„Alle denken, sie lägen mit ihren Ergebnissen richtig“

Martin Heimann spricht über die Arbeit am fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)

21. August 2013

Ende September 2013 wird das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) den Teil des fünften Sachstandbericht veröffentlichen, der den aktuellen Stand der Klimaforschung wiedergibt. Martin Heimann, Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, hat als einer der führenden Autoren am Kapitel Carbon and other Biogeochemical Cycles (Kohlenstoff und andere biogeochemische Kreisläufe) mitgewirkt. Er gewährt einen Einblick, wie die an dem Bericht beteiligten Forscher versuchen, zu noch zuverlässigeren Aussagen als in den vorhergehenden Berichten zu gelangen, welchen Problemen sie dabei gegenüberstehen, und wie sich die Diskussionen um die Ergebnisse gestalten.

Herr Professor Heimann, konkrete Ergebnisse des fünften Sachstandsbericht können wir jetzt noch nicht diskutieren, aber inwiefern wird sich die wissenschaftliche Herangehensweise im Vergleich zum vorhergehenden Bericht ändern?

Für das Kapitel, an dem ich mitgearbeitet habe, hat sich die Datenlage sehr verbessert. Wir haben heute ein umfassenderes Bild der Quellen und Senken im Kohlenstoffkreislauf, wissen also mehr darüber, wo wie viel Kohlendioxid aufgenommen und abgegeben wird. Durch die größere Datenbasis können wir hier sicherere Aussagen treffen, aber es bleiben noch Fragen.

Wo liegen die Probleme bei der Abschätzung, wie viel Kohlendioxid der Luft entzogen wird?

Wir wissen, dass nur die Hälfte des menschengemachten Treibhausgases in der Atmosphäre bleibt. Von der anderen Hälfte nehmen die Ozeane 50 Prozent auf. Da verstehen wir auch sehr gut, wo und wie das geschieht, weil wir eine sehr gute Datenlage haben. So kommen wir für das Kohlenstoff-Budget der Ozeane mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden zu denselben Ergebnissen. Anhand der Messungen von Frachtern und Forschungsschiffen können wir sogar detaillierte Karten erstellen, wo das Zeug bleibt. Auf dem Land ist die Situation aber ganz anders. Klar ist, die Ökosysteme an Land nehmen auch etwa ein Viertel der menschlichen Emissionen auf. Der Mechanismus ist bisher aber unbekannt.

Welche Möglichkeiten gibt es?

Bauminventare in Wäldern sprechen dafür, dass vor allem dort mehr Biomasse gebildet wird. In Europa und in den USA passen deren Ergebnisse auch gut zu Messungen der Kohlendioxid-Konzentration in der Luft. In den Tropen mit ihren ausgedehnten Wäldern ist das anders, dort gibt es aber auch nur spärliche Messungen in der Atmosphäre. Ein Anspruch des fünften Sachstandsberichtes ist es aber, alle Aussagen mit Messergebissen verschiedener Methoden zu belegen. Und wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass vor allem die Wälder einen großen Teil des anthropogenen Kohlendioxids aufnehmen, wissen wir noch nicht, warum. Handelt es sich um einen Düngeeffekt? Wachsen die Bäume also besser, weil ihnen mehr Kohlendioxid zur Verfügung steht? Dabei spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle: das Angebot an Wasser und Nährstoffen wie Stickstoff sowie das Klima. Gerade In Europa oder den USA, wo wir umfassende Bauminventare haben, hat die Biomasse aber auch zugenommen, weil die Forstwirtschaft die Wälder heute weniger nutzt als vor einigen Jahrzehnten.

Welche weiteren Faktoren könnten den Kohlenstoffhaushalt der Landökosysteme beeinflussen?

Offen ist, was im Boden passiert. Wird dort mehr Kohlenstoff gespeichert oder abgebaut? Und welche Rolle spielt die Erosion? Es könnte etwa sein, dass sich ein großer Teil des Kohlenstoffs, der aus Böden geschwemmt wird als Sediment in Flüsse und Seen ablagert.

Der neue Sachstandsbericht berücksichtigt vermehrt Ergebnisse von Modellen, die das Klima und den Kohlenstoffkreislauf miteinander koppeln. Was können diese Modelle?

Mit ihnen können wir auf globaler Ebene abschätzen, wie viel Kohlenstoff die Ozeane und die Landökosysteme aus der Atmosphäre entfernen. Außerdem können wir mit solchen Modellen untersuchen, wie der Kohlenstoffkreislauf mit dem Klima rückgekoppelt ist. Wir können damit also berechnen, ob und gegebenenfalls wie stark sich der Klimawandel selbst verstärkt, weil bei einer Erwärmung mehr Kohlendioxid freigesetzt wird. Die Ergebnisse sind aber noch nicht eindeutig.

Zu welchen Schlüssen kommen Sie?

Den neuen Modellrechnungen zufolge können wir davon ausgehen, dass die Rückkopplung etwas schwächer ist, als bisher angenommen. Einerseits verlängern sich durch die Erwärmung in den höheren Breiten die Vegetationsperioden; damit nimmt die Landbiosphäre mehr Kohlendioxid auf. Andererseits führen höhere Temperaturen zu verstärkten Kohlendioxidemissionen, weil in den Böden verstärkt Kohlenstoff abgebaut wird. Das gilt unter anderem für die Moore und die sibirischen Permafrostböden, wo der Kohlenstoff zum Teil auch als besonders klimaschädliches Methan freigesetzt wird.

Das bedeutet unterm Strich?

