Live dabei – Immunzell-Aktivierung bei Multipler Sklerose

Neue Indikator-Moleküle machen erstmals die Aktivierung autoaggressiver T-Zellen im Körper sichtbar

17. Mai 2013

Biologische Prozesse basieren in der Regel auf Vorgängen auf der molekularen und zellulären Ebene. Um zu verstehen, was bei Infektionen, Krankheiten oder den normalen Körperfunktionen passiert, müssten einzelne Zellen und ihre Aktivität direkt im Gewebe beobachtet werden. Die Entwicklung neuer Mikroskope und Fluoreszenzfarbstoffe haben diesen Forschertraum in den letzten Jahren in greifbare Nähe gerückt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried bei München haben nun gleich in zwei Studien neue Indikator-Moleküle vorgestellt, durch die die Aktivierung von T-Zellen sichtbar wird. Die Ergebnisse geben neue Einblicke in die Rolle dieser Zellen bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose. Auch für die Untersuchung anderer Immun-reaktionen sollten die neuen Indikatoren ein wichtiges Werkzeug sein.

Eine Entzündung ist eine Abwehrreaktion des Körpers auf einen potenziell schädlichen Reiz. Das Ziel der Entzündung ist es, den Reiz – ob krankmachende Erreger oder Gewebe – zu bekämpfen und zu beseitigen. Wichtige Schritte im Verlauf einer Entzündung sind daher die Rekrutierung von Immunzellen, die Interaktionen dieser Zellen im betroffenen Gewebe und die daraus folgenden Aktivierungsmuster der Immunzellen. Je besser diese Vorgänge verstanden sind, desto effektivere Medikamente und Therapien können zu ihrer Unterstützung entwickelt werden. Dies gilt im Besonderen auch für Krankheiten wie der Multiplen Sklerose. Bei dieser Autoimmunerkrankung dringen Zellen des körpereigenen Immunsystems in das Zentrale Nervensystem ein und richten dort im Rahmen einer Entzündung großen Schaden an.

Um die zellulären Vorgänge bei der MS wirklich zu verstehen, müssten sie idealerweise in Echtzeit dort untersucht werden, wo sie stattfinden – direkt im betroffenen Gewebe. In den letzten Jahren wurden neue mikroskopische Verfahren und Fluoreszenzfarbstoffe entwickelt, die dies erstmals möglich machen. Mit Hilfe dieser Farbindikatoren werden einzelne Zellen, ihre Bestandteile oder bestimmte Zellvorgänge durch das Mikroskop sichtbar. So haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie zum Beispiel einen genetischen Kalziumindikator entwickelt, TN-XXL, den die Zellen selbst bilden und der zuverlässig und zeitlich unbegrenzt die Aktivität einzelner Nervenzellen anzeigt. Das Gen für den Indikator wurde jedoch nicht von Immunzellen aktiviert.  So war es bisher nicht möglich, im Körper zu verfolgen, wo und wann ein Kontakt zwischen Immunzellen und anderen Zellen zur Aktivierung der Immunzelle führt.

Nun berichten die Martinsrieder Neurobiologen gleich in zwei Tierversuchsstudien von großen Fortschritten auf diesem Gebiet. Zum einen entwickelten sie einen neuen Indikator, durch den die Aktivierung von T-Zellen sichtbar wird. Diese wichtigen Zellen des Immunsystems erkennen und bekämpfen Erreger oder als fremd eingestufte Substanzen (Antigene). Auch bei der Multiplen Sklerose spielen T-Zellen eine wichtige Rolle: Hier erkennen und attackieren sie jedoch körpereigenes Hirngewebe. Erkennt eine T-Zelle "ihr" Antigen, so wandert das Signal-Protein NFAT vom Zellplasma in den Kern der T-Zelle. "Diese Bewegung von NFAT zeigt uns, dass die Zelle aktiviert, also sozusagen scharfgeschaltet, wurde", erklärt Marija Pesic, die Erstautorin der Studie, die im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht wurde. "Wir haben uns dies zunutze gemacht und den Fluoreszenzfarbstoff GFP an NFAT gebunden – so können wir die Aktivierung dieser Zellen sichtbar machen." Auf diese Weise können die Wissenschaftler nun im Organismus eindeutig zeigen, ob ein Antigen zur Aktivierung einer T-Zelle führt. Der neue Indikator ist für die Erforschung von Autoimmunerkrankungen, aber auch für Untersuchungen von Immunzellen während der Entwicklung, Infektionen oder Tumor-Reaktionen, ein wichtiges neues Werkzeug.

Parallel zu diesen Studien entwickelten die Martinsrieder Neuroimmunologen einen etwas anderen,  ergänzenden Ansatz. Sie veränderten den Kalziumindikator TN-XXL so, dass nun erstmals auch die Aktivierungsmuster von T-Zellen live unter dem Mikroskop beobachtet werden können – und das, während die Zellen im Körper herumwandern. Erkennt eine T-Zelle ein Antigen, so führt dies zu einem raschen Anstieg der Kalziumkonzentration in der Zelle. Diese Kalziumveränderung zeigt TN-XXL durch eine Farbveränderung an, sodass die Wissenschaftler direkt sehen können, wann und wo die T-Zellen aktiviert werden.

"Auf diese Weise konnten wir jetzt zeigen, dass diese Zellen auch wirklich im Gehirn aktiviert werden können", freut sich Marsilius Mues, der Erstautor der Studie, die gerade im Fachblatt Nature Medicine erschienen ist. Bislang wurde dies nur vermutet. Im Tiermodell der Multiplen Sklerose können die Wissenschaftler nun nicht nur der Wanderung, sondern auch das Aktivierungsmuster der T-Zellen während des Krankheitsverlaufs verfolgen. Ihre ersten Untersuchungen zeigten bereits, dass es neben der erwarteten Aktivierung durch Antigen-Erkennung auch zahlreiche antigen-unabhängige Kalziumschwankungen gibt. "Diese Schwankungen könnten etwas darüber aussagen, wie "potent" die T-Zelle ist, wie stark das Antigen, oder es kann etwas mit der Umgebung zu tun haben", spekuliert Marsilius Mues. Diese Beobachtungen könnten Hinweise auf neue Forschungsansätze für Medikamente geben – oder auch zeigen, ob ein Medikament tatsächlich einen Einfluss auf die Aktivierung der T-Zellen hat.

SM/HR

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