Zülch-Preis 2013 – Belohnung für Hirnforscher

Neurowissenschaftler werden für Erforschung des Belohnungs- und Entscheidungssystems im Gehirn ausgezeichnet

10. September 2013

Maximale Belohnung, minimale Bestrafung – das ist die Maxime, nach der Menschen und Tiere häufig ihre Entscheidungen ausrichten. Belohnung wird im Gehirn von einem Netzwerk aus Nervenzellen vermittelt. Dieses Belohnungssystem mit dem Botenstoff Dopamin beeinflusst Lernen und Gedächtnis sowie die Entscheidungsfindung im Gehirn. Für die Erforschung des Belohnungssystems und anderer modulierender Netzwerke erhalten Wolfram Schultz von der Universität Cambridge und Raymond J. Dolan vom University College London den diesjährigen K. J. Zülch-Preis der Gertrud Reemtsma Stiftung. Die beiden Hirnforscher haben wichtige Erkenntnisse über Aufbau und Funktion des Belohnungssystems im Gehirn gewonnen. Der Preis wird am 13. September 2013 in Köln verliehen.

Was für den einen ein Glas Wein und den anderen ein Paar neue Schuhe, ist für das Gehirn der Botenstoff Dopamin: ein Belohnungssignal. Mit der Ausschüttung dieses Neurotransmitters reagieren die Dopamin-Zellen im Gehirn, wenn sie Positives erwarten oder erhalten. Dopamin-Zellen aktivieren ein weit verzweigtes Netz aus Nervenzellen. Dieses Dopamin-Belohnungssystem umfasst verschiedene Gehirnteile, zum Beispiel das Mittelhirn, das Striatum mit Nukleus accumbens, die Amygdala und Bereiche der frontalen Großhirnrinde.

Dank der Forschung von Wolfram Schultz und Raymond Dolan sind heute verschiedene regulierende Systeme für Lern- und Entscheidungsprozesse bekannt. Diese Netzwerke vermitteln Belohnung, Gefühle und Aufmerksamkeit und beeinflussen damit die Entscheidungsprozesse im Gehirn. Die beiden Forscher haben maßgeblich dazu beigetragen, die Rolle der verschiedenen Gehirnzentren bei der Vermittlung einer Belohnung aufzuklären.

So hat Wolfram Schultz herausgefunden, dass Belohnungen Dopamin-Zellen im Mittelhirn aktivieren. Er hat dazu Konditionierungsexperimente mit Affen durchgeführt, in denen die Tiere lernen sollten, einen neutralen Reiz mit einer Belohnung zu verknüpfen. Haben die Tiere gelernt, den Reiz mit einer Belohnung zu verknüpfen, erzeugen die Zellen im Tegmentum als Reaktion auf den Reiz eine kurze Salve elektrischer Signale. Bleibt nach dem Reiz die Belohnung aus, verstummen die Neurone. Sie passen dabei ihre Aktivität an die Höhe der Belohnung an. Und nicht nur das: Die Zellen vergleichen sogar die Höhe der tatsächlichen mit der erwarteten Belohnung und unterscheiden, ob eine Belohnung ihrer Erwartung entspricht. Fällt sie höher aus, werden die Zellen aktiv. Ist sie geringer, bleiben die Zellen stumm.

Damit hat Wolfram Schultz die biologischen Grundlagen für wesentliche Annahmen der psychologischen Lerntheorie für Belohnung entdeckt. Darüber hinaus hat er Erkenntnisse aus der Lern- und der ökonomische Entscheidungstheorie benutzt, um Belohnungs- und Risikosignale in Dopamin-Zellen und anderen Teilen des Belohnungssystems zu finden.

Beim Menschen funktioniert das Belohnungssystem auf ganz ähnliche Weise, wie die Untersuchungen von Raymond Dolan ergeben haben. Er hat dazu Bildgebungsverfahren wie die funktionelle Kernspin-Tomografie eingesetzt, um die Rolle von Dopamin bei Entscheidungsprozessen zu analysieren. So konnte er beispielsweise klären, warum ältere Menschen schlechter Entscheidungen treffen können, wenn sie in einer unberechenbaren Umwelt die Höhe einer zu erwartenden Belohnung abschätzen müssen. Offenbar gehen mit zunehmendem Alter dopaminerge Nervenzellen zugrunde – ein Verlust, der mit zunehmendem Alter unterschiedlich stark auftritt, ohne dass dies körperliche Einschränkungen verursacht. Durch Gabe des Dopamin-Agonisten L-Dopa, der auch in der Parkinson-Therapie angewandt wird, konnte Dolan die Lernleistung und die Entscheidungsfähigkeit älterer Probanden wieder so weit verbessern, dass ihre Leistungsfähigkeit wieder der von Mittzwanzigern glich.

Darüber hinaus hat Dolan mit seinem Ansatz, Bildgebungsverfahren, Computermodelle und pharmakologische Tests zu kombinieren, zwei parallel arbeitende, voneinander unabhängige Entscheidungswege im Gehirn entdeckt. Der eine Pfad läuft mittig über den sogenannten Nucleus caudatus und ist aktiv, wenn das Gehirn die Konsequenzen einer Entscheidung im Geist durchspielt. Der andere nimmt den seitlichen Weg über das Putamen und ermöglicht Entscheidungen auf der Basis erlernter Erfahrungen und Gewohnheiten. Nach der Gabe von L-Dopa trifft das Gehirn bevorzugt Entscheidungen anhand möglicher Konsequenzen und weniger aufgrund früherer Erfahrungen.

Dolan hat zudem wichtige Erkenntnisse darüber gesammelt, wie das Gehirn soziale Entscheidungen trifft, z. B. warum Menschen dazu neigen, negative Informationen zu ignorieren und die Wahrscheinlichkeit künftiger negativer Ereignisse unterschätzen. Höhere Dopamin-Spiegel verstärken dieses Phänomen und führen dazu, dass das Gehirn negative Informationen noch stärker vernachlässigt.

Wolfram Schultz ist in Meissen geboren und hat in Hamburg und Heidelberg Medizin, Mathematik und Philosophie studiert. Nach Forschungsaufenthalten am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, in Buffalo und Stockholm forschte und lehrte er von 1977 bis 2001 an der Universität Fribourg (Schweiz) und arbeitet seit 2001 an der Universität Cambridge. Raymond Dolan stammt aus Irland und hat an der National University of Ireland in Galway Medizin studiert. Er war für verschiedene Kliniken tätig, darunter das National Hospital for Neurology and Neurosurgery, und ist heute Direktor des Wellcome Trust Centers for Neuroimaging des University College London. Seit 2012 ist er zudem Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.

Die Verleihung des K. J. Zülch-Preises 2013 findet am 13. September von 10:00 bis 12:00 Uhr im Hansasaal des Historischen Rathauses zu Köln statt. Im Anschluss an die Laudatio von Hans Jochen Heinze von der Universität Magdeburg berichtet Wolfram Schultz über die Belohnungssignale des Gehirns. Nach der Laudatio von Melanie Wilke von der Universität Göttingen spricht Raymond Dolan über die Rolle des Dopamins im menschlichen Gehirn.

HR

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