Keramik zum Falten

Eine raffinierte Nanostruktur macht ein hauchdünnes Papier aus elektrisch leitenden Vanadiumoxidfasern bruchfest und biegsam

Was Stuttgarter Forscher jetzt mit einer Keramik machen, würde gewöhnlich in einem Scherbenhaufen enden. Die Wissenschaftler haben erstmals ein Papier aus einer Vanadiumpentoxid-Keramik hergestellt, das so fest ist wie Kupfer und so biegsam, dass sie es rollen und falten können. Von üblichen Keramiken unterscheidet sich das Material zudem, weil es elektrischen Strom leitet. Die Wissenschaftler der Universität Stuttgart, des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung stellten die Keramikblätter in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Projekt auf denkbar einfache Weise aus leitfähigen Nanofasern von Vanadiumpentoxid her. Seine besonderen mechanischen Eigenschaften verdankt das Keramik-Papier seiner Struktur, die der von Perlmutt ähnelt. Es könnte etwa als Elektrodenmaterial in Akkus, in flachen, flexiblen Gassensoren oder Aktuatoren in künstlichen Muskeln Anwendung finden.

Die Natur praktiziert schon seit Jahrmillionen, was Materialwissenschaftler seit wenigen Jahrzehnten erst allmählich lernen. Sie verwandelt Materialien mit eher bescheidenen mechanischen Eigenschaften in solche mit hervorragender Härte, Festigkeit und Elastizität, indem sie ihnen eine raffinierte Nanostruktur gibt. Muscheln etwa schichten harte, aber spröde Aragonitplättchen wie Ziegelsteine übereinander und verbinden sie mit einer Art Mörtel aus Protein. So entsteht das harte, aber zugleich elastische und bruchfeste Perlmutt.

Das Team um Žaklina Burghard und Joachim Bill des Instituts für Materialwissenschaft der Universität Stuttgart, das am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme auf dem Campus der Stuttgarter Max-Planck-Institute angesiedelt ist, nahm sich das natürliche Verbundmaterial für ihre Forschung zum Vorbild. Gemeinsam mit ihren Kollegen der Max-Planck-Institute für Intelligente Systeme und Festkörperforschung erzeugten sie aus der harten, aber spröden Keramik Vanadiumpentoxid auf einfache Weise ein biegsames und leitfähiges Papier.

Die Fasern ordnen sich von selbst zu transparentem orangefarbenem Papier

Aus einem in Wasser gelösten vanadiumhaltigen Salz synthetisierten die Forscher nach einem bereits seit gut 20 Jahren bekannten Rezept zunächst Nanofasern aus Vanadiumpentoxid. Für eine Keramik eher ungewöhnlich ist, dass die Fasern elektrischen Strom leiten. Möglich ist das, weil die Metalloxidketten schwach gebundene Elektronen enthalten, die an ihnen entlang hüpfen können.

Zu dem elastischen und festen Papier lagerten sich die leitfähigen Fasern nun von selbst zusammen – nachdem die Stuttgarter Forscher dafür die notwendigen Bedingungen geschaffen hatten. Sie verteilten die im Wasser suspendierten Nanofasern hauchdünn auf einem Trägermaterial. Anschließend ließen sie den wässrigen Film zunächst mehrere Stunden bei Raumtemperatur und dann noch mal einige Stunden bei 40 Grad Celsius trocknen und reduzierten dabei sehr langsam die Feuchtigkeit in der Trocknungsapparatur. Der langsame Prozess gab den Fasern die Möglichkeit, sich akkurat parallel anzuordnen. Schließlich behandelten sie den Film bei 100 beziehungsweise 150 Grad Celsius und erhielten so ein transparentes, orangefarbenes Papier, dessen Dicke sie über die Menge der verwendeten Nanofaser-Suspension zwischen 0,5 und 2,5 Mikrometern einstellen konnten.

Das Keramik-Papier ist elastischer und fester als Perlmutt

„Das Papier lässt sich wie eine Zieh-Harmonika falten und zusammenrollen“, sagt Žaklina Burghard. In diesem Punkt dürfte das Keramik-Papier seinem natürlichen Vorbild sogar überlegen sein. „Obwohl Perlmutt sanft gebogen in kleinen, spiralförmigen Muscheln in der Natur vorkommt, kann dieses starre Biomineral nicht wie ein gewöhnliches Blatt Papier gefaltet werden" Das Keramik-Papier ist aber nicht nur elastischer als Perlmutt, sondern zugleich auch fester. Zudem leitet es den Strom. „Die Leitfähigkeit ist parallel zur Papierebene allerdings viel größer als senkrecht dazu“, sagt Žaklina Burghard.