Insgesamt erwarten wir, dass die Prozesse den Klimawandel verstärken, aber vermutlich nicht so sehr, wie es der vierte Sachstandsbericht nahelegte. Die Prognosen der verschiedenen Modelle sind aber sehr breit gestreut, genaue Vorhersagen sind also kaum möglich. Außerdem gibt keines der Modelle wieder, dass die jahreszeitliche Schwankung der atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration in mittleren und hohen Breiten der Nordhemisphäre um 50 Prozent zugenommen hat. Das wissen wir aus Messungen seit den 1960er-Jahren. Aber müssen die Modelle das wiedergeben? Das heißt ja nur, dass Bäume im Frühjahr mehr Blätter bilden, die im Herbst und Winter aber auch schneller wieder verrotten. Es ist eine offene Frage, ob die Vegetation dabei auch längerfristig mehr Kohlenstoff bindet.

Woher rühren die Schwächen der Modelle?

Anders als für die Atmosphäre und die Ozeane gibt es keine gesicherte Grundlagentheorie, um die Reaktion der Landbiosphäre auf den steigenden Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre und den Klimawandel zu beschreiben. Um etwa abzuschätzen, wie die sich die Photosynthese der Pflanzen oder der Stoffwechsel der Bakterien mit den erhöhten Kohlendioxidwerten und der Erderwärmung verändern, müssen wir Annahmen machen, die aber nicht richtig sein müssen. Es gibt zwar Experimente, die diese Zusammenhänge untersuchen, die kommen aber auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Wie lassen sich diese Unsicherheiten reduzieren?

Unsere Daten stammen heute meist aus kurzen Messkampagnen. Wir brauchen mehr langjährige Messungen zum Beispiel der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre. Mit ZOTTO, einem 300 Meter hohen Messturm in Sibirien, sammeln wir solche Daten. Kollegen des Max-Planck-Instituts für Chemie möchten einen solchen Turm auch im Amazonas errichten. Auch Experimente müssten längere Zeiträume abdecken. Und wir brauchen viele Untersuchungen. Nur so können wir auch kleine Veränderungen statistisch zuverlässig feststellen. Denn diese sind entscheidend, um die Rückkopplung genauer zu bestimmen.

Welche Fragen beschäftigen die am IPCC-Sachstandsbericht über die Wechselwirkung von Klima und Kohlenstoffzyklus hinaus. Wie sieht es etwa bei den Wolken aus? Bleibt unklar, wie sich die Wolkenbedeckung mit dem Klimawandel ändern wird und ob das die Erwärmung verstärkt oder verringert?

Wolken sind natürlich ein Dauerbrenner. Ein Hauptknackpunkt des kommenden Berichtes ist aber der Stillstand der Erderwärmung. Wir beobachten, dass die mittlere globale Temperatur in den vergangenen 15 Jahren nur unbedeutend gestiegen ist. Modelle sagen solche Stillstände zwar voraus, aber sehr selten über so lange Zeiträume. Wie wichtig das ist, hat man erst relativ spät gesehen. Der Befund ist allerdings nicht eindeutig, weil sich nur die mittlere globale Temperatur nicht weiter erhöht hat. Die Messungen des Wärmeinhalts in den Ozeanen, der Gletscherschmelzen, der Meereisbedeckung und des Anstieg des Meeresspiegels belegen weiter eine fortschreitende globale Erwärmung und stützen daher die These, dass der zunehmende Treibhauseffekt vom Menschen verursacht wird.

Das gibt den Skeptikern, die den Klimawandel bezweifeln, natürlich Auftrieb.

Auch wenn wir den Stillstand nicht erklären können, Konsens unter den Wissenschaftlern ist, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Das belegen die Daten zwischen etwa 1960 und 2000. Und die Erderwärmung wird nach einer Pause voranschreiten. Für die Handlungsempfehlungen spielen die Beobachtung und die wissenschaftliche Erklärung des Stillstands aber eine Rolle, weil dabei allenfalls auch andere Faktoren zu berücksichtigen sind.

Der Bericht des IPCC bildet den Stand der Forschung ab, nicht nur zur Stärke des Klimawandels, sondern auch zu seinen Auswirkungen etwa auf die Wirtschaft und zu den Möglichkeiten, ihn zu begrenzen. Wie gestaltet sich die Diskussion über die teilweise recht weit auseinanderklaffenden Forschungsergebnisse?

Das ist in der Tat nicht einfach. Alle denken natürlich, sie lägen mit ihren Ergebnissen richtig. Wir stellen zwar Kriterien auf, um die einzelnen Arbeiten nach Qualität zu sortieren, aber die kann man natürlich auch in Zweifel ziehen. Deshalb werden im gesamten Bericht alle Aussagen entsprechend ihrer Unsicherheiten nach einheitlichen Kriterien qualifiziert.

Nachdem Wissenschaftler den Bericht begutachtet haben, können Vertreter der Regierungen Gutachten abgeben. Und sie wirken auch an der Zusammenfassung für die politischen Entscheidungsträger mit. Gibt es da Versuche, die Aussagen des Berichtes zu beeinflussen?

Das habe ich bisher noch nicht erlebt. Die Vertreter der Regierungen kommen oft selbst aus der Wissenschaft, oder sie lassen sich von Wissenschaftlern beraten. Bei der Zusammenfassung der Ergebnisse mischen sich die Regierungsvertreter zwar ein, dabei geht es aber zumindest bei dem Teil, der die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimaforschung darstellt, um die Klarheit der Aussagen. Das kann in den beiden anderen Teilen, die sich den Folgen des Klimawandels und den möglichen Maßnahmen dagegen widmen, vielleicht anders sein.

Das Gespräch führte Peter Hergersberg

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