschaft nicht in umfassender Weise und einfach zugänglich sind“, wie es in der Berliner Erklärung heißt. Zweitens lebt Forschung vom Austausch der besten Ideen. Je umfassender und zeitnäher das möglich ist und je freier die Weiterverwendung der Ergebnisse, desto effektiver können Wissenschaftler arbeiten. Gerade bei interdisziplinären Projekten werden neue Suchtechniken Ergebnisse verschiedener Fachbereiche besser aufbereiten können. Mit dem Vorteil, dass Erkenntnisse schneller gewonnen werden. Damit wird Forschung im Sinne des Gemeinwohls effektiver. Angesichts solcher Vorzüge bewerten beinahe 90 Prozent der rund 38000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich bei der im Jahr 2011 vorgestellten EU-Studie SOAP beteiligt haben, Open Access als positiv.

Die Umsetzung braucht Zeit, weil wichtige Stellschrauben in einem für Wissenschaft bedeutenden System angepasst werden müssen. Geht es doch um das Herzstück, nämlich das Publizieren. Hier existiert eine lange Tradition, wonach Forscher jahrzehntelang etablierte und damit renommierte Fachzeitschriften als entscheidende Qualitätsreferenz für ihre Arbeit erachten – sie erhoffen sich so größtmögliche Reputation in der Fachwelt und Impulse für die Karriere. Entsprechend können Verlage diese Journale teuer an Bibliotheken verkaufen. Dieses Modell hatte lange Bestand. Es ist aber nun angesichts gewaltiger Preissteigerungen für solche Abonnements und den Restriktionen zu Open Access für die Wissenschaft nicht mehr hinnehmbar. Anstatt der Blackbox der Abopreis-Kalkulation brauchen wir Modelle, die sich an den tatsächlichen Publikationskosten orientieren und durch Transparenz und Nachhaltigkeit geprägt sind. Das Geld aus den bestehenden Abonnementbudgets muss überführt werden in Publikationsetats, aus denen dann die Veröffentlichungen der Autoren via Open Access finanziert werden. Dieser Modellwandel ist an vielen Stellen im Gang. Wir haben dafür die Max Planck Digital Library als gemeinsame Serviceeinrichtung. Sie finanziert zentral Open-Access-Publikationen, verbessert aber auch für alle Institute die Bedingungen für den freien Zugang, indem sie Verträge mit Open-Access-Verlagen aushandelt und Infrastrukturen wie unsere eigene Open-Access-Datenbank ausbaut. So entstehen Standards, die alle unsere Wissenschaftler nutzen können.

Damit das freie Publizieren genauso attraktiv ist, wie auf dem konventionellen Weg, stärken wir zudem konkret hochklassige Open-Access-Titel. Sie werden „bottom-up“ aus der wissenschaftlichen Community entwickelt: Ein gutes Beispiel ist die 1998 am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik gegründete Zeitschrift Living Reviews in Relativity, die sich laut internationalem Zitationsranking zur ersten Adresse ihres Fachgebiets entwickelt hat. Auch in den Geisteswissenschaften haben sich Titel wie Demographic Research fest etabliert. Mit dem Howard Hughes Medical Institute und dem Wellcome Trust unterstützt die Max-Planck-Gesellschaft zudem die 2012 gegründete Online-Zeitschrift eLife mit dem Ziel, im Gebiet der Biowissenschaften ein internationales Top-Journal als Open-Access-Alternative zu etablieren. Das aus renommierten, aktiven Wissenschaftlern bestehende Editorial-Board sieht dabei die Autoren als Kunden. Deshalb wurde das von unabhängigen Forschern durchgeführte Begutachtungsverfahren so optimiert, dass höchste Qualität sichergestellt bleibt, aber der Arbeits- und Zeitaufwand für die Autoren geringer ist. Im Schnitt vergehen nicht mehr als 77 Tage bis zur Entscheidung über die Veröffentlichung. Zudem nutzt eLife konsequent die Möglichkeiten des Internet. Dazu gehört, dass das Wissen leicht geteilt und weiterverarbeitet werden kann – aber auch, dass der Autor in Echtzeit sieht, wie seine Veröffentlichung nachgefragt wird. Mit diesem Mix ist eLife sehr innovativ. Natürlich kann das Journal nicht von heute auf morgen zu Cell, Nature oder Science aufschließen, aber das Projekt mit bereits etwa 190 veröffentlichten Fachbeiträgen ist auf einem vielversprechenden Weg.

Diese zwei wichtigen Ansätze zur Umstellung des Publikationssystems müssen, weil Open Access eine weltweite Initiative der Wissenschaft für die Wissenschaft ist, auch international koordiniert werden. Dabei sind wir auf zentrale Weise eingebunden, auch als Mitorganisator der Folgekonferenzen zur Berliner Erklärung, die sich zu einer festen Plattform entwickelt haben. Vom 19. bis 20. November findet die elfte Konferenz wieder in Berlin statt. Diskutiert wird dann auch über Strategien der Politik. Schließlich hat Open Access längst die Regierungen in aller Welt erreicht. Der Umgang ist aber unterschiedlich. Die deutsche Politik beschäftigte sich zuletzt nicht mit dem großen Ganzen, sondern mit einem zentralen Baustein: dem Urheberrecht. Die nun beschlossene Novelle sichert Autoren wissenschaftlicher Beiträge nach einer Erstveröffentlichung in einer Abo-Zeitschrift zwar das Recht, ihr Werk frei zugänglich zu machen. Doch sind die Regelungen an zu viele Bedingungen geknüpft und lassen durch den weitgehenden Ausschluss der Hochschulangehörigen einen großen Teil der deutschen Forscher unberücksichtigt. Wir setzen deshalb auf weitere Verbesserungen. Das betrifft auch die generelle Wartefrist zwischen Erst- und Zweitveröffentlichung, die mit zwölf Monaten zu lang ist. Zudem bedarf es einer offiziellen politischen Positionierung der Bundesregierung und einer nationalen Strategie zu Open Access, die in den europäischen Rahmen eingepasst ist. Die Europäische Union ist in der Umsetzung einen Schritt weiter, wenn von 2014 an das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation gilt: Die Ergebnisse aller über Horizon 2020 geförderten Projekte sind grundsätzlich per Open Access zu veröffentlichen – die Kosten dafür Teil der Förderung. Das ist ein wichtiger Impuls für den Europäischen Forschungsraum und wird auch dem Ziel der Berliner Erklärung Schub geben.

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