Die Erklärung dafür, dass das Papier unterschiedlich gut den Strom leitet, je nachdem in welcher Richtung die Forscher messen, erklärt auch die erstaunlichen mechanischen Eigenschaften des Papiers. Beides liegt nämlich in der Struktur des Materials begründet, die sich unter den Bedingungen, die das Stuttgarter Team vorgibt, in einem selbstorganisierten Prozess bildet.

Im Querschnitt ähnelt die Struktur weitgehend einer Ziegelmauer

Das fängt beim Aufbau der Nanofasern an, der schon vor der Stuttgarter Arbeit bekannt war. Die Fasern bestehen aus zwei harten Vanadiumpentoxid-Schichten mit einer Wasserschicht dazwischen. Mehrere dieser Fasern legen sich der Länge nach übereinander und formen plankenförmige Platten. Die Platten wiederum stapeln sich ebenfalls der Länge nach, aber versetzt übereinander, so dass die Struktur des Schichtmaterials im Querschnitt wahrscheinlich weitgehend einer Ziegelsteinmauer ähnelt: die Vanadiumoxid-Platten bilden die Steine, eingebettet in einer Wasserschicht, die sie wie Mörtel umgibt.

Erst die Kombination von harter Keramik und weichem Wasser, verbunden in der speziellen Nanostruktur, macht das Papier hart, bruchfest und biegsam. Und sie bewirkt auch, dass die Leitfähigkeit in der Papierebene hoch, und senkrecht dazu niedrig ist. Transportiert wird der Strom dabei aber nicht nur durch die Elektronen, die an den Nanofasern entlang wandern, sondern auch durch Ionen in den Wasserschichten zwischen der Keramik.

Dabei verändern sich die elektrischen Eigenschaften des Papiers abhängig vom Wassergehalt ebenso wie die mechanischen. Durch das Trocknen und die anschließende Hitzebehandlung entfernen die Forscher vor allem schwach gebundenes Wasser, sodass die Keramikfasern dichter zusammenrücken. Weil sich zwischen den Nanofasern dann gleichzeitig stärkere Bindungen bilden, wird das Papier fester und steifer.

Denkbar sind Anwendungen in Batterien, Gassensoren und künstlichen Muskeln

„Dank seiner hervorragenden mechanischen Qualität, gepaart mit den elektrischen und chemischen Eigenschaften, eignet sich das Keramikpapier für zahlreiche Anwendungen“, sagt Burghard. So kann das Papier zwischen den einzelnen Vanadiumoxidfasern und –platten Ionen einlagern und empfiehlt sich daher als Elektrodenmaterial für Batterien. „Weil das Papier in geordneten und gleichmäßig geformten Schichten aufgebaut ist, können Ionen entlang der Plattenebene effizient und gerichtet wandern“, erklärt Žaklina Burghard. Daher könnten sich Batterien mit Elektroden aus Keramikpapier schnell laden lassen, sich umgekehrt aber auch schnell entladen lassen, so dass sie hohe Stromdichten liefern würden. Erste Kontakte zur Industrie, die das Papier in wieder aufladbaren Batterien einsetzen möchte, gibt es bereits.

Die Fähigkeit, fremde Ionen aufnehmen zu können, macht das Keramikpapier aber auch noch für andere Bereiche interessant. Da im Vanadiumoxid durch die Wechselwirkung mit Molekülen mehr Elektronen beweglich werden können, bietet es sich auch für den Einsatz in Gassensoren an. Mit einem auf wenige Mikrometer Dicke geschrumpften Vanadiumoxid-Kern ließen sich die Instrumente verkleinern. Das Keramikpapier könnte zudem künstlichen Muskeln Kraft geben. Wenn sich nämlich fremde Ionen in dem Verbundmaterial ansammeln, dehnt es sich aus. So könnte das Keramikpapier als von der Menge der eingelagerten Teilchen gesteuerter Aktuator Objekte, die mikroskopisch klein sein können, schieben oder ziehen.

„In dem Keramikpapier vereinen wir das Beste aus zwei Welten“, sagt Žaklina Burghard: „die vielseitigen chemischen Eigenschaften des Vanadiumpentoxids und die mechanischen Eigenschaften des über Jahrmillionen optimierten Perlmutts.“ Doch ihr Team will noch weitergehen: Die Wissenschaftler wollen das Keramik-Papier mit weiteren Materialien kombinieren, um ihm noch vielfältigere und bessere Eigenschaften zu geben.

NG/PH

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